Am Donnerstag ist die Ariane-5-Rakete mit vier in Bremen gebauten Satelliten für das Nevigationssystem Galileo von Kourou aus ins Weltall gestartet. Es ist die längste Mission für die Ariane 5.
Hätten nicht alle in dieselbe Richtung geschaut, man hätte ihn glatt verpassen können. So geräuschlos ist die erste Minute, so klein scheint der Moment. Doch der Countdown auf Französisch zeigt, dass gleich etwas passiert, was auch wirklich eines Countdowns wert ist. Dix, neuf, . . . In der Ferne taucht ein heller Lichtball auf. So hell, dass er die südamerikanische Sonne überstrahlt und in den Augen schmerzt.
Für einige Sekunden bleibt er am Boden, dann erhebt sich die Lichtgestalt gemächlich. Dass es eine Rakete ist, lässt sich aus fünf Kilometern nur erahnen. Langsam steigt die Ariane immer weiter in den blauen Himmel, verschwindet hinter einer Schönwetter-Wolke, nur um kurz darauf mit gleißendem Licht wieder aufzutauchen.
770 Tonnen auf dem Weg ins All
Sie fliegt einen Bogen, steigt immer höher. Über die Lautsprecher verkündet das Kontrollzentrum „Alles normal“. Erst eine Minute nach dem Start, lässt auch die Rakete von sich hören. Ein tiefes Dröhnen, wie ein starkes, langanhaltendes Donnern: Kampfjets im Tiefflug. Zusammen mit dem Feuerschweif wird die Kraft deutlich, die dahinter steckt. 770 Tonnen auf dem Weg in den Weltraum.
Egal welche Sprache man hört, ein Wort fällt immer: special, spéciale, besonders. Ja, dieser Start ist etwas besonderes – da sind sich alle einig. So besonders, dass nicht nur irgendwelche Raumfahrtingenieure und Techniker zum Weltraumbahnhof kommen.
Mit Elżbieta Bieńkowska ist auch die für die Raumfahrt zuständige EU-Kommissarin dort. Die Polin hat sich den Start vom Tucan aus angeschaut, dem nahegelegensten Beobachtungspunkt am Weltraumbahnhof. Auch Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Kommission, ist da.
Ein Galileo-Navigationssatellit kostet 40 Millionen Euro
So ein Raketenstart ist immer nur bedingt planbar, auch wenn viel Routine dabei ist. 75 Mal in Folge ist mit der Ariane 5 alles gut gegangen. Doch jedes Mal gibt es Faktoren, die man nicht beeinflussen kann. Spielt das Wetter nicht mit, bleibt die Rakete am Boden. Technische Probleme – kein Start. Zu hoch ist das Risiko, dass die Rakete und ihre millionenteure Fracht nicht da ankommen, wo sie sollen. Allein ein Galileo-Navigationssatellit kostet etwa 40 Millionen Euro. Dieses Mal sind gleich vier an Bord, gebaut in Bremen.

Das Jupiter Kontroll-Zentrum in Kourou.
Viel Neues. Selbst wenn schon seit den 60er-Jahren Raketen vom Centre Spatial Guyanais abheben, ist die Anspannung groß. Das Interesse auch. „Es ist die längste Mission, die wir je mit der Ariane 5 geflogen sind“, sagt Sören Scholz, Leiter des Ariane-Programm bei Airbus Safran Launchers. „Und auch das erste Mal, das Galileo-Satelliten mit einer Ariane 5 ins All gebracht werden.“ Er ist aus Bremen nach Kourou gekommen.
So wie immer, wenn eine Ariane abhebt. „Wenn wir eine normale Mission mit ein oder zwei Telekommunikationssatelliten fliegen, dauert es ungefähr 40 Minuten“, sagt Scholz. Jetzt sind es vier. Jeder Galileo-Satellit muss da abgesetzt werden, wo er hingehört. Wie eine galaktische Fahrgemeinschaft fliegt die Oberstufe durch den Orbit und lässt nach und nach die Satelliten frei. Und das dauert.
Warten gehört zum Weltraumgeschäft
Schon vor dem Start wird klar, das Warten gehört zum Weltraumgeschäft. Im Jupiter-Kontrollzentrum, etwa fünf Kilometer von der Startrampe entfernt, ist alles ruhig. Minuten vor dem Lift-off sitzen die Zuschauer wie in einem Kinosaal mit bequemen Sesseln. Sie schauen jedoch nicht auf eine Leinwand, sondern auf Menschen.
Diese sitzen hinter einer Wand aus Glas, starren auf Bildschirme und bereiten die Mission vor. Konzentration ja, Anspannung aber nicht. In den letzten sieben Minuten vor dem Start heißt es sowieso: warten. Dann beginnt die sogenannte Synchronisationsphase.
In dieser Zeit haben die Menschen hinter den Bildschirmen keinen Einfluss mehr. Die letzten Tests laufen alle automatisch. Das einzige was jetzt noch geht, ist ein Abbruch. Doch die großen Bildschirme im Kontrollzentrum zeigen: Alles ist okay. Um 10.04 Uhr und 48 Sekunden hebt die Ariane ab.
