Ist es das Wetter, nicht warm genug? Sind es die Journalisten, die vor dem Hauptbahnhof herumlungern und damit verraten, dass gleich etwas passieren wird? Ulrich Mäurer weiß es nicht. "Wir haben offenbar den falschen Tag erwischt", sagt Bremens Innensenator. Doch so ganz stimmt das nicht. Die rund 100 Mitarbeiter von Polizei, Ordnungsamt und Bundespolizei haben zu tun, als es am Montagabend mit Verzögerung losgeht: Großaktion gegen Drogen- und Alkoholmissbrauch am Bahnhof. "Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir ohne massives Eingreifen die Lage nicht verändern können", sagt Mäurer (SPD).
Dieser Punkt schält sich in den Stunden vor Beginn der Aktion viel deutlicher heraus als während des Polizeieinsatzes. Auf der Fußgängerbrücke vor dem Gustav-Deetjen-Tunnel haben verschiedene Gruppen ihr Lager aufgeschlagen, um Drogen zu konsumieren. Auf dem Boden liegen die Utensilien: Spritzen, Löffel, der Stoff selbst, viel Müll auch und weggeworfene Kleidungsstücke. Wer nicht dazugehört und die Brücke dafür benutzt, wofür sie gedacht ist, wird nicht angesprochen oder bepöbelt, wohl aber mit misstrauischen Blicken bedacht. Wirklich Sorgen machen sie sich nicht, kein Innehalten, überhaupt nicht: Die Fixer fixen. Und wer Crack raucht, und das tun viele, zieht an der Pfeife. Eine Drogenszene, wie sie offener nicht sein kann.

Taschen leeren und Ausweis zeigen – die Ansage der Polizei am Montagabend vor dem Bremer Hauptbahnhof.
Gleich gegenüber, vor dem Tor zum alten Bunker unter dem Bahnhofsvorplatz, haben sich am Ende des Abgangs zwei Frauen ihre Portion genommen. Eine der beiden steht dort halbnackt, als sie spürt, dass sie beobachtet wird, lallt sie einen Satzfetzen nach oben: "Noch nie eine Frau gesehen?"
Das ist die eine Seite am Bahnhof, die der Drogenabhängigen. Auf der anderen Seite, zum Überseemuseum hin, haben die Alkoholiker ihr Revier. Sie sitzen auf der niedrigen Steinmauer und den Bänken rund um den Rasenplatz. Das Grün sieht elend aus, eher grau und braun. Eine Heerschar von Tauben pickt, was es zu picken gibt, und das ist einiges: Essensreste, anderer Müll und Brotkrumen, die irgendwer verstreut hat.
Die Leute trinken Bier, Wein und Schnaps. Sie sind nicht laut, auch nicht lustig, ihre Sucht steht ihnen in die aufgequollenen Gesichter geschrieben. Wer nicht sitzt, der liegt und schläft seinen Rausch aus. Dazwischen ein paar Versprengte, die mehr zufällig an den Ort geraten sind. Eine Frau schimpft und brabbelt vor sich hin, sie hat eine Botschaft, nur dass keiner versteht, welche das sein soll. An den Ecken stehen herrenlose Einkaufswagen herum. Es riecht, nein, stinkt – der Geruch vom Urinal etwas weiter entfernt.
Das ist die Situation. So geht es am Bremer Hauptbahnhof zu. Kranke Menschen, die sich treffen, um ihre Sucht zu befriedigen. Andere, die anders auffällig sind. Eine deprimierende Mischung, die Mitleid erregen kann, aber auch Abwehr provoziert. Öffentlicher Raum, eigentlich für alle gedacht, wird von einer Minderheit okkupiert. Hinzu kommt, dass diese Menschen nicht immer friedlich sind. Es gibt Auseinandersetzungen, in die auch Unbeteiligte hineingezogen werden.
"Indiskutabel", sagt der Innensenator zum Gesamtbild. Er ist mit seinen Beamten vorher mehrmals am Bahnhof gewesen, um sich einen Eindruck zu verschaffen und hat nun die Konsequenzen gezogen. "Das ist der Auftakt", kündigt Mäurer an, "der Sinn ist nicht, einmal aufzuschlagen, und dann war's das. Die Botschaft ist: Wir kommen wieder."

Spritzen auf dem Pflaster sind am Bremer Hauptbahnhof keine Seltenheit.
Botschaft angekommen? Als die vielen Polizisten ausschwärmen, wird das von den einzelnen Gruppen eher gelassen hingenommen. Protest gibt es kaum. Die Beamten bilden einen Kordon, durch den es kein Entkommen gibt. Dann beginnen die Durchsuchungen, Taschen und Rucksäcke werden nach Drogen gefilzt. Das Zeug ist danach weg, beschlagnahmt. Außerdem wird nach den Ausweisen gefragt und die Identität festgestellt. Die Polizei kann Aufenthaltsverbote erteilen. Je nachdem, wie oft das bei der einzelnen Person am Bahnhof bereits vorgekommen ist, muss sie einen Tag, zwei Wochen oder gar ein halbes Jahr von diesem Ort fernbleiben.
Schwierig, das zu kontrollieren, Mäurer ist das klar. Er wünscht sich für seine Polizei mehr rechtliche Möglichkeiten, damit die Schwelle niedriger wird, um einschreiten zu können. Ein allgemeines Alkoholverbot, zum Beispiel. Und seine Leute sollen stärker als bisher präsent sein: "Es bringt nichts, mit ein oder zwei Streifen vor dem Bahnhof zu sein." An diesem Tag sind es mehr, viel mehr, und wenn der Senator seine Ankündigung wahr macht, wird das häufiger vorkommen.