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Abstimmung am 9. Juni Das sind die Bremer Kandidaten für die Europawahl

Sie sind auf den Wahlplakaten im Stadtgebiet präsent, aber politisch größtenteils eher unbekannt: die Bremer Kandidaten für die Europawahl. Warum sie kandidieren, haben sie dem WESER-KURIER erzählt.
02.05.2024, 05:00 Uhr
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Von Felix Wendler Frank Hethey Timo Thalmann Jürgen Theiner
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Sie wollen von Bremen nach Straßburg: Mehrere Kandidaten und Kandidatinnen aus dem kleinsten deutschen Bundesland treten am 9. Juni bei der Europawahl an. Sie bewerben sich um ein Abgeordnetenmandat im europäischen Parlament, das alle fünf Jahre neu gewählt wird. Für die Bremer Bewerber stehen die Chancen dieses Mal denkbar schlecht: Bei keiner Partei haben es die Kandidaten geschafft, sich auf den Listen einen aussichtsreichen Platz zu sichern.

Nach fast einem halben Jahrhundert dauerhafter Präsenz wird es aller Voraussicht nach ein europäisches Parlament ohne Mitglied aus Bremen geben. Was treibt die Bewerber trotz schlechter Erfolgsaussichten an? Wer sind die Menschen, die aktuell auf Plakten überall im Stadtgebiet zu sehen sind? Der WESER-KURIER hat mit den Bremer Spitzenkandidaten gesprochen.

Lucas Fiola (Linke)

Vor zwei Jahren entschied sich Lucas Fiola für Bremen und gegen Berlin: Er gab seine Stelle bei den Bundes-Linken auf, um in Bremen Wahlkampf zu machen. Der heute 25-Jährige betreute die Kampagne "Das neue Rot", mit der die Linke ihren Bürgerschaftswahlkampf führte. Fiola blieb auch danach in Bremen – der Stadt, in der er sich nach eigener Aussage zum ersten Mal wirklich zu Hause fühlt. Mittlerweile hat er einen neuen Aufgabenbereich, wirkt bei der Linken-Bürgerschaftsfraktion in der Öffentlichkeitsarbeit mit. Sein Spezialgebiet, das er auch studiert hat, ist das bewegte Bild: 2018 gründete Fiola mit Freunden eine Filmfirma, die unter anderem Werbekampagnen produziert.

Politisch sieht der gebürtige Kasseler die Wohnungskrise als große Herausforderung. Explodierende Mieten und die damit einhergehende soziale Frage müssen seiner Ansicht nach nicht nur regional und national, sondern auch auf europäischer Ebene angegangen werden. Angemessene Steuern für multinationale Wohnungskonzerne, gesetzliche Instrumente gegen Spekulation mit Wohnraum – Potential gebe es genug, sagt Fiola. Er selbst stehe auch ein bisschen für den Neustart innerhalb der Linken: "Wir sprechen eine klarere Sprache", sagt er über die neuen, oft jungen Mitglieder, die nach dem Wagenknecht-Austritt in die Partei eingetreten sind.

Auch den Bremer Weg wolle er als Kandidat repräsentieren; zeigen, dass "Regierungsbeteiligung mit linker Handschrift" funktioniere. Fiola ist sachkundiger Bürger im Beirat Östliche Vorstadt, Pläne für andere Ämter innerhalb der Partei habe er bislang nicht.

Annika Barlach (SPD)

Wenn jemand überhaupt gut für ein EU-Mandat vorbereitet sein kann, dann gilt das wohl für Annika Barlach. Die Wahlbremerin arbeitet als Referentin in der Bremer Landesvertretung in Brüssel und ist tagtäglich mit europapolitischen Themen befasst. "Es gibt so viele Fragen, die wir national nicht lösen können, zum Beispiel die künftige Nutzung künstlicher Intelligenz und der Fortschritt in der Digitalisierung", sagt die 35-Jährige. Sie hat den Ehrgeiz, vom Verwalten zum Gestalten überzugehen. Aber werden die Wähler sie lassen? Auf der SPD-Bundesliste reichte es für die Vertreterin des kleinen Bremer Landesverbandes nur für einen recht chancenarmen Platz. Gut 26 Prozent müssten die Sozialdemokraten am 9. Juni einfahren, damit es für Annika Barlach gerade noch reicht. "Ich schaue mir gerade keine Umfragen an", sagt die Genossin. Besser isses.

