Elf Parlamentarier treffen sich am Dienstag zu einer Sondersitzung. Sie kommen um 14.45 Uhr ins Haus der Bürgerschaft, um darüber zu beraten, ob Polizei und Staatsanwaltschaft dem Vorwurf der versuchten Nötigung gegen den grünen Abgeordneten Wilko Zicht nachgehen können. Dazu muss die Immunität aufgehoben werden, die gewählte Mandatsträger davor schützt, dass Behörden von sich aus ermitteln. Die Entscheidung fällt im Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss, den Parlamentspräsident Christian Weber leitet und dem weitere zehn Abgeordnete angehören.
Auch Parlamentarier, die bereits mehrere Wahlperioden hinter sich haben, können sich an eine solche Situation nicht erinnern: Fast zeitgleich wird über die Immunität von drei Parlamentskollegen beraten – und das, obwohl die Bürgerschaftswahl erst rund zwölf Wochen zurückliegt und die Legislaturperiode noch neu ist.
>> Interview: Wilko Zicht äußert sich zu den Vorwürfen <<
Zunächst ging es kurz nach der Wahl am 10. Mai um Mehmet Acar, den die SPD auf ihre Kandidatenlisten gesetzt hatte und der dann ein Bürgerschaftsmandat errang. Ihm wird vorgeworfen, er haben als Bauunternehmer Steuern und Sozialbeiträge nicht korrekt abgeführt. Seine Immunität wurde aufgehoben, die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen abgeschlossen, auf Acar wartet ein Gerichtsverfahren.
Es dauerte nicht lange, da beschäftigte der SPD-Abgeordnete Andreas Kottisch das Parlament. Wieder ging es um die Frage, ob Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln können, auch in seinem Fall wurde die Immunität aufgehoben. Der langjährige Parlamentarier steht im Verdacht, seine Software-Firma habe Angestellte des Bremerhavener Magistrats zum Essen eingeladen, während die Firma zugleich Auftragnehmer der Stadt war. Bei der Staatsanwaltschaft hieß es am Montag, die Ermittlungen liefen noch.
Heute nun Wilko Zicht. Er ist neu als grüner Abgeordneter, war aber ab 2011 bereits Mitglied der Bildungsdeputation. Hintergrund dafür, dass er Polizei, Staatsanwaltschaft und nun auch den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss der Bürgerschaft beschäftigt, sind Kontroversen zwischen linken und rechten Fußballanhängern. In einem Lokal im Peterswerder war es im Frühjahr zu Zwischenfällen gekommen – die Polizei hatte eingegriffen. Der Vorfall war damit jedoch nicht erledigt, es gab weiter Spannungen. Zicht steht im Verdacht, die Wirtin jüngst dazu genötigt zu haben, sich von den Rechten zu distanzieren. Es liegt eine Anzeige gegen ihn vor – Polizei und Staatsanwaltschaft wollen ermitteln. Hatte der Abgeordnete sich eingeschaltet, um die Lage zu befrieden, oder bot er einen Anlass dafür, dass sich die Betreiberin der Gaststätte bedroht fühlen konnte? Zicht ist selbst in der Szene der Fußballanhänger engagiert und gehört dem „Bündnis aktiver Fußball-Fans“ an.
Im Vorfeld der heutigen Sitzung des Parlamentsausschusses hatte sich am Montag die grüne Bürgerschaftsfaktion mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aufhebung der Immunität befasst. Rund eine halbe Stunde lang dauerte die Debatte über Wilko Zicht, der, wie es hieß, das Thema „auf eigenen Wunsch angesprochen“ habe. Unter anderem wurde über die Forderung der CDU gesprochen, wonach der Abgeordnete sein Mandat unter anderem in der Innendeputation ruhen lassen müsse, wenn seine Immunität heute aufgehoben werde. Der christdemokratische Abgeordnete Wilhelm Hinners hatte erklärt, er erwarte das, weil Zicht als Parlamentarier nicht die Polizei kontrollieren könne, wenn sie gegen ihn ermittele.
Die Grünen, so Vize-Fraktionschef Björn Fecker nach der Beratung der Abgeordneten, „sehen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt keine Veranlassung, der Forderung der CDU nachzukommen“. Vielmehr müsse gefragt werden, „welches Bild die CDU von Polizei und Staatsanwaltschaft hat, wenn sie unterstellt, dass sich die Ermittlungsbehörden beeinflussen lassen“.
Dem Bürgerschaftsausschuss, der am Nachmittag über die Immunität von Zicht berät, gehören neben dem Vorsitzenden Christian Weber die Sozialdemokraten Sybille Böschen, Antje Grotheer und Fraktionschef Björn Tschöpe an, der die Sondersitzung angeregt hatte. Hinzu kommen für die CDU Sandra Ahrens, Fraktionschef Thomas Röwekamp und Frank Imhoff. Die Grünen sind mit der Fraktionsvorsitzenden Maike Schaefer sowie Sülmez Dogan vertreten, die Linke mit Fraktionschefin Kristina Vogt und die FDP mit ihrem Abgeordneten Magnus Buhlert.