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Bremer Koalitionsvertrag Rot-Grün-Rot blendet die finanzielle Realität aus

Bremens altes, neues Regierungsbündnis hat sich viel vorgenommen für die nächsten vier Jahre. Auf jeden Fall mehr, als in den engen finanziellen Rahmen passt. Seriös ist das nicht, meint Jürgen Theiner.
26.06.2023, 21:17 Uhr
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Rot-Grün-Rot blendet die finanzielle Realität aus
Von Jürgen Theiner

Was kennzeichnet einen guten Koalitionsvertrag? Er macht anschaulich, welche politischen Schwerpunkte sich die Bündnispartner setzen. Aber auch, wie sie diese Ziele erreichen wollen. Realitätsnähe ist also gefragt, und das heißt vor allem: Finanzierbarkeit der geplanten Maßnahmen. Diesen Anspruch verfehlt die Regierungsvereinbarung von SPD, Grünen und Linken für die kommenden vier Jahre.

An hehren Zielen mangelt es nicht. Das 169 Seiten dicke Konvolut bündelt gute Absichten für alle Politikfelder, von der Industrieförderung über Klimaschutz und Bildung bis zur inneren Sicherheit. Es soll mehr Lehrkräfte geben, mehr Polizisten, mehr Kita-Plätze, mehr öffentlichen Nahverkehr, gezieltere Strukturförderung für industrielle Kerne und so weiter. Alles sehr erstrebenswert. Allerdings wird nicht ansatzweise deutlich, wie sich das klamme Bremen all das Wünschenswerte leisten soll.

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Das erstaunt, weil Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) während der dreiwöchigen Verhandlungen mehrfach Finanzdisziplin angemahnt haben soll. Alle Projekte aus den Facharbeitsgruppen der Koalitionäre, so berichten es Teilnehmer, mussten für die internen Beratungen mit einem "Preisschild" versehen werden, damit die rot-grün-rote Agenda bezahlbar bleibt. Doch dieser gute Vorsatz ist nicht durchgehalten worden. Der geplante massive Personalzuwachs im öffentlichen Dienst unter anderem bei Pädagogen, Polizisten und Kita-Betreuungskräften treibt die konsumtiven Ausgaben dauerhaft in die Höhe, hinzu kommen millionenschwere Investitionsvorhaben wie der sogenannte Energy-Port in Bremerhaven und der Ausbau des Nahverkehrs.

Zur Erinnerung: Der Stabilitätsrat von Bund und Ländern hatte Bremen Ende 2022 dazu aufgefordert, ein Konsolidierungsprogramm aufzulegen, weil schon zu diesem Zeitpunkt die Schuldenentwicklung aus dem Ruder zu laufen drohte. Hintergrund war die Absicht der alten rot-grün-roten Regierung, ein Klimaschutzprogramm im Umfang von 2,5 Milliarden Euro aufzulegen. Dieser Schuldentopf für den Klimaschutz wurde dann im März beschlossen, während die Hausaufgaben des Stabilitätsrates noch unerledigt sind. Oben drauf kommen nun die zusätzlichen Ausgabenwünsche aus dem Koalitionsvertrag.

Nirgendwo ist in diesem Dokument Aufgabenkritik zu erkennen. Unangenehmen Strukturbereinigungen wird konsequent ausgewichen. Beispiel: der städtische Klinikkonzern Gesundheit Nord (Geno). Klar ist schon lange, dass der Verbund aus vier Krankenhäusern Betten abbauen muss. Eine Lösung war bereits formuliert: der sanierungsbedürftigste Standort Links der Weser (LdW) sollte geschlossen, das dortige Herzzentrum ans Klinikum Mitte verlagert werden. Doch während ihrer Verhandlungen hat SPD, Grüne und Linke der Mut verlassen. Das Herzzentrum soll nun zwar aus Obervieland abgezogen werden, aber eine wie auch immer geartete "Grundversorgung" am LdW verbleiben. Was das genau heißen soll, wird aus den nebulösen Formulierungen nicht ersichtlich. Klar ist nur: Einspareffekte lassen sich so nicht erzielen.

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Stattdessen klammert sich das neue, alte Regierungsbündnis an die illusionäre Hoffnung, mit dem Bund und/oder der Bürgerschaftsopposition eine Lockerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung aushandeln zu können – vor allem um die zusätzlichen Belastungen durch dringend notwendige Schulbauprojekte irgendwie stemmen zu können. Doch die CDU-Bürgerschaftsfraktion wird einen Teufel tun. Nachdem Ende Mai die Hoffnungen der Christdemokraten auf eine Regierungsbeteiligung zerstoben, kündigt sich dort für die nächsten Jahre Fundamentalopposition an. Eine Zustimmung selbst zu kleinsten Modifikationen der Schuldenbremse ist von der CDU nicht zu erwarten.

So besteht also die sehr reale Gefahr, dass schierer Geldmangel viele rot-grün-rote Projekte schon bald stoppt oder arg zurechtstutzt. Enttäuschung nicht nur in der Wählerschaft, sondern auch Spannungen in den eigenen Reihen sind dann vorprogrammiert. Das Machbare als Ziel auszugeben und in vier Jahren tatsächlich zu erreichen, wäre vernünftiger gewesen.

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