Der Bremer Hauptbahnhof ist wieder Schauplatz von massiven Verdrängungsaktionen der Polizei gewesen: Obdachlose Menschen sowie Menschen mit prekärem Erscheinungsbild erhielten wahllos Platzverweise. Etliche wurden sogar in Polizeigewahrsam genommen. Der Bürgerschaftswahlkampf naht, und die Bremer Innenpolitik möchte augenscheinlich Durchschlagskraft in der Öffentlichkeit beweisen. Schon wieder geschieht dies auf Kosten von Menschen, die gesellschaftlich ausgegrenzt sind und am Bahnhof Anschluss an das Leben suchen.
Ob die Maßnahmen überhaupt zulässig sind, ist fragwürdig. Artikel 11 unseres Grundgesetzes garantiert allen Bürgern die Freizügigkeit – und zwar nicht nur jenen, die sich mit Schlips und Kragen im öffentlichen Raum aufhalten. Aufenthaltsverbote kollidieren mit unserem Grundgesetz. Platzverweise dürfen sich nur an dem Individualverhalten der Betroffenen – niemals aber an einer Gruppeneigenschaft orientieren. Genau dies geschieht aber in Bremen. Das Aussehen genügt, um einen anlasslosen Platzverweis zu erhalten. Die Kontrollen werden teilweise alle zwei bis drei Stunden wiederholt, um die „Szene“ nicht zur Ruhe kommen zu lassen.
Die Verdrängungen am Bahnhof stehen in krassem Widerspruch zu den Versprechungen im aktuellen Bremer Koalitionsvertrag. Dort ist unter anderem von Frei- und Toleranzräumen für wohnungslose Menschen, Beratung und Hilfe, Toiletten, Trinkwasserbrunnen und Schließfächern die Rede. Insbesondere soll Wohnraum für diejenigen geschaffen werden, die keine Chance auf eine eigene Wohnung haben.
Offensichtlich ist, dass die Verdrängungstaktik am Hauptbahnhof keine Aussicht auf Erfolg hat. Seit Jahren wird diese Taktik immer dann gefahren, wenn es politisch opportun ist. Ebenfalls seit Jahren erweist sie sich als völlig wirkungslos.
Ebenso offensichtlich ist, dass wir anstelle der Verdrängung eine kluge, menschenwürdige, gesellschaftliche Onboarding-Strategie für die Menschen am Bahnhof brauchen: Das Bremer Modellprojekt "Housing First", das Menschen in eigenen Wohnraum bringt, muss hochskaliert werden. Um der dringendsten Wohnungsnot abzuhelfen, sind kleinteilige Boarding-Houses in den Stadtteilen vonnöten.
Ein kostenloser ÖPNV muss es den Menschen ermöglichen, sich vom Bahnhof zu entfernen, ohne gleich wegen einer Schwarzfahrt inhaftiert zu werden. Ein existenzsicherndes Bürgergeld kann die Hilfsangebote in der Bahnhofsgegend ersetzen. Die Würde des Menschen darf nicht vor dem Bremer Bahnhof enden.