Sind die Aussichten für den Einzug ins EU-Parlament auch schlecht – Annika Barlach wird sich bis zum Wahltag trotzdem voll reinhauen. Ihr Haustür-Wahlkampf läuft schon seit ein paar Wochen. "Die Leute sind in der Regel nicht abweisend. Sie reagieren überwiegend positiv, man kommt ins Gespräch", gibt die Kandidatin ihre Erfahrungen wieder. Sich zu engagieren, ohne eine unmittelbare Belohnung zu erwarten, das kennt die Sozialdemokratin aus der Östlichen Vorstadt. Sie wuchs im ländlichen Raum in Ostwestfalen auf, und dort war es absolut üblich, sich sozial zu betätigen. Zur SPD stieß Barlach als Studentin der Politikwissenschaft. 2011 war das, nachdem sie ein – offenbar bereicherndes – Praktikum bei der SPD-Bürgerschaftsfraktion absolviert hatte.

Sollte es bei der Europawahl wider Erwarten doch klappen mit einem Mandat, dann will sich Annika Barlach vor allem dafür einsetzen, dass die soziale Dimension der EU bei den Menschen im Alltag ankommt – ganz besonders bei den Frauen. Gleichstellung bleibt für Barlach eine ganz wichtige Aufgabe.

Celine Eberhardt (FDP)

Mit 25 Jahren schon Mitglied des Europaparlaments – das wäre natürlich was. Celine Eberhardt versucht es, auch wenn sie wie ihre SPD-Konkurrentin Barlach schon ein mittleres Wunder bräuchte, um das Ticket nach Straßburg tatsächlich zu lösen. Platz 12 auf der Bundesliste der Liberalen wird angesichts der aktuellen FDP-Umfragewerte kaum reichen. 14 Prozent müsste die FDP bundesweit machen, damit aus Celine Eberhardt eine Europaabgeordnete wird. Schwer vorstellbar. Der Motivation für den Wahlkampf tut das jedoch keinen Abbruch. Schon seit Januar ist Celine Eberhardt im Kampagnenmodus, verteilt Flyer, besetzt Stände, plakatiert.

Nach Bremen kam die junge Liberale vor sechs Jahren. Sie stammt aus einem Dorf im südlichen Sachsen-Anhalt, das Abitur legte sie in Leipzig ab. In den Norden ging es anschließend für ein duales Studium "Arbeitsmarktmanagement". Inzwischen ist Eberhardt bei der Bundesagentur für Arbeit tätig, genauer: im Jobcenter. Dort gilt es, Langzeitarbeitslose – oft mit ausgeprägten Vermittlungshemmnissen – wieder in Lohn und Brot zu bringen.

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Die Arbeitsverwaltung ist eigentlich ein klassisches SPD-Biotop. Aktive Freidemokraten muss man dort mit der Lupe suchen. Doch Celine Eberhardt sieht sich dort genau richtig. "Ich möchte Menschen in die Lage versetzen, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Das ist doch ein sehr liberaler Ansatz, das klassische Aufstiegsversprechen", findet die EU-Kandidatin. Sie freue sich jedenfalls mit jedem Jobcenter-Kunden, dem sie ein Erfolgserlebnis verschaffen kann. Ob für sie selbst auch eins drin ist am 9. Juni? Zumindest ein gutes Resultat als Bremer Spitzenkandidatin möchte Celine Eberhardt erreichen.

