An diesem Donnerstag findet die 5. Bremer Armutskonferenz statt. Schwerpunkt ist das Thema "Bremen als Migrationsgesellschaft". Warum setzt man auf dieses Thema?
René Böhme: Die Bremer Armutskonferenz hat inzwischen Tradition. Wir haben uns in früheren Konferenzen mit Kinder- und Jugendarmut, Armut und Gesundheit sowie mit der Ungleichheit in den Quartieren befasst. Das Thema Migration stand schon länger auf dem Zettel. Und es fällt auf, dass die Armutsquote bei Zuwanderern in Bremen zuletzt stark gestiegen ist – um elf Prozentpunkte seit 2016. 2021 waren 57 Prozent der Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Land Bremen armutsgefährdet. Das ist die höchste Quote bundesweit, und nirgends ist der Wert so stark gestiegen wie hier. Zuwanderer sind in Bremen besonders stark von Armut betroffen. Bei ihnen ist die Armutsquote mehr als doppelt so hoch wie durchschnittlich in der Gesamtbevölkerung in Bremen.
Worin sehen Sie die Hauptgründe dafür?
Der erste und entscheidende Grund dafür liegt im Bereich Arbeitsmarkt. Für die Erhebung der Armutsquote nimmt man das Einkommen in den Blick. Studien zeigen, dass in Bremen im Bundesvergleich relativ viele Menschen mit Migrationshintergrund nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind. Bremen hat bundesweit die höchste Arbeitslosenquote bei Ausländern. Und es gibt viele Befunde, die zeigen, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Sie erzielen geringere Einkommen, sind häufiger befristet, häufiger in Leiharbeit und müssen häufiger körperlich anstrengende Tätigkeiten ausführen.
Sie haben auch zu Arbeitsausbeutung geforscht...
Wir haben das Problem der Arbeitsausbeutung bundesweit und auch in Bremen. Arbeitsausbeutung ist seit 2016 eine Straftat, trotzdem wird sie fast nie angezeigt und noch seltener vor Gericht verurteilt. In Bremens polizeilicher Kriminalstatistik war zuletzt kein einziger Fall von Arbeitsausbeutung gelistet, obwohl in den Beratungsstellen sehr viele Fälle auflaufen. Oft sind Zugewanderte betroffen, die unbezahlte Überstunden machen müssen, die zu wenig oder gar keinen Lohn bekommen.
Weshalb werden solche Fälle selten angezeigt?
Oft werden die Betroffenen unter Druck gesetzt und teils auch gekündigt, sobald sie sich Hilfe holen. Da musste zum Beispiel eine Reinigungskraft mit Minijob deutlich mehr Stunden arbeiten als vertraglich vereinbart. Und sobald sie sich zu ihren Rechten beraten ließ, gab es plötzlich Beschwerden über die Qualität der Reinigung. Sie wurde abgemahnt und letztlich gekündigt. Hinzu kommt: Die Betroffenen sind meist auf ihr Einkommen angewiesen und suchen sich oft lieber einen neuen Job als sich auf ein langes Gerichtsverfahren einzurichten.
Bremen hat besonders viele Geflüchtete aufgenommen. Jeder Dritte in Bremen hat eine familiäre Migrationsgeschichte, bei den unter 18-Jährigen gilt das sogar für über 60 Prozent. Gelingt es Bremen gut, für Integration und Teilhabe zu sorgen – oder gilt eher: Bremen nimmt auf, und dann wird es schwierig?
Es gibt Benachteiligungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit und auf dem Wohnungsmarkt, das thematisieren wir bei der Konferenz. Es ist ein Problem, dass sich die Zuwanderung nicht gleichmäßig über die Stadtteile verteilt. In Vegesack, Walle, Blumenthal und Huchting sehen wir einen sehr starken Zuwachs durch Zuwanderung. Es gibt Stadtteile, in denen wir jetzt 40 bis 50 Prozent mehr Kinder unter sechs haben als vor ein paar Jahren. Wir haben nicht genug Kita- und Schulplätze. Deshalb können viele junge Menschen nicht so gefördert werden, wie es nötig wäre. Gerade in den Stadtteilen, wo die Infrastruktur ohnehin schon unter Druck stand, hat es zuletzt die größten Zuwächse gegeben.
Das Gespräch führte Sara Sundermann.