Die Schlagzeile: „165 von 100.000 Menschen haben in den vergangenen sieben Tagen den Glauben an die Demokratie verloren“ Eine solche Schlagzeile existiert weder, noch würde sie vermutlich ähnliche Wirkungen auslösen wie die Covid-19-Zahlen. Der Eindruck verstärkt sich aber, dass neben dem nachlassenden Vertrauen in die eigentliche Pandemie-Bekämpfung („Impfdesaster“, "Aldi schneller als Spahn“) auch der demokratische Grundkonsens leidet.
Gewisse Einschränkungen der persönlichen Freiheiten sind bei der Bekämpfung einer weltweit tödlichen Seuche unvermeidbar. Das wegen der Komplexität moderner Problemlagen manchmal langwierige demokratische Prozedere muss bei ‚Gefahr im Verzug‘ gestrafft werden. Dennoch beruhen sowohl die Verordnungen der Bundesländer wie die bundesgesetzliche Notbremse auf Mehrheitsbeschlüssen und sind grundgesetzlich legitimiert. Wenn als Ausdruck gelebter Gewaltenteilung im Rechtsstaat einzelne Bestimmungen von Gerichten gekippt werden, sind das nicht Anzeichen für Machtmissbrauch, sondern höchstens für eiliges und daher unpräzises Gesetzeshandwerk.
Der demokratische Grundkonsens basiert aber bei Weitem nicht nur auf formaler Korrektheit der Verfahren. Empfundene Plausibilität, Nachvollziehbarkeit, Gerechtigkeit, Kohärenz formen das Urteil der Bevölkerung stark mit. Kurze Halbwertszeiten von Aussagen, Widersprüche von Beschlüssen und politischer Umsetzung, politische Positionskämpfe unter dem Mantel der Gesundheitsfürsorge und mangelhafte Kommunikation tragen zum Vertrauensverlust bei. Grundproblem hierbei ist das flächendeckende Versagen, demokratie-theoretische Basis, rechtliche Einordnung, epidemiologische Begründung und Abwägung vom Alternativen verständlich und nachvollziehbar zu machen.
So entsteht ein Misstrauen, das weit über eine in der Demokratie notwendige Grundskepsis gegenüber politischen Entscheidungen hinausgeht. Der Vertrauensverlust in die politisch Handelnden wächst teilweise schneller als die Inzidenzwerte. Vertrauensverlust in Demokratie nährt die Anfälligkeit für autoritäre Lösungen. Das Ziehen der Notbremse ist deshalb dringend geboten. Noch steht eine Mehrheit hinter den demokratischen Fundamenten. Leider fällt es angesichts der Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker schwer, die auch vorhandenen ernsthaften Sorgen um demokratische Grundrechte herauszufiltern. Die populistischen Geier der Politikwelt warten auf ihre nächste Chance.