Alexandra Werwath (Grüne)

Von den Bremer Kandidaten für die Europawahl dürfte sie in der Hansestadt die bekannteste sein: Immerhin gehörte die 31-Jährige knapp sechs Jahre zum Führungsduo der Bremer Grünen. Nach der Niederlage bei der vergangenen Bürgerschaftswahl zog Alexandra Werwath die Konsequenzen und kandidierte nicht erneut für den Landesvorsitz. Stattdessen ging die gebürtige Bremerin für die Europawahl ins Rennen und landete auf Platz 23 der Grünen-Bundesliste – so wie Henrike Müller vier Jahre zuvor.

Sich selbst versteht Werwath als „Europäerin durch und durch“. Die EU sieht sie als Garant für Freiheit, Frieden und Menschenrechte. Privilegien wie die Reisefreiheit will sie nicht missen, mit solchen Dingen sei sie aufgewachsen. Als frühere Büroleiterin der grünen Europa-Abgeordneten Katrin Langensiepen (von 2020 bis März 2024) hat sie in der Europapolitik schon einige Erfahrungen gesammelt. Besonders wichtig ist ihr nach eigener Angabe die Anbindung der bremischen Seehäfen. „Ohne Häfen keine Offshore-Windparks als zentraler Bestandteil der Energiewende“, sagt sie. „Deshalb können wir es uns nicht mehr leisten, die maritime Wirtschaft als norddeutsches Hobby zu diskreditieren.“

Beim Stimmenfang klopft Werwath nicht nur an etliche Haustüren oder zeigt sich am Wahlkampfstand. Nach den guten Eindrücken im Bürgerschaftswahlkampf lässt sie sich auch öfter mal in Kleingärten blicken. Das sei ein „sehr schönes Format“, sagt sie. „Es ist total wichtig, dahin zu gehen, wo die Leute sind.“ Auch wenn den Grünen kaum mehr als 15 der 96 deutschen Mandate prognostiziert werden, setzt Werwath als notorische Optimistin auf ein möglichst gutes Ergebnis. „Vielleicht klappt es ja.“

Christian Kornek (CDU)

Bei dem Spitzenkandidaten der Bremer Christdemokraten muss der olympische Gedanke besonders ausgeprägt sein, denn mehr als nur dabei zu sein wird Christan Kornek nicht gelingen. Weil die CDU mit Landeslisten statt einer gemeinsamen Bundesliste antritt, hat der gebürtige Bremer nicht einmal theoretisch eine Möglichkeit, ins EU-Parlament einzuziehen, selbst wenn sämtliche Bremer Wähler CDU wählen würden.

Kornek weiß das und sieht sein Engagement als Kandidat darum gleichauf mit den Aktivitäten jedes anderen Parteimitglieds. "All denjenigen, die Veranstaltungen organisieren und an Infoständen stehen, winkt ja auch kein Mandat", sagt der 32-Jährige, der hauptberuflich das Jobcenter in Rotenburg/Wümme leitet.

Bislang ist der Volkswirt politisch allein im Beirat Hemelingen in Erscheinung getreten. Nun spricht er darüber, warum manche Themen unbedingt europäisch gelöst werden sollten. Als langjähriger Soldat – er war acht Jahre bei der Bundeswehr – plädiert er etwa für eine abgestimmte europäische Verteidigungspolitik und gemeinsame Rüstungsprojekte, aber auch Klimaschutz sei nur international zu bewerkstelligen.

Insgesamt bewertet er die Motivation, sich für Europa und die Europawahlen zu interessieren, als "ausbaufähig". Er hat Sorge, dass vor allem die zur Wahl gehen, die der Politik einen Denkzettel verpassen wollen. Bei der Europawahl könne man das aber nur scheinbar ohne Konsequenzen tun. "Das Europaparlament hat eine bedeutendere Rolle, als viele glauben." Und auch, wenn er persönlich nicht dorthin gewählt werden könne, die Bremer Stimmen für die CDU zählten ja trotzdem mit für das Wahlergebnis der Christdemokraten.

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