Noch liegen die Temperaturen im Plusbereich, aber schon bald dürften Herbst und Winter für frostige Nächte sorgen. Für Obdachlose beginnt damit die schwerste Zeit des Jahres. In Bremen gibt es schätzungsweise 600 wohnungslose Menschen, von denen die meisten in Notunterkünften schlafen.Etwa 150 verbringen ihre Nächte aber im Freien. Damit diese Menschen nicht frieren müssen, wird das Sozialressort in Bahnhofsnähe 100 zusätzliche Schlafplätze schaffen. „Grundsätzlich können wir jedem, der ein Bett braucht, eines anbieten“, verspricht Ressortsprecher Bernd Schneider.
Nach Angaben der Inneren Mission hat sich die Zahl der Wohnungslosen in den vergangenen Jahren auf einem hohen Niveau eingependelt. „Im Vergleich zu 2015 ist die Zahl gestiegen, wenn auch nicht gravierend“, sagt Axel Brase-Wentzell, bei der Inneren Mission stellvertretender Leiter der Wohnungslosenhilfe. Die Streetworker erlebten eine stärkere Fluktuation der Hilfesuchenden, Probleme der Obdachlosigkeit vermischten sich mit denen des Drogenkonsums. „Dabei geht es insbesondere um Cracksüchtige, die Obdachlose verdrängen. Die sichtbare Verelendung hat zugenommen“, schildert Brase-Wentzell.
Die Innere Mission, in Bremen wichtigster freier Träger der Wohnungslosenhilfe, erlebt insgesamt einen wachsenden Hilfebedarf, auch wenn die Zahl der Wohnungslosen in den vergangenen Jahren relativ stabil geblieben ist. „Die Menschen, die sich bei der Fachstelle Wohnen des Sozialressorts melden, werden statistisch erfasst. Zu der Entwicklung der verdeckten Wohnungslosigkeit gibt es aber keine genauen Zahlen“, erläutert Brase-Wentzell.
Am Freitag tauschte sich Brase-Wentzell mit Vertretern der Johanniter, der Suppenengel, des Innen- und Gesundheitsressorts sowie Sozialsenatorin Claudia Schilling (SPD) über die Lage der Wohnungslosenhilfe aus. Das Treffen vor dem Einbruch des Winters hatte Schillings Vorgängerin Anja Stahmann (Grüne) etabliert. Thema war unter anderem, erneut zusätzliche Kapazitäten für die kalten Monate zu schaffen.
„Die Winterregelung greift, sobald die Nachttemperaturen an drei aufeinanderfolgenden Tagen unter plus vier Grad liegen“, erläutert Schneider, Sprecher von Senatorin Schilling. Zu den aktuell 500 belegten Plätzen der Wohnungshilfe kämen dann in einer städtischen Immobilie 100 kurzfristig hinzu. „Wie im vergangenen Jahr handelt es sich dabei um ein Gebäude an der Friedrich-Rauers-Straße“, sagt Brase-Wentzell. 2022 habe das Winterquartier mit 75 Plätzen eröffnet, sei dann aber durchschnittlich von 80 Personen belegt gewesen. Die Innere Mission werde erneut das Personal zur Betreuung stellen. An der Friedrich-Rauers-Straße gibt es seit Ende vergangenen Jahres auch einen sogenannten Toleranzort für Drogenkonsum.
„Es muss niemand erfrieren“, versichert Brase-Wentzell. Grundsätzlich werde niemand in die Kälte geschickt, in Einzelfällen seien aber schwierige Entscheidungen zu treffen. „Wenn jemand gegenüber den Mitarbeitern oder anderen Bewohnern gewalttätig geworden ist, kann zum Schutz der Einrichtung auch ein Hausverbot ausgesprochen werden“, betont er. Bei besonders kalten Temperaturen müsse dann abgewogen werden, wie gefährlich eine Nacht im Freien sei. „Bei aggressivem Verhalten rufen wir die Polizei, die die Person in Gewahrsam nimmt“, sagt Brase-Wentzell.
Laut Schneider gibt es verschiedene Hilfsangebote, um zu verhindern, dass Bremer in die Wohnungslosigkeit rutschen: „Wenn sich das Amtsgericht mit einer Räumungsklage befasst, wird automatisch die Fachstelle Wohnen eingeschaltet. Diese sucht dann nach Möglichkeiten, vielleicht doch eine Einigung mit dem Vermieter zu erreichen.“ Zudem habe die Landesregierung im Zuge der Energiekrise einen Härtefallfonds aufgelegt, um einkommensschwache Haushalte vor einer Sperrung der Strom-, Gas- oder Wasserzufuhr zu schützen.
Ein weiteres Beispiel ist das Ende 2021 gestartete Modellprojekt „Housing First“. Das Angebot soll Obdachlose mit Suchtproblemen oder psychischen Erkrankungen in ein geregeltes Mietverhältnis bringen. Für die Vermieter schafft die Stadt finanzielle Anreize und sichert sie gegen mögliche Schäden ab. Die Mieter bekommen eine Begleitperson und die Garantie, für mindestens zwei Jahre betreut zu werden. Bis März hatte das Projekt 33 Menschen aufgenommen, Ziel ist die Vermittlung von 60 Wohnungen bis Ende dieses Jahres.