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Zukunft der Pflege Pflegedienste mit finanziellen Sorgen

Pflegeanbieter kritisieren ihre mangelnde Finanzierung durch die Pflegekasse. Vor allem bei den ambulanten DIensten könnten weder private Unternehmen noch die Wohlfahrtsverbände auskömmlich wirtschaften.
25.08.2022, 05:00 Uhr
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Pflegedienste mit finanziellen Sorgen
Von Timo Thalmann

Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Weser-Ems befürchtet, dass in den kommenden Jahren zahlreiche ambulante Pflegedienste ihr Angebot einstellen. Dann würde es für Betroffene und ihre Familien noch schwieriger, professionelle Hilfe für die häusliche Pflege zu organisieren. "Die Folge wäre, dass wieder mehr Menschen in ein Pflegeheim kommen, die dort eigentlich nicht sein müssten", sagt Harald Groth, Vorsitzender des Präsidiums der Awo im Bezirk Weser-Ems. Im Viereck zwischen Osnabrück, Cuxhaven, Emden und Nordhorn sind 19 stationäre Pflegeeinrichtungen und sechs ambulante Dienste der Awo im Bezirk Weser-Ems organisiert. 

In einem vor wenigen Tagen abgeschickten Brandbrief an die niedersächsische Landesregierung nennt der Wohlfahrtsverband als Grund für seine Sorge in erster Linie gestiegene Kosten, die derzeit allesamt nicht durch die Pflegekasse ausgeglichen werden. Das fange bei ungenügenden Pauschalen für die Fahrtkosten zu den Patienten an und ende bei zu niedrigen Sätzen für einzelne Pflegeleistungen. "Wir haben unter dem Dach der Awo Weser-Ems zwei ambulante Pflegedienste, die im Jahr jeweils ein sechsstelliges Minus in der Bilanz haben", sagt Groth. Das könne man als Wohlfahrtsverband zwar eine Weile ausgleichen, aber auch nicht auf Dauer.

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Bei vielen privaten Pflegedienstleistern kommen zusätzlich ab 1. September höhere Lohnkosten durch das Tariftreuegesetz hinzu. Es verpflichtet Arbeitgeber, die bislang keinen Tarifvertrag beachtet haben, sich entweder an ein vorhandenes Tarifwerk in ihrer Region anzulehnen oder ein von der Pflegekasse ermitteltes regionales Entgeltniveau zu bezahlen. Das liegt in Bremen beispielsweise für eine ausgebildete Fachkraft bei 20,12 Euro in der Stunde und in Niedersachsen bei 22,21 Euro. Für lediglich angelernte Pflege- und Betreuungskräfte ohne die mindesten einjährige Helferausbildung liegt der Lohn demnach bei 14,79 in Bremen und 16,20 in Niedersachsen. Hinzu kommen Zuschläge für Sonntage sowie Nachtschichten. 

Private ambulante Pflegeanbieter, die ungenannt bleiben wollen, räumen ein, dass sie angesichts der daraus resultierenden Lohnsteigerungen von bis zu 20 Prozent, damit beginnen, Patienten auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszuwählen. Zu lange Anfahrtswege sind dann ebenso ein Ausschlusskriterium wie zeitaufwendige Pflege ohne entsprechende Vergütung. Ein Anbieter nennt als Beispiel eine komplette Waschung, die bis zu 45 Minuten dauern könne und von der Kasse pauschal mit rund 26 Euro vergütet werde. So etwas rechne sich nicht. ""Wir machen entweder zu oder beschränken unser Angebot", lautet der Tenor.

Stefan Block, Geschäftsführer des ambulanten Pflegedienstes des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Bremen, sieht es ähnlich: Die mangelnde Refinanzierung der Kosten durch die Pflegekasse sei das Grundproblem. Diese mache sich auf allen Seiten bemerkbar: "Die Sachkostenzuschüsse für die Patienten aus der Pflegekasse sind zu niedrig, sodass die privaten Zuzahlungen steigen, zugleich werden den Anbietern nicht die Preise zugestanden, mit denen sie langfristig existieren können", sagt Block. Auch für die ambulante Pflege des ASB rechnet er im kommenden Jahr mit einem sechsstelligen Defizit, dass selbst ein Wohlfahrtsverband nicht dauerhaft ausgleichen könne.

In der stationären Pflege dürfen die Anbieter sich steigende Kosten dagegen prinzipiell über wachsende  Eigenanteile zurückholen. Das bedeutet allerdings, dass allein die Bewohner die Mehrkosten zahlen, da der Anteil der Pflegeversicherung gedeckelt ist. Das wirkt sich bei einigen privaten Anbietern deutlich aus.

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Die Convivo-Gruoppe mit allein zehn Häusern in Bremen wird nach dem 1. September beispielsweise Gehälter auf Basis des regionalen Entgeltniveaus bezahlen. Dadurch wird es Lohnzuwächse zwischen zehn und 25 Prozent geben, je nach vorherigem Lohnniveau in ihren über 100 Pflegeeinrichtungen in insgesamt zehn Bundesländern. "In diesem Rahmen werden auch die Eigenanteile steigen müssen", sagt Timm Klöpper von der Geschäftsführung. In einem kürzlich neu übernommenen Haus, wo die Pflegesätze seit 2016 nicht angepasst wurden, verhandele man mit den Pflegekassen derzeit sogar über mehr als 1000 Euro zusätzlichem Eigenanteil für die Bewohner, nennt er ein Extrembeispiel aus Niedersachsen. "Da blutet einem das Herz, denn im Grunde wird Pflege für einen durchschnittlichen Rentner so nicht mehr bezahlbar", kommentiert Klöpper.

Weil in Bremen die Träger der Wohlfahrtsverbände ihren Beschäftigten schon jetzt Tariflöhne zahlen, sorgt das Tariftreuegesetz bei ihnen nach dem 1. September zwar nicht für mehr Kosten, die gestiegene Energiepreise gelten indes auch für Pflegeheime und dürften überall zu höheren Eigenanteilen führen.

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