Hochwasser mit Dammbrüchen, totaler Stromausfall, giftige Gaswolken, Großbrände, Flugzeugabsturz in einem Wohngebiet – Schreckensszenarien, auf die Bremen bald noch besser vorbereitet sein will. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) erarbeitet derzeit ein umfassendes Konzept zur Neustrukturierung der Führungs- und Arbeitsorganisation des Katastrophenschutzes. Ein wichtiger Baustein davon soll eine Katastrophenschutz-Reserveeinheit werden, an der sich fünf große Hilfsorganisationen beteiligen: Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), DLRG, Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Johanniter-Unfall-Hilfe und Malteser Hilfsdienst.
Die Idee stammt von den Johannitern, berichtet Karl-Heinz Knorr, Landesbeauftragter für den Katastrophenschutz in Bremen. Es geht um die sogenannten ungebundenen Helfer und Helferinnen, also jene Mitglieder, die nicht dauerhaft oder hauptberuflich für ihre Organisationen arbeiten. Deren Profile sollen über eine zentrale App gespeichert und abgerufen werden können, und im Ernstfall werden die Reservisten auch über diese App angefordert. Nicole Baumann, Sprecherin des Regionalverbands Bremen-Verden der Johanniter, ist optimistisch: "Seit der Impfkampagne arbeiten die großen Hilfsorganisationen ja schon Hand in Hand."
Etliche Details noch zu klären
Entscheidend bei den Profilen sind besondere fachliche Fähigkeiten: Das können ein Führerschein für Lkw, großes Räumgerät oder Boote sein, fortgeschrittene Rettungskurse, Tauchscheine, auch besondere Sprachkenntnisse. Oder jemand ist ausgebildeter Elektriker, Fernmeldetechniker, IT-Fachmann, Koch - gebraucht wird neben den Kranken- und Rettungsdiensten im Katastrophenfall schließlich noch vielfältige andere Expertise.
Seit dem 9. März läuft eine Besuchs- und Vorstellungsrunde der fünf Organisationen mit dem Innenressort. Den Auftakt machte das DRK. Hier beeindruckte Knorr nicht nur das - erwartbare - Know-how bei der Versorgung von Verletzten aller Art, sondern vor allem die logistische Leistungsfähigkeit: "Die haben große Fahrzeuge auf Speditionsniveau, bewährt bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal oder zuletzt nach dem schweren Erdbeben in der Türkei."
Bei aller Begeisterung über die Fähigkeiten der Hilfsorganisationen und Sympathie für die Idee einer stehenden Katastrophen-Reserveeinheit sieht Knorr aber noch etliche Details, die zu klären sind – auch nach der Besuchsrunde. Etwa Versicherungsfragen: "Bei den fest angestellten Helfern ist das klar, aber nicht bei den ungebundenen", sagt der frühere Chef der Bremer Berufsfeuerwehr. "Wie sind die abgesichert bei einem Unfall, und sei es auf dem Weg zum Einsatz?" Und da es um riskante Katastropheneinsätze geht, müsse man sich schlimmstenfalls auch mit der Versorgung von Hinterbliebenen befassen.
Wer bezahlt die Reservisten?
Bei den professionellen Rettungskräften gebe es turnusmäßige arbeitsmedizinische Untersuchungen, auch das müsse für die Reservisten geregelt werden. Und da sie eben nicht hauptberuflich für ihre Organisationen arbeiten, sondern für andere Arbeitgeber, stelle sich auch die Frage nach der Lohnfortzahlung. Denn bei jenen "Großlagen", in denen auch die Reservisten zum Zuge kommen sollen, brauche man sie ja nicht nur ein paar Stunden.
Nicht zuletzt sind Bestimmungen zum Datenschutz einzuhalten. Wer hat Zugriff auf die in der App hinterlegten Profile der Reservisten? Und wie detailliert müssen die sein, damit man die ungebundenen Helfer auch möglichst effektiv einsetzen kann?
Abstimmungsbedarf sieht Knorr auch noch bei ganz praktischen Fragen. So sollte die persönliche Ausrüstung möglichst standardisiert sein, damit sich die Helfer auch untereinander aushelfen können. Zudem sei zu entscheiden, ob die fünf Hilfsvereine ihre Reservisten jeweils separat organisieren oder ob dafür "ein neuer, gemeinsamer Verein" gegründet wird. Womöglich gibt es auch verschiedene Pools, die sich eher nach den Fähigkeiten der Helferinnen und Helfer unterscheiden. Unbestritten ist allerdings, dass im Katastrophenfall die Federführung beim Innenressort liegt – genauer: bei der Abteilung Öffentliche Sicherheit, der auch Knorr zugeordnet ist.
Und wie groß ist das Reservoir an helfenden Reservisten? "50 bis 100 zusätzliche Helfer wären fürs Erste schon zufriedenstellend", sagt der Katastrophenschutzbeauftragte. "Das muss organisch wachsen." Das Potenzial dafür ist jedenfalls da (siehe Kasten). Wann aber steht diese Reserve-Einheit für die schlimmsten Fälle? "Derzeit ist beabsichtigt, die Eckpunkte des Gesamtkonzeptes im Herbst 2023 vorzulegen", heißt es aus dem Innenressort.