Speed-Dating – zumindest viele moderne Singles kennen den Begriff. Bei solchen Veranstaltungen lernt man in rascher Folge mehrere mögliche Partner kennen. Die Teilnehmer sprechen einige Minuten miteinander und stellen dann fest: Person X sagt mir zu, Person Y eher nicht. Der WESER-KURIER hat diese Konstellation ins Politische übertragen. Bei einer Veranstaltung im Bremer Presse-Club konnten sich fünf Personen aus unterschiedlichen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten abwechselnd mit den fünf Spitzenkandidaten von CDU (Frank Imhoff), SPD (Andreas Bovenschulte), Grünen (Maike Schaefer), Linken (Kristina Vogt) und FDP (Thore Schäck) unterhalten und sich ein Bild von ihnen machen.
So groß wie das Spektrum der Teilnehmer war auch die Bandbreite der Themen, über die geredet wurde – vom Leerstand in der Innenstadt über bezahlbaren Wohnraum bis zu Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche. Nach dem Politiker-Speed-Dating waren sich die Gäste des WESER-KURIER zumindest in einem einig: Es hat Spaß gemacht, mit den wichtigsten Akteuren ins Gespräch zu kommen, die sich am 14. Mai zur Wahl stellen.

Andrea Stiehr im Gespräch mit Andreas Bovenschulte.
Andrea Stiehr, Bus- und Straßenbahnfahrerin bei der BSAG:
Die 59-Jährige interessiert sich berufsbedingt vor allem für Verkehrspolitik, ist sie doch als BSAG-Beschäftigte tagtäglich mit dem konfrontiert, was der Senat auf diesem Gebiet leistet – oder eben nicht. So steuert Andrea Stiehr unter anderem den 25er-Bus durch die Martinistraße, die seit dem vergangenen Jahr auf eine Kfz-Fahrspur pro Richtung verengt ist. Problematisch finde sie es, sagt Stiehr, wenn sie dort Senioren mit Rollator an improvisierten, nicht barrierefreien Haltestellen einsteigen lassen müsse. Das sei "respektlos" gegenüber den älteren Herrschaften. Schaefer sagt zu, dass es in naher Zukunft barrierefreie Haltestellen geben werde. Stiehr hinterfragt auch den Zweck der Radspuren, die in der Martinistraße geschaffen wurden: "„Ich muss ganz ehrlich gestehen: Ich fahre jetzt seit 32 Jahren bei der BSAG, großartig Radfahrer habe ich in der Martinistraße nicht wahrgenommen."
Mit dem Bürgermeister redet Stiehr über die ungleichmäßige Verteilung von Arztpraxen im Stadtgebiet. "Das spielt in fast jedem Bürgergespräch, das ich führe, eine Rolle", entgegnet Andreas Bovenschulte. Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung sage der Politik immer wieder, die Versorgung in Bremen sei bereits ganz gut. "Das können wir immer gar nicht glauben", so Bovenschulte, "denn unsere Erfahrungen sind andere." Nach seiner Wahrnehmung sind die Versorgungsbezirke, in denen Ärzte frei über ihren Niederlassungsort entscheiden können, zu groß geschnitten. Daran müsse sich etwas ändern.
Andrea Stiehrs Fazit: "Ich hatte meine Vorurteile gegenüber Verkehrssenatorin Maike Schaefer, aber die konnte ich gestern ablegen. CDU-Spitzenkandidat Frank Imhoff fand ich konstruktiv, auch wenn die CDU nicht meine Partei ist."

Moritz Armbrust im Gespräch mit Frank Imhoff.
Moritz Armbrust, Start-up-Unternehmer:
Der 36-Jährige aus dem Ostertor ist Gründer der Friedhold GmbH. Sie bietet landwirtschaftlichen Betrieben einen Software-Werkzeugkasten für den Aufbau eines eigenen Online-Hofladens an. Armbrust weiß: Viele junge Unternehmen brauchen in ihrer Startphase Unterstützung, um sich und ihr Geschäftsmodell etablieren zu können. Den CDU-Bürgermeisterkandidaten spricht er direkt darauf an, was seine Partei da anbieten will, sollte sie Regierungsverantwortung übernehmen. Imhoff bejaht im Grundsatz Armbrusts Forderung, dass Bremen neben Investitions- auch Personalkostenzuschüsse für frisch gegründete Unternehmen leisten könne. "Man kann das ja bestimmten Kriterien festmachen", schlägt Imhoff vor.
Mit dem Liberalen Thore Schäck – selbst Firmengründer – ist sich Armbrust einig, dass die Förderung von Start-ups häufig mit zu viel Bürokratie verbunden ist. Schäck bekräftigt die Forderung der FDP nach einem Gründerstipendium, wie es in Niedersachsen angeboten wird. Von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt erfährt Armbrust, dass Bremen gerade ein neues Zuschussprogramm auflegt, das auch Personalkosten umfasst. "Das war ein harter Kampf mit dem Finanzressort", lässt Vogt durchblicken.
Moritz Armbrusts Fazit:
"Insgesamt hatte ich einen guten Eindruck, einiges wurde von den Politikern dankbar aufgegriffen. Am besten aufgehoben fühlte ich mich bei Thore Schäck und dem Bürgermeister."

