Die privaten Zuzahlungen für die stationäre Pflege werden in den kommenden Jahren steigen. „Ein Pflegefall in der Familie wird wieder zum Armutsrisiko“, sagt Harald Groth, Vorsitzender des Präsidiums der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Weser-Ems. Der Sozialexperte vergleicht die aktuelle Situation mit der Zeit vor Einführung der Pflegeversicherung am 1. Januar 1995, als die Kosten für die Pflege fast immer über den Renteneinnahmen der Betroffenen lagen. Wer über kein Vermögen oder andere Einnahmen verfügte, war durch die Pflegebedürftigkeit seinerzeit unmittelbar auf Sozialhilfe angewiesen. „Im Grunde haben wir diesen Zustand jetzt wieder“, sagt Groth.
Im bundesweiten Durchschnitt beträgt die Zuzahlung zur stationären Pflege nach Daten des Verbandes der Ersatzkassen (VDEK) aktuell 2068 Euro pro Monat. Vor drei Jahren lag der Betrag noch bei 1772 Euro. Die rechnerische Standardrente eines Rentners, der 45 Jahre Beiträge für ein Durchschnittsentgelt eingezahlt hat, beträgt aktuell 1538 Euro. Im bundesweiten Durchschnitt erhält ein Rentner derzeit 1178 Euro Rente, eine Rentnerin 768 Euro.
Laut Statistischem Bundesamt bekamen Ende 2019 rund 250.000 der knapp 800.000 Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen Hilfen des Sozialamtes, um die Pflege zu finanzieren. In Bremen erhielten gut 2500 der 6800 Pflegeheimbewohner „Hilfen zur Pflege“, die sich auf rund 45 Millionen Euro summierten.
In Bremen liegen die durchschnittlichen Zuzahlungen zur stationären Pflege mit 2026 Euro leicht unter dem bundesweiten Wert. Die tatsächlich zu leistenden Eigenanteile der Pflegebedürftigen können je nach Pflegeheim davon abweichen. Die Preisspanne der Zuzahlungen in der Hansestadt liegt zwischen 1830 und über 3000 Euro für ein Einzelzimmer in einer Pflegeeinrichtung.
In Niedersachsen sind die durchschnittlichen Kosten mit 1767 Euro deutlich niedriger. Sehr viel höher fallen die Beträge in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg aus. In beiden Ländern liegt der Schnitt über 2400 Euro im Monat. „Es ist aber absehbar, dass die durchschnittlichen Zuzahlungen in Bremen und Niedersachsen in den kommenden Jahren ebenfalls diese Werte erreichen“, schätzt Timm Klöpper, Geschäftsführer der Convivo-Gruppe. Das Bremer Unternehmen betreibt unter anderem 52 stationäre Pflegeeinrichtungen in mehreren Bundesländern, davon zehn in Bremen und 20 in Niedersachsen.
Mehr Personal mit mehr Gehalt
Vor allem der mit der jüngsten Pflegereform eingeführte bundesweit einheitliche Personalschlüssel in den Einrichtungen dürfte für Kostensteigerungen sorgen, denn erklärtes Ziel der Reform ist mehr Pflegepersonal in den Häusern, das zudem über einen steigenden Pflegemindestlohn besser bezahlt wird. Die neuen Regeln gelten ab Juli 2023. Der Pflegemindestlohn liegt über dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn und soll in zwei Schritten zum 1. September und 1. April auf 12,55 Euro für Pflegehilfskräfte und 15,40 Euro für ausgebildete Fachkräfte steigen.
Gleichzeitig bleiben die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nahezu unberührt. Je nach Pflegegrad wird eine festgelegte monatliche Summe gezahlt, unabhängig von den tatsächlichen Kosten. Eine ursprünglich von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplante Deckelung der privaten Zuzahlungen fand keine Mehrheit in der Bundestagsfraktion der Union. Stattdessen sind nun abhängig von der Dauer der stationären Pflege stufenweise Zuschüsse vorgesehen. „Jede künftige Kostensteigerung belastet damit hauptsächlich die Pflegebedürftigen“, sagt Groth.
In deren Zuzahlungen sind neben dem Anteil für die Kosten der Pflege auch Beiträge für Unterkunft und Verpflegung sowie sogenannte Investitionskosten vorgesehen. Diese Posten finanziert der Bewohner der Pflegeeinrichtung stets zu 100 Prozent. Die Kosten für die Unterkunft wären vergleichbar mit den Betriebskosten einer Wohnung, die Investitionskosten gelten als Äquivalent zur Kaltmiete. Sie sollen den Trägern die Kosten für Gebäude und Anlagegüter bezahlen, die für den Betrieb der Einrichtungen nötig sind. Laut VDEK wurden dafür 2019 in Bremen im Schnitt rund 533 Euro pro Monat berechnet.
Eigentlich sollten die Investitionskosten nicht durch die Pflegebedürftigen aufgebracht werden. Bund und Länder hatten 1995 vereinbart, dass die Einsparungen, die den Ländern durch die Einführung der Pflegeversicherung bei der Sozialhilfe entstehen, in die Pflegeeinrichtungen investiert werden. Doch seitdem haben die Länder ihre Förderung immer weiter zurückgefahren. In Bremen haben die Bewohner über den Investitionskostenanteil 2019 rund 41 Millionen Euro aufgebracht, das Land weist eine Fördersumme von knapp 2,4 Millionen Euro aus.