"Was tut Bremen für Frauen und Kinder aus dem Clan-Milieu, damit diese aus ihrem möglicherweise kriminellen Umfeld entfliehen können?", fragt die CDU den Senat. Die Christdemokraten haben zu Maßnahmen und Strategien zur Bekämpfung von Clankriminalität eine Große Anfrage gestellt, in dieser Woche gibt es hierzu eine Aktuelle Stunde in der Bürgerschaft. Wie berichtet, gibt es in Bremen keine speziell auf Clan-Angehörige zugeschnittenen Aussteiger-Programme. Anders ist dies in Nordrhein-Westfalen, wo die Initiative "Kurve kriegen" sich explizit auch an Kinder und Jugendliche aus dem Clan-Milieu wendet. Im Gespräch mit dem WESER-KURIER erläuterten zwei Mitarbeiter dieses Programms in Duisburg ihr Vorgehen.
Grundgedanke des Programms ist es, zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche, die bereits Straftaten begangen haben, vollends in die Kriminalität abrutschen und zu Intensivtätern werden, erläutert André Schumann. Der Kriminalhauptkommissar arbeitet im Kommissariat für Prävention in Duisburg. Gemeinsam mit drei Kollegen ist er für "Kurve kriegen" zuständig. Die vier Polizisten arbeiten dabei eng mit vier pädagogischen Fachkräften von freien Trägern zusammen, die mit ihnen in der Dienststelle im Polizeipräsidium sitzen.
"Wir bekommen jeden Monat eine Excel-Tabelle, in der alle Kinder und Jugendlichen aufgeführt sind, die in den letzten Monaten eine Straftat begangen haben", berichtet Schumann. Dadurch erhalte man einen Überblick, welche Kinder und Jugendlichen für das Programm interessant sein könnten. "Wir bekommen aber auch Hinweise aus Schulen oder vom Jugendamt, denen der eine oder andere Sorge bereitet." Dass die Behörden sich gegenseitig informieren dürfen, ist im Polizeigesetz von NRW geregelt.
Ist ein potenzieller Kandidat ausgemacht, wird er von Schumann oder einem seiner drei Kollegen aufgesucht und auf das Programm "Kurve kriegen" hingewiesen. In der Regel funktioniere dies gut, sagt Schumann. "Wir werden freundlich empfangen, sie freuen sich über die Hilfe." Die Eltern wüssten über Benachrichtigungen von der Schule oder über Anzeigen ja längst selbst, dass ihr Kind aus dem Ruder zu laufen droht.
Natürlich gebe es auch Eltern, die die Hilfe ablehnen. "Auch das läuft sachlich und respektvoll ab. Nur macht man uns dann eben deutlich klar, dass sie dieses Problem alleine regeln wollen." In einer Hinsicht macht sich Schumann ohnehin keine Illusionen: "An den inneren Kern der kriminellen Großfamilien kommen wir nicht ran, keine Chance." Sehr wohl aber an diejenigen "aus der dritten oder vierten Reihe". Familien, die selbst nichts mit kriminellen Aktivitäten zu tun haben, deren Nachwuchs aber trotzdem straffällig wird.
Erfolgt das Okay der Familie, darf der Polizist den Fall an einen der vier pädagogischen Fachkräfte weitergeben, mit denen die Polizei in Duisburg zusammenarbeitet. Einer von ihnen ist Markus Witalinski vom Diakoniewerk Duisburg. Auch er besucht die Familie, aber ohne Polizei. "Wir achten von Anfang an auf eine klare Rollentrennung." Die Polizei spricht die Familie an, die eigentliche Hilfe kommt anschließend von den pädagogischen Fachkräften.
Das beginnt mit einem Gespräch, der sogenannten "Clearing-Phase", erläutert Witalinski. Was ist bislang passiert? Wo könnten die Gründe liegen? Was soll geändert werden? "Herausfinden, wo die Baustellen sind", laute die Devise.
Probleme gebe es hierbei in der Regel nicht, sagt der Sozialwissenschaftler. Die Familien, die sich hierauf einließen, wollten gerade, dass die kriminelle Karriere ihres straffällig gewordenen Kindes nicht weiter an Fahrt aufnimmt. Dabei mache es keinen Unterschied, ob das Kind oder der Jugendliche aus einer Familie kommt, die dem Clan-Milieu zugerechnet wird oder nicht.
Im Fokus der Initiative steht die Altersgruppe von acht bis 15 Jahren. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt laut Witalinski bei knapp 13 Jahren, also kurz vor der Strafmündigkeit, die mit 14 Jahren beginnt. Im Portfolio der Maßnahmen gibt es Anti-Gewalt- und Sozialkompetenztrainings, freizeitpädagogische Aktivitäten oder auch – bei Schwierigkeiten in der Schule – gezielte Nachhilfe. Darüber hinaus seien er und seine Kollegen Ansprechpartner für alle Dinge, bei denen die Familien Rat benötigen.
Es ginge darum, die Kinder und Jugendliche auf andere Ideen zu bringen, ihnen zu vermitteln, dass sie Anerkennung bekommen könnten, ohne Straftaten zu begehen, erläutert Witalinski. "Wir drehen niemanden um 180 Grad, aber wir wollen verhindern, dass sie auf Dauer falsch abbiegen." Wichtig sei dabei, dass es um Angebote gehe. "Niemand wird verpflichtet, alles ist komplett freiwillig."
Das Verhalten der Kinder und Jugendlichen zu korrigieren, sei keine Sache von heute auf morgen, betont André Schumann. Durchschnittlich dauere es zwei Jahre, bis sie kein Fall mehr für "Kurve kriegen" sind. Bestenfalls begingen sie dann keine Straftaten mehr. Von den bisherigen Teilnehmern von "Kurve kriegen" in Duisburg hätten knapp zwei Drittel keine Straftat mehr begangen oder nur noch "ganz, ganz wenige". Darunter ist zu verstehen, dass beispielsweise ein Teilnehmer, der mit 20 schweren Straftaten wie etwa gefährliche Körperverletzung, Erpressung oder Raub gestartet ist, am Ende maximal noch durch ein oder zwei einfache Straftaten wie Schwarzfahren oder Beleidigung aufgefallen ist.