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Arisierungsmahnmal Die Mahnung verhallt, weil sie zu unauffällig ist

Nach langen Debatten ist es endlich eingeweiht: das neue "Arisierungs"-Mahnmal in Bremen. Allerdings ist es zu unauffällig gestaltet. Die Mahnung ist nur mit Vorwissen zu verstehen, meint Björn Struß.
23.09.2023, 05:00 Uhr
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Die Mahnung verhallt, weil sie zu unauffällig ist
Von Björn Struß

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Diesen Satz könnten Touristenführer in der Bremer Innenstadt nutzen, wenn sie ihren Gruppen das neue "Arisierungsmahnmal" erklären wollen. Der Blick in die Leere, das haben die Verantwortlichen Henning Bleyl und Evin Oettingshausen in einem Interview erklärt, ist genau so gewollt. Doch nun steht ein Mahnmal an der Weser, dessen Mahnung verhallt, weil es vielen Menschen nicht einmal auffallen wird.

Das Bauwerk fügt sich nahtlos in die Architektur der Wilhelm-Kaisen-Brücke ein. Noch lassen die hellen Steine erkennen, dass hier etwas Neues entstanden ist. Doch in den kommenden Jahren werden Wind und Wetter dafür sorgen, dass der Blick nur noch an den Fenstern hängen bleibt. Es ist wie ein grauer Mantel mit nur drei Öffnungen, der das eigentliche Mahnmal im Inneren verdeckt. Wenn die Fenster dann doch einmal die Neugier geweckt haben, blickt der Passant ins Nichts. Sich dann auch noch mit den schemenhaft eingravierten Möbelstücken zu befassen, ist viel verlangt. Inspiration dafür waren die von Nationalsozialisten ausgeräumten Wohnungen. Denn der NS-Staat organisierte nicht nur die Ermordung der Juden, er bereicherte sich auch systematisch an ihrem Besitz.

Der achtjährige Entstehungsprozess hat aufgezeigt, wie sich die Erinnerung an den NS-Genozid demokratisch und zeitgemäß lebendig halten lässt. Am Anfang stand die Empörung des Journalisten Henning Bleyl. 2015 wollte er nicht akzeptieren, dass Kühne+Nagel – ein Weltkonzern mit einem Jahresumsatz von zuletzt umgerechnet rund 45 Milliarden Euro – beim 125. Firmen-Geburtstag kein Wort über die Zeit zwischen 1933 und 1945 verlieren wollte.

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Welch entscheidende Rolle das in Bremen gegründete Speditionsunternehmen bei der sogenannten „Arisierung“ übernahm, hat Bleyl in den vergangenen Jahren mehrfach aufgezeigt. Im Zweiten Weltkrieg überfiel zuerst die Wehrmacht die Nachbarländer, danach organisierten Speditionen wie Kühne + Nagel die restlose „Verwertung“ des jüdischen Privatbesitzes. Davon profitierten auch Bremer Familien, die auf „Juden-Auktionen“ im heutigen Weserstadion Möbel und Haushaltsgeräte zu Schleuderpreisen kaufen konnten.

Mit Beharrlichkeit und klugen Argumenten ist es Bleyl und seinen Unterstützern gelungen, das Mahnmal an einem aus ihrer Sicht perfekten Ort zu platzieren. Wer sich auf Höhe der Weser dem „Arisierungsmahnmal“ nähert, blickt unweigerlich auch auf den Neubau von Kühne+Nagel, dem 2020 bezogenem Stammsitz des Unternehmens. Dies hebt die Erinnerungskultur auf eine neue Ebene. Im Fokus steht nicht mehr das Leid der Opfer, sondern die Verantwortung der Profiteure. Auch deshalb kamen Hunderte zur offiziellen Einweihung an die Weser.

Es ist eine besondere Leistung, in Deutschland erstmals ein „Arisierungsmahnmal" errichtet zu haben. Das steht außer Frage. Nur leider hat die Fachjury bei ihrer Auswahl des besten Entwurfs die wichtigste Eigenschaft eines Mahnmals außer Acht gelassen: Es muss deutlich wahrnehmbar sein. Wie das geht, zeigt zum Beispiel das 2005 eröffnete Holocaust-Mahnmal in Berlin. Natürlich übersteigt dessen Anspruch und Budget das Bremer Mahnmal um ein Vielfaches. Aber die grauen Quader sind nicht zu übersehen, jeder Passant wird sich an den Anblick erinnern. Den Fenstern an der Wilhelm-Kaisen-Brücke gelingt dies nicht.

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Grundsätzlich ist richtig, mahnende Botschaften nicht mit dem Holzhammer zu verbreiten. Ein kluges Konzept vermag es, zum Nachdenken anzuregen. Einen solchen Prozess kann das „Arisierungsmahnmal“ in einem Betrachter mit Vorwissen durchaus in Gang setzen. Denn die Leere ist ein symbolträchtiges Element, das auch auf die Lücken in der Erinnerungskultur und in Unternehmens-Chroniken aufmerksam macht.

Aber die meisten Menschen dürften dieses Vorwissen nicht mitbringen. Wenn die Mahnung nur von historisch gebildeten Betrachtern verstanden wird, dann ist die Gefahr groß, dass sie ihr Ziel nicht erreicht.

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