Bremen ist die Nummer eins! Das tut gut in einer Stadt, in der sich die Selbstbewertung normalerweise irgendwo in den Kellerregionen zwischen Pisa-Ergebnissen und Werders Tabellenplatz einpendelt. Doch Bremen ist bereits zum dritten Mal in Folge zur fahrradfreundlichsten Großstadt Deutschlands gewählt worden. Auch der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr liegt hier im Bundesvergleich an der Spitze. Deshalb sollte man die positive Nachricht auch erst mal so stehen und sacken lassen. Bremen bleibt die Fahrradhauptstadt Deutschlands. Das stärkt das Selbstbewusstsein. Punkt.
Zumal Bundesverkehrsminister Volker Wissing keinen Zweifel daran lässt, welchen Stellenwert er dem Radverkehr für die Zukunft beimisst. „Wir wollen es den Menschen leicht machen, sich für den Radverkehr zu entscheiden.“ Das ist gesund und schont die Umwelt. Wissing spricht sogar davon, dass E-Bikes Technologiemotor seien, und kündigt weitere Förderprogramm an, unter anderem für sichere Radstationen in Bahnhofsnähe. Und das von einem FDP-Politiker, der nicht im Verdacht steht, autofeindlich eingestellt zu sein.
Ist also alles gut auf Bremens Radwegen, und Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne) kann sich angesichts des Erfolgs auf die Schulter klopfen? Das wäre ein Missverständnis. Und ein Wahlgeschenk ist das Ergebnis schon gar nicht. Nur ein hauchdünner Vorsprung – quasi eine Reifenlänge – trennt Bremen noch von Frankfurt am Main und Hannover. Alle drei haben eine Bewertung von 3,6 erhalten, mit geringen Abständen. Gemessen am ständigen Vorwurf, Schaefer würde eine Verkehrspolitik einseitig zugunsten der Radfahrer machen, ist eine durchwachsene 3,6 mit knappem Abstand eben kein Grund, lange im Jubel zu verharren.
Berücksichtigt man dann noch die aufgeregten Debatten über Premiumrouten, über den Umbau von Wall und Martinistraße und die geplanten Radbrücken für Millionen Euro – dann muss das Ergebnis in Schaefers Amtsgebäude eher mit Ernüchterung zur Kenntnis genommen werden. Hätte der Abstand angesichts all der Anstrengungen nicht deutlicher ausfallen müssen?
Der Vergleich mit anderen Großstädten – auch wenn er positiv ausfällt – sagt dann auch tatsächlich nichts aus über die Alltagstauglichkeit der Fahrradinfrastruktur in der Fläche. Und da hat Bremen allen Investitionen und Ausbauprogrammen zum Trotz den größten Nachholbedarf.
Wer nicht gerade eine ausgebaute Radroute wie die Wachmannstraße vor der Haustür hat, für den ist der tägliche Weg mit dem Rad zur Arbeit geprägt von Widernissen und Gefahren. Kopfsteinpflaster, Baumwurzeln, metergroße Pfützen, fehlende Radstreifen, parkende Autos auf den Radwegen, ungeregelte Querungen, Baustellen ohne vernünftige Ausweichmöglichkeiten - die Wirklichkeit in der Fahrradstadt Bremen hinkt dem Anspruch weit hinterher. An vielen Stellen der Stadt ist das Radwegenetz weder einladend noch integriert. Und es kommt bekanntlich überall dort, wo sich Autos, Radfahrer und Fußgänger den Verkehrsraum teilen müssen, zu Konflikten, weil jeder meint, das Recht auf seiner Seite zu haben. Dass dies auch in anderen Städten der Fall sein mag, hilft den Rad fahrenden Verkehrsteilnehmern in Bremen nicht.
Und es gibt letztlich ein Ungleichgewicht in der Stadt. Auf der einen Seite stehen die prestigeträchtigen Projekte im Bereich Innenstadt und Uni – auf der anderen Seite die vergessene Fahrrad-Peripherie. Der Fahrradalltag spielt sich eben nicht nur auf dem Osterdeich und am Wall ab, sondern auch in Aumund und Arbergen. Wo vierspurige Straßen ohne Fahrradspur oder Ampel gequert werden müssen, da kann von einem hohen Maß an Verkehrssicherheit und Fahrkomfort nicht die Rede sein. Die seit Jahren angekündigte Premiumroute von Farge bis Mahndorf ist weiterhin Stückwerk.
Ein Polster zum Ausruhen gibt es nicht. Wenn Bremen sich den Titel der fahrradfreundlichsten Großstadt sichern will, muss also die Mobilitätssenatorin in den nächsten beiden Jahren nachlegen. Sonst radeln andere davon.