Auch OHB-Vorstand Marco Fuchs aus Bremen spricht in Kourou von einem besonderen Tag. Seine Firma hat die Satelliten gebaut, um die es geht. Und darauf ist er stolz – das spürt man, als er am Abend vor dem Start im Jupiter-Kontrollzentrum spricht. Aber er ist auch vorsichtig: „So ein Raketenstart ist immer ein größeres Risiko, als man denkt.“ Besonders dieser.
Eine doppelte Premiere, von der keiner weiß, wie sie am Ende ausgeht. Alle hoffen das Beste. Aber wie reagieren die Satelliten, die zuvor nur mit Sojus-Raketen in ihre Umlaufbahn befördert wurden? Vertragen sie die Vibration, die bei der Ariane größer sein sollen als beim russischen Pendant? Funktioniert die eigens gebaute Haltevorrichtung?
„Eine gute Reise“
Ein bisschen Ungewissheit bleibt immer. Deswegen wünscht Antonianna, Lisa, Kimberley und Tijmen „eine gute Reise“. So heißen die Satelliten, benannt nach Kinder, die einen Galileo-Malwettbewerb gewonnen haben.
Nur neun Minuten nach dem feuerreichen Start wird es erst einmal ruhig. Auf dem Boden machen die Mitarbeiter und Gäste Pause bei 30 Grad im Schatten. Unter freiem Himmel ist ein Buffet aufgebaut. Es gibt Quiche, Hähnchenspieße, Teigtasche, dazu kalte Getränke – Wasser, Cola, Eistee und den Cocktail Planters Punch aus großen Karaffen.
Auch im All passiert nicht viel. Nach neun Minuten sind von der Rakete nur noch die in Bremen gebaute Oberstufe und die ebenfalls aus der Hansestadt stammenden Satelliten übrig. Die beiden Booster, die die Rakete überhaupt erst in den Himmel befördert haben, wurden keine drei Minuten nach dem Start abgeworfen und landen im Atlantik. Getrennt hat sich die Rakete auch von der Hauptstufe, die nun durchs All treibt. Der Antrieb ist ausgeschaltet, bis sich Oberstufe und Ladung der richtigen Umlaufbahn nähern.

Seit den 70er-Jahren starten Ariane-Raketen vom Weltraumbahnhof in Kourou.
„Für uns wird es erst jetzt spannend“, sagt OHB-Chef Fuchs. Er wartet wie viele andere auf den zweiten Höhepunkt des Tages. „Dass eine Ariane starten kann, wissen wir ja mittlerweile“, sagt ein Experte vor Ort. Spannend wird, ob die Liaison zwischen Ariane und Galileo funktioniert.
Für die Europäische Kommission ist das enorm wichtig. Auch deswegen sind die ranghohen Vertreter da. „Sie haben sich gewünscht, dass das europäische Navigationssystem auch mit einer europäischen Rakete in den Weltraum gebracht wird“, sagt der Experte. Jetzt muss alles funktionieren.
Es ist ein surrealer Ort um ein Gefühl zu spüren, dass auf dem europäischen Kontinent oft vermisst wird. Einheit. Die wird in Kourou, knapp zehn Flugstunden von Bremen entfernt, zwischen Brasilien und Atlantik, sichtbar und funktioniert wie ein Lego-Bausatz. Nach und nach sind in den vergangenen Monaten die Teile in Französisch-Guyana eingetroffen, die dann zur Ariane 5 geworden sind.
Satelliten wurden mit einer Boeing eingeflogen
Die Hauptstufe kommt aus dem französischen Le Havre, die Nutzlastverkleidung aus Rotterdam, die Booster aus Livorno in Italien. Von Bremen aus ist die Oberstufe erst mit einem Tieflader vom Bremer Werk zum Hafen und dann auf einem der beiden Spezialschiffe von Arianespace über den Atlantik gebracht worden. Die Satelliten wurden mit einer Boeing eingeflogen.
Dass ausgerechnet Französisch-Guyana der Punkt ist, an dem sich Europa in einer 50 Meter langen Rakete vereint, ist kein Zufall. Die Lage des Landes, das in etwa so groß ist wie Österreich, macht es besonders. Je näher ein Weltraumbahnhof am Äquator liegt, desto einfacher gelingt der Start. Es hilft die Physik. Sieht man die Erde als Kreisel, erklärt es sich. Je weiter man sich von der Achse, in diesem Fall die Pole, entfernt, desto größer ist die Fliehkraft.
Ganz im Norden und ganz im Süden lässt sich die Erdrotation kaum feststellen, in der Mitte, dem Äquator, dreht sich die Welt am schnellsten. Diese Grundbeschleunigung nutzt die Rakete: Der Treibstoffverbrauch ist deutlich geringer als bei anderen Startpunkten – etwa Cape Canaveral in Florida oder im kasachischen Baikonur. Starts werden dadurch günstiger, oder es kann mehr Last in den Weltraum befördert werden.