Emma von Berg Dark im Gespräch mit Maike Schaefer.
Emma von Berg Dark, Schülerin
Die 18-Jährige aus Bremen-Nord besucht die Oberschule an der Lerchenstraße und geht auf die Politiker aus der Perspektive ihrer Altersgruppe zu. Was haben die Spitzenkandidaten im Angebot, um Heranwachsenden attraktivere Freizeitmöglichkeiten zu bieten oder die Situation an den Schulen zu verbessern? Thore Schäck will den einzelnen Schulen mehr Entscheidungsfreiheiten vor Ort eröffnen. Überhaupt müsse manches im Schulalltag entstaubt werden. "Die Art und Weise, wie unterrichtet wird, entspricht nicht mehr den Erkenntnissen, wie Menschen lernen", sagt er. Da müssten neue Konzepte her. Was Freizeitangebote betrifft, will sich Schäck unter anderem für die Clubszene einsetzen.
Frank Imhoff fordert im Gespräch mit der Schülerin mehr Chancengleichheit für die Kinder von Anfang an. Sie müssten "an der gleichen Startlinie loslaufen". Soll heißen: Kinder im Kita-Alter, die beispielsweise aufgrund ihrer Herkunft Sprachdefizite haben, sollen in einem verpflichtenden Vorschuljahr auf einen Stand gebracht werden, der einen erfolgreichen Einstieg in den Primarbereich ermöglicht.
Emma von Berg Darks Fazit: "Ich fand's ein sehr schönes Erlebnis, dass ich hier mal mit den Politikern reden konnte, immerhin war ich die Jüngste hier. Am besten hat mir Maike Schaefer gefallen. Sie hat mir zum Beispiel selbst Fragen gestellt, das gab es bei keinem anderen Spitzenkandidaten. Da habe ich mich gesehen gefühlt.

Andreas Bovenschulte im Gespräch mit Tobias Hübner.
Tobias Hübner, Polizist:
"Wie ist die Stimmung bei der Polizei?", steigt der Bürgermeister in den Dialog mit Tobias Hübner ein. Der 26-Jährige aus dem Gete-Viertel druckst nicht lange herum. Ein ganz wichtiges Thema sei die hohe Belastung im Einsatzdienst. Freizeitausgleich sei oft schwierig, "weil wir einfach nicht genügend Leute haben. Man schiebt seine Überstunden vor sich her". Planbar frei zu haben sei schwierig. "Eigentlich hilft da nur, Personal aufzubauen", entgegnet der Bürgermeister. Das mache der Senat gerade. Die Ausbildungszahlen seien gegenüber den Vorjahren deutlich gestiegen.
Im Gespräch mit Kristina Vogt bemängelt Hübner, dass Bremen sowohl bei der Besoldung als auch bei der technischen Ausstattung der Beamten hinter anderen Bundesländern zurückliege. Vogt räumt solche Wettbewerbsnachteile ein. Arbeitgeberattraktivität sei in Zeiten des Fachkräftemangels wichtig. Sie erkundigt sich bei Hübner, wie es gelingen könne, mehr jungen Menschen für den Polizeidienst zu gewinnen. Durch Absenkung der Anforderungen jedenfalls nicht, ist sich Hübner sicher. Die Bürger hätten schließlich einen Anspruch darauf, dass die Polizei "sicher, gut und richtig arbeitet".
Tobias Hübners Fazit: "Vom Bürgermeister war ich etwas enttäuscht, weil er die Anrechnung der Polizeizulage auf das Ruhegehalt nicht fest zusagen wollte, obwohl seine Partei das gegenüber unserer Gewerkschaft schon getan hat. Fachlich und von der Persönlichkeit her war Frank Imhoff mein Favorit. Er wirkte sehr informiert."

Kristina Vogt im Gespräch mit Joachim Jung.
Joachim Jung, Rentner
Der 70-Jährige aus der Gartenstadt Süd ist schwerbehindert, entsprechend wichtig sind für ihn Themen wie Pflege und Barrierefreiheit. Mit Kristina Vogt ist er sich einig, dass etwas gegen die Kostenexplosion in den Pflegeeinrichtungen für Senioren getan werden muss. "Es kann nicht angehen, dass ein Platz 3000 Euro kostet, 20 Prozent soll es noch nach oben gehen. Wer soll das alles bezahlen?", will Jung von Vogt wissen. Die Senatorin bejaht den Handlungsbedarf. Gebraucht werde unter anderem "eine Deckelung von Baukosten von Pflegeeinrichtungen. Sonst wird das eins zu eins umgeschlagen", so Vogt.
Im Dialog mit Maike Schaefer spricht der frühere Telekom-Mitarbeiter Jung den Mangel an Hospizplätzen und das Stichwort Barrierefreiheit an. Letztere sei genau ihr Thema, nimmt die Verkehrssenatorin für sich in Anspruch. Ob beim Ausbau der ÖPNV-Haltestellen oder beim aufgesetzten Parken – immer gehe es ihr darum, wie man mit dem Rollstuhl oder Rollator auf dem Bürgersteig klarkomme. "Deswegen ist mein Anliegen, Fußgängern mehr Platz zu geben. Das ist ein Herzensthema von mir", beteuert die Senatorin. Durch ihren mobilitätseingeschränkten Vater sehe sie, wie viel Luft nach oben es noch gebe.
Joachim Jungs Fazit: "Bei den beiden Senatorinnen fühlte ich mich gut aufgehoben. In der Kürze der Zeit bin ich gar nicht dazu gekommen, alles loszuwerden, was ich auf dem Herzen hatte. Zum Beispiel, dass die Entlohnung in den Bremer Behindertenwerkstätten unter aller Kanone ist. Der WESER-KURIER sollte dieses Format unbedingt wiederholen."