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Lehrkräftemangel in Bremen und Niedersachsen Im Unterricht drohen größere Lücken

Vor Kurzem veröffentlichte der Lehrerverband VBE eine Studie, nach der die Personallücke bis 2030 mindestens sechsmal größer ist als von den Kultusministerien berechnet. In Bremen wird das nicht bestritten.
16.02.2022, 05:00 Uhr
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Im Unterricht drohen größere Lücken
Von Joerg Helge Wagner

Mathematik und Englisch werden schon jetzt in einzelnen Bremer Schulen nur noch fachfremd, zeitweise auch gar nicht unterrichtet. Nach Auskunft der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) können zudem manche Schulen nur noch „mit einer Unterdeckung von 15 bis 20 Prozent arbeiten“. Entspannung ist laut Bildungsressort ab 2023 in Sicht, doch Zweifel bleiben: Der Bildungsforscher Klaus Klemm hatte Ende Januar in einer Studie für den Lehrerverband VBE belegt, dass die Lücke bei den Lehrkräften bis 2030 viel größer sein wird als von der Kultusministerkonferenz (KMK) errechnet. Demnach fehlen dann bundesweit nicht 13.000 Pädagogen, sondern mindestens 81.000.

Klemm nennt für die gewaltige Abweichung vor allem zwei Gründe, die auch von der Bremer Bildungsbehörde nicht grundsätzlich bestritten werden. Zum einen hat die KMK zusätzlichen Bedarf durch gestiegene Anforderungen wie Ganztagsbeschulung, Inklusion, Digitalisierung und Förderung von Brennpunktschulen gar nicht berücksichtigt. Zum zweiten sinkt die Zahl der Absolventen in den Lehramtsfächern.

Die jüngste Berechnung des Bremer Bildungsressorts bezieht sich auf den vorigen Juni. Darin geht man davon aus, dass bis 2035 konstant jedes Jahr 400 Bewerber für Lehrerstellen zur Verfügung stehen. Der jährliche Einstellungsbedarf liege schon im kommenden Jahr darunter und sinke bis 2030 auf etwa 250. Grundlage der Bedarfsberechnung ist die „Zuweisungsrichtlinie“, deren wichtigster Parameter die voraussichtliche Schülerzahl ist. Gerade werden neue Daten zum Stichtag 31. Mai zusammengestellt.

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Auch in Niedersachsen gibt man sich angesichts aktueller Zahlen entspannt: 961 neue Lehrkräfte habe man zum 2. Schulhalbjahr 2021/2022 eingestellt, während 670 ausgeschieden seien. Allerdings teilt das Kultusministerium auch mit: „Bei zunächst 1200 ausgeschriebenen Stellen liegt die Besetzungsquote bei 80 Prozent.“ Es geht also nicht nur um einen 1:1-Ersatz der Ruheständler, sondern auch um den von Klemm erwähnten zusätzlichen Bedarf der nächsten Jahre – die man in Hannover noch nicht genau beziffert.

„Wenn Politiker den Anspruch auf Chancengleichheit nur ansatzweise ernst nehmen und Ganztag qualitativ gut sein soll, benötigen die Schulen sehr viel mehr Personal“, betont Elke Suhr, Landesvorstandssprecherin der GEW Bremen. Neben Lehrkräften würden mehr Erzieherinnen und Sozialpädagogen gebraucht. „Dies gilt genauso für die Inklusion“, ergänzt die Sonderpädagogin aus Bremerhaven.

Gerade in ihrem Bereich, aber auch in den naturwissenschaftlichen Fächern, Sport und Musik grassiere der Mangel. Das wird vom Bildungsressort bestätigt. „Es war ein großer Fehler, den Studiengang Sport an der Uni auslaufen zu lassen“, kritisiert Suhr. „Auch das Einstampfen des Studiengangs Sonderpädagogik mit Einführung der Inklusion an den Schulen hat noch immer gravierende Auswirkungen.“

Das Problem kennt auch Niedersachsen: „Insbesondere für die Haupt- und Realschule und Sonderpädagogik fehlen in den Einstellungsverfahren die entsprechenden Bewerbungen“, bedauert Ministeriumssprecher Ulrich Schubert. Gerade für den Bereich Sonderpädagogik habe die Landesregierung die Studienplätze in den vergangenen Jahren verdoppelt. Doch das spiegele sich in der Anzahl der Absolventen noch nicht ganz wider. 

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Zudem herrscht unter den Ländern scharfe Konkurrenz um die begehrten Lehrkräfte. Bremens Standortvorteil besteht bislang darin, dass hier seit dem vorigen August alle Lehrkräfte gleich bezahlt werden – was vor allem den Grundschulen zugute kommt. Ein Wettbewerbsnachteil ist laut GEW die erhöhte Unterrichtsverpflichtung um zwei Stunden pro Woche. Sie wurde 1997 zunächst für zwei Jahre eingeführt, aber bis heute weiter fortgeschrieben. Ihre Abschaffung sei dringend notwendig, um einer Abwanderung von Lehrkräften in andere Bundesländer vorzubeugen, sagt Suhr. Sie räumt aber auch ein, dass dies angesichts der klaffenden Lücken im Unterricht „paradox“ sei.

Ein Ausweg ist die Qualifikation von Seiten- und Quereinsteigern für den Lehrerberuf. Seiteneinsteiger etwa haben nur eines der eigentlich zwei erforderlichen Fächer studiert, erläutert Maike Wiedwald, Sprecherin der Bremer Bildungsbehörde. „Nach einer abschließenden Prüfung sind sie den Lehrkräften gleichgestellt.“

In Niedersachsen wird künftig auch Personen ohne Bachelor- oder Masterabschluss der Unterricht in im nicht-gymnasialen Sekundarbereich I ermöglicht. Eine abgeschlossene Fachschulausbildung oder eine bestandene Meisterprüfung gelten als Bachelor-Ersatz.

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