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Hemmschwelle sinkt Gewalt in Bremer Notaufnahmen nimmt zu

Verbale Aggressionen wie Beleidigungen und Bedrohungen sind für das Personal in Kliniken an der Tagesordnung. Es kommt aber auch zu körperlichen Übergriffen. Wie Bremer Krankenhäuser ihre Mitarbeiter schützen.
13.01.2024, 05:00 Uhr
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Gewalt in Bremer Notaufnahmen nimmt zu
Von Sabine Doll

Der Vorfall im Sana-Klinikum Berlin-Lichtenberg hat bundesweit für Entsetzen gesorgt: In der Silvesternacht attackierten drei Männer – ein Patient und zwei Angehörige – das Personal in der Notaufnahme. Ein Pfleger wurde bewusstlos geprügelt, ein Arzt mit Fausthieben traktiert. Beide erlitten unter anderem Kopf- und Gesichtsverletzungen. Grund für die Gewalt soll laut Polizei die Wartezeit gewesen sein. 

Auch in Bremen berichten Kliniken von zunehmender Aggressivität und Übergriffen. Besonders gefährdet ist das Personal in Notaufnahmen. "Verbale Ausraster sind in der Notaufnahme fast an der Tagesordnung; Beleidigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen. Für die Kolleginnen und Kollegen ist das schon so alltäglich, dass sie es gar nicht mehr melden", berichtet Dorothee Weihe, Sprecherin des Rotes Kreuz Krankenhaus (RKK). Sie täten dies nur, wenn schwere tätliche Angriffe passierten, was eher selten vorkomme. Im vergangenen Jahr etwa hätten zwei unter Alkohol- beziehungsweise Drogeneinfluss stehende Patienten mit Fäusten und Gürtel zugeschlagen.

Die Klinik in der Neustadt hat schon vor längerer Zeit Schutzmaßnahmen getroffen: "Deko-Artikel wie Blumenschmuck haben wir entfernt, weil sie von aggressiven Patienten oder Angehörigen als Wurfgeschosse verwendet oder absichtlich zerstört wurden", so Weihe. Der Anmeldebereich in der Notaufnahme sei eingeglast, Griffe an den Türen zu dem Bereich und Untersuchungsräumen habe man abgeschraubt. Mitarbeiter seien mit Schrillalarm-Geräten ausgestattet, es gebe Codewörter und eine Notnummer, um schnell Hilfe holen zu können. Außerdem würden Trainings zur Gewaltprävention und Deeskalation angeboten.

Im Diako in Gröpelingen gehören solche Trainings neuerdings zu den Pflichtfortbildungen. Die Zielgruppe: Pflegekräfte in der Notaufnahme, auf Intensivstationen und Mitarbeiter der Telefonzentrale. Zwei Tage lang werden sie geschult, wie sie bedrohliche Situationen erkennen und etwa durch Kommunikationstechniken entschärfen können.

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"Ganz konkret wird geübt, wie sie sich bei körperlichen Attacken befreien können. Wenn man gewürgt, attackiert oder am Kragen festgehalten wird. Bei längeren Haaren raten wir, diese nicht offen zu tragen, weil danach oft gegriffen wird. Und man sollte immer ein Telefon bei sich tragen, um Hilfe holen zu können", nennt Chris Rautenhaus einige Beispiele. Der stellvertretende pflegerische Bereichsleiter hat sich zum Konflikt- und Deeskalationsmanager weiterqualifiziert. "Wichtige Botschaft ist aber auch: Nicht den Helden spielen und sich dadurch in Gefahr bringen. Die Bedrohungslage hat in den vergangenen Jahren nachweislich zugenommen." Regelmäßig würden die Sicherheitsvorkehrungen in der Notaufnahme überprüft und angepasst.

Im vergangenen Jahr seien zehn Übergriffe erfasst worden, sagt Diako-Sprecherin Vicky Janßen. "Dies sind aber bei Weitem nicht alle. Leider werden aus Scham in der Regel nur stark auffällige körperliche Angriffe gemeldet, bei denen eine ärztliche Untersuchung unumgänglich ist." 80 Prozent der Meldungen kämen aus der Notaufnahme. Die Fortbildungen sollen Betroffene auch zu Meldungen sensibilisieren.

Bundesweite repräsentative Zahlen gibt es nicht. Einen Eindruck vermittelt eine Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft unter 112 Krankenhäusern ab 100 Betten im vergangenen Jahr: "In 91 Prozent der befragten Häuser kommt es vor, dass dem Personal in den Notaufnahmen Gewalt angedroht wird, etwa von Patienten oder ihren Angehörigen." 48 Prozent der Kliniken hätten einen Sicherheitsdienst engagiert. 

Die Zündschnur bei den Menschen ist sehr kurz geworden.
Thomas Wollek, Arzt

Dazu zählt auch Bremens größte Notaufnahme im Klinikum Mitte, das zur Gesundheit Nord gehört. Deutlich mehr als 40.000 Patienten werden dort jährlich versorgt. "Die Zündschnur bei den Menschen ist sehr kurz geworden", sagt der leitende Arzt Thomas Wollek. Gerade Patientinnen und Patienten, die nur leicht verletzt seien und dann leider oft sehr lange warten müssten, hätten nach wie vor kein Verständnis. Dazu komme übermäßige Alkoholkonsum als "Aggressionsbeschleuniger".

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So wie bei dem Vorfall in Berlin, der mit einer Überwachungskamera aufgezeichnet wurde – das Video hat die Berliner Zeitung veröffentlicht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) droht mit härteren Konsequenzen. "Neben der Erhöhung des Strafmaßes prüfen wir daher rechtlich, dass in diesen Fällen der gewalttätige oder beleidigende Patient die Kosten seiner Behandlung selbst tragen muss", sagte er der Bild-Zeitung.

Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard setzt vor allem auf Strafverfolgung: "Um es klar zu sagen: Gewalt gegen Rettungskräfte und Krankenhauspersonal ist nicht zu tolerieren und muss strafrechtlich verfolgt und bestraft werden." An dieser Stellschraube müsse angesetzt werden. "Ich halte es für äußerst fraglich, dass sich eine Kostenübernahme für die gesundheitliche Versorgung, die in jedem Fall sicherzustellen ist, durch die Patienten und Patientinnen umsetzen ließe. Das würde auch das Problem nicht lösen", sagt Bernhard dem WESER-KURIER.

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