Die Strafkolonie Frankreichs
Es ist nicht das erste Mal, dass Französisch-Guyana wegen seiner Lage eine besondere Rolle spielt. Fast 100 Jahre lang war das Land allerdings nicht das Tor zu einer anderen Welt, sondern Endstation. Zwischen 1854 und 1945 war Französisch-Guyana die Strafkolonie Frankreichs. Wer hierhin zu Haft geschickt wurde, kehrte nicht wieder.
Die Lager auf den Îles du Salut brachten ihren Bewohner nicht das im Namen versprochene Heil, sondern Verdammnis und Unheil. Malaria, Tuberkulose, Gelbfieber, Lepra, Ruhr, Bandwürmer waren die häufigsten Todesursachen. Einer der berühmtesten Gefangenen war der französische Hauptmann Alfred Dreyfus, der Ende des 19. Jahrhunderts fälschlicherweise wegen Spionage verurteilt wurde. Hätte es damals schon Raketenstarts gegeben, Dreyfus hätte sie wahrscheinlich gesehen. Die Inseln liegen keine 20 Kilometer vom heutigen Weltraumbahnhof entfernt.
Vier Stunden nach dem Start kehrt die Anspannung zurück. Die Ariane soll nacheinander die Satelliten absetzen. Im Kontrollzentrum sieht man die Oberstufen mit den Satelliten durch den Weltraum gleiten. Doch das friedliche Bild täuscht. Tatsächlich ist es nur eine Animation, Kameras gibt es nicht im All. Ob das Abkopplungsmanöver tatsächlich funktioniert, sehen die Mitarbeiter im Kontrollzentrum nur anhand der übertragenen Daten.
Erste Satellitenpaare abgesetzt
Dann ist es so weit: Eintönig und emotionslos verkündet eine Stimme, dass das erste Satellitenpaar abgesetzt wurde. 20 Minuten später das gleiche noch einmal. Jetzt Applaus, aber verhalten. „Zu Beginn sind die Satelliten taub und blind“, sagt Jürgen Ackermann, Generalsekretär von Airbus Safran Launcher. Damit sich das ändert, müssen sie ihre Solarpanels entfalten. Auch das dauert. Die Mission ist noch nicht vorbei.
In Kourou wird aus den Beiträgen einzelner Staaten ein gesamteuropäischer Traum. 50 Meter lang, weiß und der Weg in eine andere Welt. Dass dieser Traum wahr wird, dafür sorgen zahlreiche Menschen am Boden. 300 sind allein mit dem Start beschäftigt. Dazu kommen Polizei, Militär und die französische Fremdenlegion, die Straßen absperren, das Gelände bewachen und für Sicherheit sorgen.
Allein der Zusammenbau der Raketenteile dauert mehr als 30 Tage. Die Ariane wird senkrecht aufgebaut, erst dann kommt die Ladung. Die vier Navigationssatelliten sind am sogenannten Dispenser befestigt, der per Kran auf hochgehoben wird. In 42 Meter Höhe werde Nutzlast und Rakete dann endlich vereint, ehe die Verkleidung wie ein Hut auf die Ariane gesetzt wird.
Das erlösende Signal
Als Paul Verhoef die Arme in die Luft reißt, breitet sich die Freude wie eine Welle aus. Der Direktor des Galileo-Programms bei der Esa gibt das erlösende Signal. Die Wissenschaftler im Kontrollzentrum, die so lange still gewartet, kontrolliert und überwacht haben, springen auf.
Sie klatschen, klopfen ihrem Tischnachbarn auf die Schulter, fallen sich in die Arme. Eine Sekunde später realisieren auch die Zuschauer hinter der Glasscheibe, was gerade passiert ist. Die Mission ist geglückt. Die Rakete ist gestartet, die Satelliten sind abgesetzt. Sie funktionieren. „Tolle Sache heute“, sagt Verhoef wenige Minuten später.
EU-Kommissarin Bieńkowska findet Worte, die schwergewichtiger daher kommen. „Der Weltraum ist ein gutes Beispiel, was wir gemeinsam als Europa erreichen können.“ Dass die Mission geglückt sei, sei wichtig für die Autonomie Europas. Auch OHB-Vorstand Fuchs freut sich. „Ich bin sehr, sehr glücklich.“ Mit dem erfolgreichen Start, hat seine Firme den ersten Auftrag über 14 Satelliten abgeschlossen, acht sind noch im Bau. „Ich weiß, dass heute auch Leute in Bremen feiern.“
Mit dem Start vom Donnerstag sind nun
18 Satelliten für Galileo im All, in den kommenden beiden Jahren folgen die nächsten mit der Hilfe der Ariane 5. Im Jahr 2020 soll es dann soweit sein: Was auf kleiner Ebene seinen Startpunkt im Dschungel Südamerikas hat, wird im Weltall fortgesetzt. Dann sollen sich alle Galileo-Satelliten, zu einem gemeinsamen, europäischen System vereint haben.