Sehr viele Menschen in Bremen sprechen im Alltag zwei oder mehr Sprachen. Türkisch, Arabisch, Russisch, Kurdisch und Polnisch gehören neben dem Deutschen zu den Sprachen, die am meisten in der Stadt zu hören sind. Derzeit wächst laut Bildungsbehörde fast jedes zweite Bremer Schulkind mit einer anderen Erstsprache als Deutsch auf. Der Hintergrund für die Sprachenvielfalt: In keinem anderen Bundesland leben so viele Menschen mit Migrationshintergrund wie in Bremen. Bundesweit hatte 2020 gut jede vierte Person einen Migrationshintergrund, das zeigen Daten des Statistischen Bundesamts. Im Land Bremen hat sogar mehr als jede dritte Person (38 Prozent) ausländische Wurzeln.
Deutsch-türkischer Alltag in Huchting
Bei Familie Sentürk in Huchting wird ständig zwischen Deutsch und Türkisch hin- und hergeswitcht. Hier sprechen inzwischen drei Generationen beide Sprachen fließend. Kamal Sentürk und seine Frau Hatice sind selbst als Kind beziehungsweise Jugendliche aus der Türkei nach Bremen gekommen – ihre Eltern kamen als türkische Gastarbeiter hierher. Sie leben seit mehreren Jahrzehnten in Bremen, ihre Kinder wurden hier geboren und wuchsen komplett zweisprachig auf. Tochter Merve Sentürk hat Germanistik studiert und unterrichtet nun als Lehrerin Deutsch und Kunst an einer Bremer Oberschule. Kamal und Hatice Sentürk sprechen innerhalb ihrer Familie viel Türkisch.

Bei den Sentürks sprechen alle Familienmitglieder mindestens zwei Sprachen fließend: Kamil und Hatice Sentürk im Gespräch mit ihrer Tochter Merve Sentürk (von links).
Merve Sentürk spricht im Alltag beide Sprachen zu gleichen Teilen und mit ihrem Bruder und vielen deutsch-türkischen Bekannten eine Mischung aus Deutsch und Türkisch: "Ich finde es faszinierend, wie das Gehirn funktioniert, wir mischen automatisch beide Sprachen, aber die Grammatik stimmt immer", sagt sie. Mit diesem sogenannten Code-Switching hat sie sich auch für ihre Bachelorarbeit beschäftigt.
"Zwei Sprachen sind ein Schatz"
Und Sentürks vierjähriges Enkelkind Azra spricht Deutsch, Türkisch und ein bisschen Englisch: "Damit kam sie dann um die Ecke, das hat sie in der Kita gelernt", sagt Großvater Kamal Sentürk stolz. Er und seine Frau haben die Mehrsprachigkeit in ihrer Familie gezielt gepflegt, das war ihnen wichtig. "Wir haben mit den Kindern in den ersten Jahren bewusst Türkisch gesprochen, das war auch die Empfehlung unseres Kinderarztes", erzählt Hatice Sentürk. Im Kindergarten lernten die Kinder dann schnell fließend Deutsch. "Zwei Sprachen gut zu sprechen, das ist ein Schatz, eine Bereicherung", sagt Kamal Sentürk, darin sind er und seine Familie sich einig.
Klar ist aber auch, dass längst nicht alle mehrsprachigen Bremerinnen und Bremer sich so leichtfüßig in den beiden Sprachen bewegen wie die Sentürks. "Ich kenne viele aus der dritten Generation, die kein Türkisch mehr können", sagt Hatice Sentürk mit Bedauern. "Die Kinder können dann ihre Tanten und Onkel bei Besuchen in der Türkei nicht mehr verstehen." Und umgekehrt kennen die Sentürks viele Menschen in ihrem Stadtteil, die auch in der zweiten Generation fast nur Türkisch sprechen und Schwierigkeiten im Deutschen haben. "Wir helfen oft ehrenamtlich als Dolmetscher, um Behördenbriefe für Gemeindemitglieder zu übersetzen", sagt Kamal Sentürk, der auch Vorsitzender einer muslimischen Gemeinde in Huchting ist.
Corona-Infos auf Dari und Albanisch
Auf die mehrsprachige Stadtgesellschaft haben sich Bremer Behörden und öffentliche Einrichtungen in einigen Bereichen eingestellt. Kitas in von Einwanderung geprägten Stadtteilen wie Gröpelingen oder Blumenthal übersetzen wichtige Infos für Eltern längst in verschiedenen Sprachen. Und auf Bremens Schulhöfen hört man eine große Sprachenvielfalt.

Mehrsprachigkeit gehört an Bremer Schulen zum Alltag. An der Grundschule Arbergen gibt es insgesamt 16 verschiedene Sprachen.
Und der Senat ließ in der Pandemie die wichtigsten Corona-Regelungen in ein Dutzend Sprachen übersetzen, um wirklich alle Bremerinnen und Bremer zu erreichen. Man kann sich in Bremen zum Beispiel auf Türkisch, Albanisch oder Dari über zentrale Quarantäne-Regeln an Schulen und Impfangebote in den Stadtteilen informieren. Diese mehrsprachigen Informationen zum Impfen betrachtet der Senat übrigens als einen Erfolgsfaktor für die hohe Impfquote in Bremen.
Mehrsprachige Pflegekräfte
Ein anderes Beispiel sind Bremens städtische Krankenhäuser, in denen wichtige Informationen in fünf Sprachen übersetzt werden. Viele Ärztinnen und Krankenpfleger sind selbst mehrsprachig und können diese Kompetenz in der Kommunikation mit ihren Patienten nutzen. "Wir schätzen, dass rund 20 bis 30 Prozent unserer Beschäftigten durch ihren Migrationshintergrund zwei Sprachen perfekt beherrschen", sagt Karen Matiszick, Sprecherin des Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno).
Eine von ihnen ist Bojana Lukic, die als Pflegekraft auf der Intensivstation im Klinikum Mitte arbeitet. Sie hat einen Teil ihrer Kindheit im ehemaligen Jugoslawien verbracht und spricht neben Deutsch auch Serbisch. Bei ihrer Arbeit kann Lukic die zweite Sprache oft nutzen und mit Patienten und Angehörigen Serbisch sprechen: "Das nimmt manchmal die Skepsis und Sorge vor den nächsten Schritten", sagt die 32-Jährige. Vieles werde gerade für Angehörige oft besser verständlich, sagt Bojana Lukic: Wo genau hat jemand Schmerzen? Warum darf mein Mann jetzt nichts trinken? Diese Fragen ließen sich oft besser in der Muttersprache klären.