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Rot-Grün-Rote Koalition "Wir haben uns auf einen pragmatischen Kurs geeinigt"

SPD, Grüne und Linke haben einen Koalitionsvertrag vorgelegt. Im Gespräch erläutert Bürgermeister Andreas Bovenschulte, welche Kompromisse die SPD machen musste und wie die Vorhaben finanziert werden sollen.
26.06.2023, 19:05 Uhr
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Von Silke Hellwig

Herr Bovenschulte, die SPD, die Grünen und die Linken haben ihren Koalitionsvertrag präsentiert. Betont wurde die harmonische Stimmung. Gibt es kein Zugeständnis an die geänderten Kräfteverhältnisse und die SPD mit fünf von neun Senatorenposten?

Andreas Bovenschulte: Es handelt sich um ein gemeinsames Werk der drei Parteien. Es gibt keinen sozialdemokratischen, keinen grünen und keinen linken Teil.

Die Grünen mussten von Positionen abrücken.

Die Klimaneutralität Bremens bis 2038 spielt eine zentrale Rolle im Koalitionsvertrag. Dafür wird ein Investitionsprogramm in Höhe von 2,5 Milliarden Euro aufgelegt. Das ist sicher das Kernanliegen der Grünen.

Aber Klimaneutralität ist kein Thema, dass allein den Grünen am Herzen liegt. Selbst die bremische CDU hat es für sich entdeckt. Die Grünen müssen hinnehmen, dass die Weser vertieft werden soll, dass das aufgesetzte Parken in reduziertem Rahmen abgeschafft werden und die Innenstadt wortwörtlich für alle Verkehrsteilnehmer erreichbar bleiben soll.

Wir haben uns gemeinsam auf einen pragmatischen Kurs geeinigt: Wir wollen die Verkehrswende vorantreiben, aber sie mit und nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger umsetzen. Deshalb werden wir zum Beispiel die Erreichbarkeit der Innenstadt mit ÖPNV, Rad und zu Fuß stärken, aber sie auch mit dem Auto weiter ermöglichen. Ich will aber gar nicht dementieren, dass der Verzicht auf gewisse Schlagworte auch die gewachsene Stärke der SPD widerspiegelt.

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Wo mussten Sie und Ihre Parteigenossen schlucken?

Es gibt natürlich Punkte, die mir besser und welche, die mir weniger gefallen. Das ist doch völlig normal. Das Wissenschafts- und das Häfenressort abzugeben ist uns nicht leichtgefallen, aber es ist inhaltlich sinnvoll die stark ineinandergreifenden Themen Häfen und Wirtschaft in einem Ressort zusammenzuführen. Und dafür bekommen wir ja jetzt Arbeit und Soziales – ebenfalls sozialdemokratische Herzensthemen.

Welches waren grundsätzlich die Knackpunkte - die Themen, um die sie in den Verhandlungsrunden länger ringen mussten?

Einiges hatten wir ja schon in den Sondierungen geklärt, hier und da haben wir aber auch in den Koalitionsverhandlungen kontrovers diskutiert. Beispiel innere Sicherheit: Wir werden die Personalstärke der Polizei erhöhen, mehr Videoüberwachung an Haltestellen zulassen und im Bereich des Hauptbahnhofs ein Alkoholverbot einführen. Und wir werden die bremischen Unterstützungs- und Eingreifgruppen der Bereitschaftspolizei mit Tasern ausstatten. Ja, die SPD hätte sich da noch mehr vorstellen können, das war ein Kompromiss. Aber ein guter. Zweites Beispiel: Jedes Kind soll einen Kita-Platz bekommen. Aber wenn wir realistisch sind, funktioniert das nur, wenn wir die Qualifikationsstandards von Beschäftigten zumindest vorübergehend flexibilisieren, denn sonst fehlen uns schlicht die Fachkräfte. Am Ende gab es eine große Einigkeit: Die Versorgung der Kinder hat Vorrang.

Der Vertrag besteht auch aus einer Vielzahl von Absichtserklärungen. Das eine soll intensiviert, das andere vorangetrieben oder ausgeweitet werden – ohne jede weitere konkretere Angabe.

Koalitionsverträge bilden die inhaltliche und politische Leitlinie für das Handeln des Senats der nächsten vier Jahre. Und natürlich wollen wir so viel wie möglich davon umsetzen. Aber auch die neue Regierung kann sich nicht darüber hinwegsetzen, dass die Einnahmen endlich sind und wir mit dem Geld auskommen müssen, das wir haben. Wenn es finanziell gut läuft, können die Schritte größer sein, wenn es schlecht läuft, fallen sie kleiner aus. Entscheidend ist, dass die Schritte immer in die richtige Richtung gehen und wir uns nicht verlaufen.

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Wie viel würde es kosten, wenn man alle im Vertrag genannten Vorhaben umsetzen würde?

Klar ist, dass wir nicht alle Vorhaben auf einmal verwirklichen können, sondern dass wir Prioritäten setzen müssen. Welche das sind, werden wir in den Haushaltsberatungen besprechen.

Um mehr Vorhaben finanzieren zu können, sind zwei Möglichkeiten der Geldbeschaffung aufgezeigt: Der Bau von Kitas und Schulen mit Privaten, der Gewoba oder der Brebau und die "punktuelle Modifikation" der Schuldenbremse. Was meinen Sie damit?

Wir wollen mit der Opposition darüber sprechen, ob nicht der Kita- und Schulausbau eine so große und wichtige Zukunftsaufgabe ist, dass wir die Schuldenbremse der Landesverfassung an dieser Stelle anpassen sollten. Die CDU hat ja selbst schon einmal ein Sondervermögen für Investitionen im Bildungsbereich vorgeschlagen. Unsere Schuldenbremse lässt das aber nicht zu. Sie ist deutlich strenger als in anderen Bundesländern. Wie auch immer eine Änderung aussehen könnte: Das geht nur, mit Zustimmung der CDU, denn wir brauchen dafür eine Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft.

Die Handelskammer hat den Vertrag in einigen Punkten gelobt ...

… was mich freut…

... aber Bedenken angemeldet, was die Absicht betrifft, Wasser, Abwasser, Energie und Müll zu rekommunalisieren. Ist das ein Zugeständnis an die Linken?

Wir haben vereinbart, mögliche Rekommunalisierungen fachlich genau zu prüfen und zu schauen, was die beste Lösung ist – bezogen auf das öffentliche Interesse, die Qualität der Dienstleistung, die Gebühren für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, die Beschäftigten und die Auswirkungen auf den Haushalt. 

Die scheidende Sozialsenatorin Anja Stahmann hat in einem Interview mit dieser Zeitung gesagt, sie sei gespannt, ob "eine Art Bovikratie entstehen wird oder die anderen Senatorinnen und Senatoren die Zuständigkeit für ihre Ressorts mutig, stark und tapfer verteidigen werden". Was sagen Sie dazu?

Wir waren in den vergangenen Jahren ein Team von neun Senatorinnen und Senatoren. Und wir werden auch in Zukunft ein Team sein. Der Präsident des Senats leitet die Geschäfte des Senats, so ist es in der Verfassung vorgesehen - nicht mehr und nicht weniger.

Das Gespräch führte Silke Hellwig.

Zur Person

Andreas Bovenschulte

ist seit August 2019 Bürgermeister und Präsident des Senats. Der Jurist war zuvor für wenige Wochen SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft, davor Bürgermeister in Wehye, zuvor SPD-Landesvorsitzender in Bremen. SPD-Mitglied ist er seit 1984.

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