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Umbenennung von Bremer Straßen Absurde Scharmützel um Bremer Straßennamen

Alle Jahre wieder ringt Bremen mit viel Haltung und wenig historischem Verständnis um die Namen von Straßen, Plätzen, Brücken. Es wird Zeit, auch Widersprüchliches zu akzeptieren, meint Joerg Helge Wagner.
02.05.2024, 05:00 Uhr
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Joerg Helge Wagner
Von Joerg Helge Wagner

Was ist nun besser: Das Erinnern an eine verlustreich-erfolglose militärische Aktion im Ersten Weltkrieg oder an den gescheiterten Tyrannenmord 1939? Die Frage zeigt, wie absurd die aktuelle Auseinandersetzung ist, die über die Umbenennung der Langemarck- in Georg-Elser-Straße geführt wird. Man spielt zwei zutiefst tragische Ereignisse unserer Geschichte gegeneinander aus.

Rund 2000 junge Kriegsfreiwillige starben 1914 an einem einzigen Tag, als sie eine strategisch wichtige Höhe in Belgien erstürmen sollten. Acht Menschen starben beim Bombenanschlag auf den „Führer“ im Münchener Bürgerbräu-Keller: die Kellnerin Maria Henle und sieben NSDAP-Mitglieder – Adolf Hitler war fatalerweise nicht darunter. Daran auch mit einem Straßennamen zu erinnern, kann nicht verkehrt sein. Schließlich gibt es in der Vahr auch eine Dietrich-Bonhoeffer-Straße. Carl Goerdeler, die Geschwister Scholl und Claus Schenk Graf von Stauffenberg werden ebenso geehrt.

Das Bemühen, Georg Elser nun ausgerechnet durch die Tilgung des Namens Langemarck aus dem Bremer Straßenverzeichnis zu würdigen, verrät jedoch viel Haltung und wenig Verständnis. Ja, die Langemarckstraße wurde in Bremen erst 1937 durch die Nazis so benannt, denen es vor allem um den Mythos ging, dass die jungen Soldaten „mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in den Opfertod gegangen“ seien. Das aber war schon die kaiserliche Propaganda, die Nazis hatten sich hier lediglich bedient. Wie bei so vielem: der Schlacht im Teutoburger Wald, den Stedinger Bauern, der Volksmusik und Richard Wagner, dem Kampf Martin Luthers gegen die römische Kurie – und so weiter, und so fort.

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Wagner und Luther waren übrigens überzeugte Antisemiten, ebenso wie der Bremer Bürgermeister Johann Smidt. Wann also rufen die Beiräte in Schwachhausen, Blumenthal und Mitte danach, die entsprechenden Straßennamen zu ändern? Ludwig Roselius wiederum wurde schon sehr früh Nazi, Carl Carstens etwas später und Kurt Georg Kiesinger sogar ein richtiger brauner Funktionär. Da wäre noch viel zu entsorgen für die rot-grün-roten Putztruppen in den Stadtteilen.

Und all die anderen Schlachten! Am Waterberg in Namibia begann 1904 nicht weniger als der Genozid an den aufständischen Herero und Nama – schert aber am Gröpelinger Kalihafen bislang keinen so richtig. Und mit Sedan, Orleans, Loigny und Wörth wurden seinerzeit nicht in erster Linie schöne Städtchen geehrt, sondern siegreiche Gemetzel gegen die Franzosen, den „Erbfeind“. Halb Schwachhausen müsste die Adressen wechseln, denn der Krieg 1870/71 war unbestritten von Bismarck mit der dreist gefälschten Emser Depesche provoziert worden.

Oh je, der Reichsgründer auch noch? Na klar, auch wenn er andererseits später die kolonialen Bestrebungen im Reich missbilligte. Treiber waren hier die Bremer Adolf Lüderitz und Heinrich Vogelsang – noch zwei Straßennamen, die in Schwachhausen fällig wären. Aber auch von Kennedy als Adressgeber müsste man sich verabschieden: ein sexbesessener Machtmensch, der die USA in den Vietnamkrieg verwickelte. So zumindest kann man ihn sehen, wenn man alles andere ausblendet.

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Genau hier liegt das Problem: im Wunsch nach makellosen Helden mit widerspruchslosen Biografien. Luther war eben nicht „nur“ Kirchenreformer, Wagner nicht „nur“ das musikalische Genie und Bismarck nicht „nur“ ein begnadeter Staatsmann. Was also tun? Künftig nur noch Stadt-Land-Fluss bei Straßennamen, vielleicht noch Tier und Pflanze? Aber spiegeln die Namen ihrer Straßen und Plätze nicht auch die Geschichte einer Stadt und des Landes, in dem sie liegt?

Eine offene Gesellschaft kann die Konfrontation mit widersprüchlichen Biografien aushalten, hoffte Bremens Staatsarchivar Konrad Elmshäuser schon vor elf Jahren. Damals ging es wegen Carstens und Kiesinger, Agnes Miegel und Hedwig Heyl hoch her. Nun also Langemarck. Kann man diesem Ort nach 110 Jahren nicht endlich die gleiche Bedeutung wie Verdun zugestehen, befreit von aus der Zeit gefallenen Mythen? Und für Elser einen neuen, attraktiven Platz finden, vielleicht sogar schaffen? Das wäre geschichtsbewusst.

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