Die Pflegeeinrichtungen und damit ihre Bewohner stehen vor großen Problemen. Sie sehen im schlimmsten Fall Insolvenzen einzelner Häuser und Träger auf sich zukommen, weil sie die aktuell steigenden Energiekosten weder unmittelbar an die Bewohner weitergeben können noch seriös die Gesamtkosten für ein Jahr im Voraus kalkulieren können.
Verhindert wird beides durch ein Finanzierungssystem, bei dem feste Budgets für die kommenden zwölf Monate ausgehandelt werden. Die Betreiber müssen dafür in den Pflegesatzverhandlungen gegenüber Pflegekasse und Sozialhilfeträger ihre Kosten für Personal, Unterkunft, Verpflegung sowie den Unterhalt der jeweiligen Immobilie angeben. „Aber genau das können wir derzeit kaum leisten“, sagt Petra Karin Sklorz, Geschäftsführerin der Pflegeeinrichtungen und mobilen Pflegedienste der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bremen.
So sei der Awo beispielsweise vom Energieversorger der Rahmenvertrag gekündigt worden. Neue langfristige Verträge mit Laufzeiten würden kaum angeboten und falls doch, um ein Vielfaches teurer. „Wir müssen aber langfristig kalkulieren, weil die Kosten für die Bewohner stets für ein Jahr gelten.“
Auch alle übrigen Lieferanten vom Toilettenpapier über medizinische Waren bis zu den Lebensmitteln hätten die Preise erhöht oder dürften das in nächster Zeit tun. „Auch an dieser Stelle können wir kaum verlässlich planen.“ Ein drittes Problem: Vom 1. Juli 2023 an gilt ein neuer bundesweit einheitlicher Personalschlüssel. Allerdings fehlen an vielen Stellen noch Konkretisierungen durch die Länder. „Wir wissen also derzeit nicht, mit wie viel Personal wir ab Jahresmitte planen müssen“, sagt Sklorz.
Höhere Eigenanteile für Bewohner
Oliver Schulz, der für die Einrichtungen der Diakonie am Verhandlungstisch sitzt, geht in jedem Fall von deutlich höheren Eigenanteilen für die Bewohner aus. „Schon allein, weil wir im kommenden Jahr die Kosten für zahlreiche bereits vorhandene Pflegehilfskräfte in den regulären Pflegesatz überführen müssen.“ Sie wurden bislang aufgrund eines noch vom ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stammenden, zeitlich begrenzten Gesetzes aus Steuermitteln bezahlt. Zusammen könnten alle Preissteigerungen die Zuzahlungen der Bewohner für ihre Unterbringung um mehrere Hundert Euro im Monat erhöhen. Der Pflegeschutzbund Deutschland verweist schon jetzt auf Einzelfälle mit zusätzlichen Kosten von bis zu 1300 Euro. Im Schnitt zahlen die Bewohner nach Erhebungen des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) in Bremen bislang 2178 Euro pro Monat aus eigener Tasche dazu, in Niedersachsen sind es 1913 Euro, bundesweit 2248 Euro.
Sklorz, Schulz sowie auch Martin Böckmann vom Vorstand der Caritas fordern bei den Energiekosten einen Preisdeckel für die Pflegeeinrichtungen oder mindestens die Möglichkeit, Kostensteigerungen auch während der einjährigen Laufzeit unbürokratisch anpassen zu können. „Weil wir als Wohlfahrtsverband keine großen Rücklagen bilden dürfen, kommen unsere Häuser ganz schnell in Existenznot, wenn wir plötzlich steigende Kosten nicht zeitnah weitergeben können“, erläutert Schulz.
Auf Verdacht und zur Sicherheit erhebliche Kostensteigerungen geltend zu machen, sei wiederum gegenüber den Bewohnern nicht vertretbar. Weil die Pflegeversicherung gleichbleibende Zuschüsse zahlt, geht jede Kostensteigerung automatisch vollständig zu ihren Lasten. „Wir wollen nicht mehr Geld, als für den Betrieb notwendig“, sagt Sklorz. Die Unsicherheit in der Kalkulation sei der Pflegekasse bewusst, sagt Christiane Rings, Sprecherin des VDEK in Bremen. „Da die größten Kostensteigerungen im Energiebereich zu erwarten sind, würde ein Energiepreisdeckel viel Druck aus dem System nehmen“, stimmt sie der Forderung der Betreiber zu.
Das Bremer Sozialressort erwartet eine Lösung auf der Ebene des Bundes und stehe dazu im engen Austausch mit den Fachministern anderer Länder, heißt es auf Nachfrage. „Das Problem betrifft auch Krankenhäuser, Einrichtungen der Eingliederungshilfe und jeden weiteren Träger, bei dem die Kalkulation künftiger Ausgaben Grundlage für Kostensätze ist“, sagt David Lukaßen, Büroleiter der Sozialsenatorin. Wenn Bewohnerinnen und Bewohner ihren Pflegeplatz nicht mehr allein bezahlen könnten, müsse der Staat über die Grundsicherung einspringen, so der Sprecher weiter. „Es ist davon auszugehen, dass die Kosten in diesem Bereich steigen werden.“