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Zahlreiche Vorwürfe zur Feuerwehr bestätigt Dramatisches Versagen

Die Feuerwehr Bremen steht vor einem Scherbenhaufen. Hat aber die Chance für einen Neuanfang, meint Redakteur Ralf Michel. Wenn sie denn bereit ist, Konsequenzen aus dem Ermittlungsbericht zu ziehen.
09.06.2021, 18:50 Uhr
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Dramatisches Versagen
Von Ralf Michel

Auf den ersten Blick scheint wenig rumgekommen zu sein bei der Überprüfung der Vorwürfe gegen die Bremer Feuerwehr: Die strafrechtlichen Ermittlungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach eingestellt, weil die im Raum stehenden Vorwürfe nicht haltbar waren. Bleiben ganze drei Disziplinarverfahren, die zu Geldbußen führten. Und selbst bei denen ist nicht sicher, ob sie Bestand haben werden.

Man kann die Geschichte aber auch anders erzählen: Da ist zum Beispiel der Hauptbeschuldigte. Ihm werden Rechtsextremismus und Rassismus vorgeworfen. Strafrechtlich mag er davonkommen, doch ob er je wieder in seinem Beruf als Feuerwehrmann arbeiten wird, ist zumindest fraglich. Bei ihm wurden haufenweise Dateien mit eindeutig rassistischen sowie nationalsozialistischen Tendenzen gefunden. Die Innenbehörde leitet daraus ein „fest verankertes Weltbild“ des Beschuldigten ab, geprägt von "Rassismus, dem historischen Nationalsozialismus und Feindseligkeiten gegenüber Nicht-Deutschen". Das lässt erahnen, was auf den Beamten noch zukommen wird.

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Zur Erinnerung: Schon bei seiner vorläufigen Suspendierung im Herbst war von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens „mit dem beabsichtigten Ziel der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis“ die Rede. Wenn das tatsächlich passiert, verliert letztlich ein Mensch nur deshalb seine Arbeit, weil er vor fünf Jahren bösartige menschenverachtende "Witzchen" via Whatsapp verschickt hat. Und alle – Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn – wüssten, warum er bei der Feuerwehr rausgeflogen ist. Das mag man trotzdem für angemessen halten, aber "wenig" ist das gewiss nicht.

Weit weniger hart trifft es die drei Feuerwehrmänner, gegen die Geldbußen verhängt wurden. Aber auch für sie gilt, dass ihr gesamtes persönliches und berufliches Umfeld von ihren Vergewaltigungsfantasien weiß, weil sie im 21. Jahrhundert immer noch nicht damit klarkommen, eine lesbische Kollegin zu haben.

All das ist nun öffentlich, kann nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden. Und genau hier liegt der eigentliche Wert der Untersuchungen von Sonderermittlerin Karen Buse. Ja, es bleiben viele Fragen offen. Zuvorderst die, wie es sein konnte, dass eine über Jahre hinweg schikanierte Frau, die sich mit ihren Sorgen, Nöten und Ängsten nicht nur an ihre Vorgesetzten wandte, sondern auch an den Personalrat, die Frauenbeauftragte, ja selbst an die Antidiskriminierungsstelle, keinerlei nennenswerte Unterstützung erhielt. Sondern stattdessen, als sei sie die Schuldige, mehrfach innerhalb der Feuerwehr versetzt wurde. Unter anderem in eine Wachabteilung, die intern als „Bootcamp“ galt, eine Art Umerziehungsstation für „Problemfälle“.

Und ja, der Abschlussbericht kommt angesichts der Ungeheuerlichkeiten, die in der Bremer Feuerwehr passiert sind, überaus nüchtern und emotionslos daher. Aber er verschweigt nichts. Weder das rechtsextremistische Gedankengut, noch den Rassismus, die offenbar ebenso zum Arbeitsalltag der Bremer Feuerwehr gehörten wie Sexismus, Homophobie und Mobbing. Der Bericht offenbart ein System, in dem ungestört mit Angst, Unterdrückung und Repressalien gegen Abweichler vorgegangen werden konnte. Und er benennt in aller Deutlichkeit das dramatische Versagen von Führungskräften, die sehr wohl von den Vorfällen wussten, aber wegsahen, sie vertuschten oder sich sogar selbst daran beteiligten. 

Der Dank dafür, dass all dem jetzt ein Ende gesetzt werden kann, gebührt einer Feuerwehrfrau und zwei Feuerwehrmännern. Da, wo Vorgesetzte und Dienstaufsicht über Jahre jämmerlich versagten, hatten sie den Mut, die Mauer des Wegsehens und Schweigens einzureißen, indem sie Anzeige erstatteten und an die Öffentlichkeit gingen.

Nun liegt es an der Feuerwehr, die richtigen Lehren zu ziehen und die Zustände nachhaltig zum Besseren zu verändern. Apropos: Eigenes Fehlverhalten und hier vor allem rassistische Äußerungen damit zu rechtfertigen, dass man angeblich schlechte Erfahrungen mit bestimmten Bevölkerungsgruppen gemacht hat, ist kein guter Start für einen wirklichen Neuanfang.

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