Radfahrer, Fußgänger und öffentlicher Personennahverkehr sollen Vorrang im Stadtverkehr bekommen. Das ist der Kerninhalt der Verkehrswende, wie ihn ein breit aufgestelltes Bremer Aktionsbündnis von der künftigen Regierungskoalition fordert. Im Gegenzug müsse die individuelle Pkw-Nutzung „deutlich reduziert“ werden, folgern die Verbände und Initiativen in einem am Mittwoch gemeinsam veröffentlichten Appell.
Sonja Gerling von der Initiative Platz da stellt klar, dass dafür auch finanziell einiges getan werden müsse: „Die Haushaltsplanung der Stadt muss endlich berücksichtigten, dass heute bereits 46 Prozent aller Wege in Bremen zu Fuß und per Fahrrad zurückgelegt werden“, heißt es in einer Mitteilung des Bündnisses. „Dass diese klimafreundlichen Fortbewegungsarten aktuell lediglich circa fünf Prozent des Verkehrsbudgets zugutekommen, muss zügig auf Kosten des individuellen Autoverkehrs geändert werden.“
Die Gründe für eine umfassende Verkehrswende liegen aus Sicht des Bündnisses auf der Hand. ADFC, Attac, Autofreier Stadtraum, BUND, Einfach einsteigen, Forum Verkehrswende Neustadt, Der Verein Fuss, Greenpeace, das Mobilitätsbündnis Findorff, Platz da, Pro Bahn und der VCD aus Bremen wollen gemeinsam den Klimaschutz voranbringen. Im Jahr 2015 habe der Verkehrsbereich – „trotz zehnprozentiger Senkung seit 1990 – immer noch über 1,4 Millionen Tonnen und damit 24 Prozent des bremischen CO2-Ausstoßes“.
Die geforderte „fundamentale“ Abkehr von bisherigen Verkehrsverhältnissen, setze voraus, dass „die Stadt mit massiven Investitionen in die Infrastruktur des Umweltverbundes“ im Verkehrsentwicklungsplan 2025 die nötigen Voraussetzungen schaffe. Der Umbau müsse „zwangsläufig auf Kosten des Anteils des öffentlichen Straßenraums gehen, der heute dem rollenden und ruhenden Autoverkehr überlassen ist“.
Die Planungen dafür lägen bereit, meint Lisa Tschink vom BUND: Eine konkrete Umsetzung der Maßnahmen des Verkehrsentwicklungsplans zur Stärkung des Umweltverbundes könnte die Verkehrswende in Bremen einleiten.“ Wolfgang Geißler von Einfach einsteigen beruft sich auf eine telefonische Umfrage des Berliner Instituts Pollytix für seine Initiative: Unter 1000 im Mai befragten Wahlberechtigten (ab 16 Jahren) in Bremen hatten die Forscher ein Meinungsbild zum Thema Nahverkehr in der Stadt erstellt.
Die aktuelle Studie zeige, so Geißler, „dass sich 72 Prozent der Bremerinnen und Bremer einen Ausbau von Rad-, Fuß- und Nahverkehr wünschen, und zwar 67 Prozent auch dann, wenn dieser auf Kosten des Autoverkehrs geht“. Immerhin 21 Prozent der von Pollytix Befragten entschieden sich für die Antwort, die Stadt müsse „mehr für einen fließenden Autoverkehr machen“.
Und 31 Prozent waren gegen einen Nahverkehrsausbau, sofern er zulasten des Autoverkehrs ginge. 34 Prozent der Befragten gaben an, ihre alltäglichen Wege wie die Fahrt zur Arbeit überwiegend mit dem Auto zurückzulegen. Exakt die Hälfte bekundete aber Bereitschaft, bei „besseren Nahverkehrsangeboten“ häufiger auf Bus und Bahn umzusteigen. Dabei überwog mit 54 Prozent der Anteil der Frauen und insgesamt der Anteil derer, die älter als 60 Jahre sind – 67 Prozent.
Umfrage zur Verkehrslage
„Der gemeinsame Appell verdeutlicht die Einigkeit der Bremer Akteure in ihrem Ziel einer umfassenden Verkehrswende. Sollte eine neue Koalition keine substanziellen Schritte in diesem Bereich unternehmen, ist mit intensivem weiterem Engagement und Aktionen der beteiligten Akteure zu rechnen“, schreibt das Bündnis. „Die fachlichen Argumente sowie die Haltung der Bevölkerung müssen endlich in konkretes Handeln münden.“
Nur wenige Wochen zuvor, im April, hatten (wie berichtet) Meinungsforscher im Auftrag des WESER-KURIER erfragt, wie Bremer und Niedersachsen die Verkehrslage in der Stadt beurteilen. 86 Prozent bewerteten die Lage für Fußgänger im Straßenverkehr als mindestens gut. Als Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs waren 70 Prozent mindestens zufrieden – Radfahrern zu 61 und Autofahrer zu 24 Prozent.