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Bremer Jugendrichter im Interview Cannabis-Legalisierung: "Das würde falschen Anschein erwecken"

Der Bremer Jugendrichter Dierk Gerl sieht eine mögliche Cannabis-Legalisierung skeptisch. Im Interview erklärt Gerl, welche Probleme er erwartet – und wie eine Legalisierung seine Arbeit beeinflussen würde.
07.11.2021, 09:23 Uhr
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Cannabis-Legalisierung:
Von Felix Wendler

Herr Gerl, vor allem die Grünen und die FDP wollen die deutsche Drogenpolitik umgestalten. Sollte Cannabis legalisiert werden?

Dierk Gerl: Ich bin der Meinung, dass mit einer Legalisierung eine wichtige Signalwirkung verloren ginge. Natürlich kommt jeder an Cannabis, der Cannabis haben möchte. Die meisten Menschen sind allerdings rechtstreu und halten sich an Verbote. Eine Legalisierung würde einen falschen Anschein erwecken. Nach dem Motto: Was nicht verboten ist, kann auch nicht gefährlich sein.  

Aber gerade jene Menschen, mit denen Sie als Jugendrichter zu tun haben, lassen sich vermutlich ohnehin selten von Verboten abschrecken.

Das stimmt. Wir haben mit Personen zu tun, auf die ein solches Signal weniger wirkt, als es in der breiten Bevölkerung der Fall ist. Die Gefahr ist aber doch, dass bei einer Legalisierung mehr Menschen Drogen konsumieren würden.

Als Argument für eine Legalisierung wird immer wieder angeführt, dass dadurch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte entlastet würden. Welche Auswirkungen hätte eine Cannabis-Legalisierung auf Ihre Arbeit?

Auf meine Arbeitsbelastung hätte das kaum Auswirkungen. Wir haben relativ wenige Verfahren, die sich auf den Besitz von Drogen beziehen. Die werden im großen Umfang schon bei der Staatsanwaltschaft eingestellt. Dort würde eine Legalisierung wohl für eine Entlastung sorgen.

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Bremen hat den Grenzwert für den Eigenbedarf im vergangenen Jahr angehoben. Das ist bei Ihnen also nicht zu spüren?

Dadurch landen natürlich ein paar Fälle weniger auf meinem Tisch, aber es war auch vorher schon keine große Masse. Drogenprobleme spielen bei vielen meiner Angeklagten eine wichtige Rolle, aber eher als Begleiterscheinung in anderen Verfahren.  

Was für eine Rolle ist das?

Ich habe in zwanzig Jahren als Betreuungs- und Jugendrichter wohl alles gesehen, wozu Drogenkonsum führen kann: psychische Erkrankungen, sozialer Abstieg und Ausgrenzung, Vereinsamung. Gerade jugendlichen Konsumenten kommt häufiger die Fähigkeit abhanden, ihr Leben aktiv und konstruktiv zu führen. Das ist natürlich nicht bei jedem so, aber die Gefahr ist erheblich. Was ich erlebt habe, lässt mich zu dem Schluss kommen, dass junge Menschen vor dem Drogenkonsum bestmöglich geschützt werden müssen – auch vor Cannabis.

Das klingt ein bisschen so, als sei Cannabis für Sie der Ausgangspunkt tragischer Lebensläufe. Hängt der Umgang mit Drogen nicht eher von den sozialen Umständen ab?

Teilweise sind Drogen Ursache für Probleme, teilweise resultiert der Konsum aus den Lebensumständen. Man kann auch nicht immer genau abgrenzen, was zuerst da war.

Das Vorgehen gegen Cannabis-Konsumenten folgt keiner klaren Linie. Bremen fährt einen liberalen Kurs, in Münster wurde im vergangenen Jahr ein Strafbefehl wegen des Besitzes von 0,4 Gramm Marihuana beantragt. Wäre eine einheitliche Regelung sinnvoll?

Natürlich wäre es wünschenswert, wenn man nach einheitlichen Maßstäben arbeiten würde. Mir fällt auch kein Grund ein, der dagegen spricht.

In der Bevölkerung halten sich Befürworter und Gegner einer Legalisierung ungefähr die Waage. Unter Experten ist das ähnlich. Wie sieht es in Ihrem Kollegenkreis aus?

Genau lässt sich das nicht sagen, aber eine Mehrheit lehnt das Signal ab, das mit einer Legalisierung einherginge. Es positioniert sich aber auch nicht jeder eindeutig dafür oder dagegen. Viele konzentrieren sich einfach auf die inhaltliche Arbeit. Wichtig ist uns, die Jugendlichen und Heranwachsenden über die Gefahren des Drogenkonsums aufzuklären. Was letztendlich politisch entschieden wird, hat auf unsere wesentlichen Aufgaben gar nicht so viel Auswirkung. Fakt ist, dass wir wegen der Verfügbarkeit von Drogen weiterhin mit jungen Menschen und ihren Konsumproblemen zu tun haben werden. Und wir müssen uns mit diesen Problemen auseinandersetzen.

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Der Berliner Jugendrichter Andreas Müller positioniert sich eindeutig. Er macht Stimmung gegen die aktuelle Drogenpolitik und fordert eine Cannabis-Legalisierung. Wie beurteilen Sie sein öffentliches Auftreten?

Das Verhalten von Kollegen möchte ich nicht kommentieren. Nur so viel: Ich plädiere grundsätzlich für eine gewisse Zurückhaltung. Die Gewaltenteilung hat schon ihren Sinn.

Von Müller liegt ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht vor. Er bezweifelt, dass die Regelungen für den Besitz von Cannabis verfassungsmäßig sind. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?

Bei meinen Kollegen und mir herrscht Konsens, dass das Verbot von Drogen verfassungsgemäß ist. Das gilt auch für Cannabis. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht zu einer anderen Auffassung kommt. 

    Das Gespräch führte Felix Wendler.

 

Zur Person

Dierk Gerl

ist mit Unterbrechungen seit 2003 als Jugendrichter am Amtsgericht Bremen tätig. 

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