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Opferentschädigungsgesetz Gewaltopfer ringen um Entschädigung

Opfern von Gewaltverbrechen soll per Gesetz schnell geholfen werden - doch das klappt in Bremen wie in Niedersachsen nur selten, zeigt eine Studie der Hilfsorganisation Weißer Ring.
20.06.2022, 05:00 Uhr
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Gewaltopfer ringen um Entschädigung
Von Joerg Helge Wagner

Wenn der Staat versagt hat, weil er Bürger nicht vor Gewaltverbrechen schützen konnte, soll er ihnen zumindest eine Entschädigung zahlen – das ist der Grundgedanke des Opferentschädigungsgesetzes (OEG), wie es seit 46 Jahren besteht. Doch das Gesetz wirkt wenig: Kaum zehn Prozent der Opfer nehmen es in Anspruch, hat eine umfassende Untersuchung der Hilfsorganisation Weißer Ring ergeben. Zudem werden sehr viele Opferanträge von den Versorgungsämtern abgelehnt – besonders gering sind die Chancen auf Entschädigung demnach in Bremen und Niedersachsen.

Im Zehnjahresvergleich – der Weiße Ring untersuchte den Zeitraum von 2010 bis 2019 – wurden in Bremen 53,7 Prozent aller Anträge abgelehnt, im Jahr 2019 waren es mehr als zwei Drittel (67,5 Prozent). In Niedersachsen ist zwar die langfristige Ablehnungsquote mit 36 Prozent sehr niedrig, die Anerkennungsquote mit 26,2 Prozent ebenso. In Bremen sieht es mit 30,3 Prozent kaum besser aus. Der an 100 fehlende Rest wird von den Ämtern als „erledigt aus sonstigen Gründen“ verbucht – das kann der Tod des Antragstellers sein, die Rücknahme des Antrags oder auch die Weitergabe des Falls an ein anderes Bundesland.

Zuständig für die Genehmigung oder Ablehnung der Anträge ist in Bremen das Amt für Versorgung und Integration (Avib), eine recht große Dienststelle der Sozialsenatorin. 205 Anträge nach dem OEG hat man hier im Schnitt der vergangenen drei Jahre bearbeitet und jährlich zwischen fünf und sechs Millionen Euro an Entschädigungszahlungen geleistet. Die verteilen sich hälftig auf Versorgungsrenten und Heil- und Behandlungskosten. In Niedersachsen wurden im vorigen Jahr 1365 Anträge gestellt.

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Das Besondere am OEG: Es gilt nicht als reiner Schadenersatz oder Schmerzensgeld, sondern als Ausgleich für die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Gewalttat. Für die Opfer hat dies den Vorteil, dass Dauer und Höhe der Entschädigung grundsätzlich unbeschränkt und auch unabhängig vom Einkommen sind. Der Nachteil: Sie müssen die eigentliche Gewalttat, die Schädigung und den Zusammenhang oft sehr detailliert nachweisen, was einerseits lange dauern und zudem zu erneuten Traumatisierungen führen kann.

Nach Auskunft des Sozialressorts werden die meisten Anträge abgelehnt, weil die Voraussetzungen für eine Entschädigung nicht nachgewiesen werden können oder „weil es an der erforderlichen Mitwirkung fehlt“. ­Offen bleibt dabei allerdings, warum dies so häufig der Fall ist: „Über gesicherte Erkenntnisse verfügen wir nicht, insofern besteht hier eine Forschungslücke“, teilt Behördensprecher Bernd Schneider mit. So könnten auch die Umstände im Stadtstaat eine Rolle spielen. Schneider verweist darauf, dass im Zehnjahresvergleich Bremen eine kaum höhere Ablehnungsquote hat als Hamburg und Berlin.

„Die Ablehnungen werden nicht nach Ablehnungsgründen aufgeschlüsselt“, heißt es auch aus dem niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie. „Daher kann zu der Frage, welche Rolle dabei fehlerhafte oder unvollständige Angaben in den Anträgen oder fehlende Mitwirkung spielen, keine Aussage getroffen werden."

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In rund jedem siebten Fall kommt es in Bremen zu Klagen der Antragsteller vor dem Sozialgericht: 2020 und 2021 waren es jeweils rund 30 Verfahren. "In praktisch allen Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz geht es darum, ob eine Rente zu gewähren ist und in welcher Höhe sie zu gewähren ist", sagt Gerichtssprecherin Susanna Hoffmann-Much. Maßgeblich für diese Renten ist der "Grad der Schädigungsfolgen" nach dem Bundesversorgungsgesetz. Das reicht von null bis 100, doch erst ab 30 besteht überhaupt ein Rentenanspruch.

"Gerade bei psychischen Störungen als Gewaltfolge ist das schwer zu ermitteln", betont Uwe Hellpap. Der Landesopferbeauftragte bei der Senatorin für Justiz und Verfassung vermittelt seit Ende 2020, wenn  Antragsteller beim Avib abblitzen oder ihre Verfahren zu lange dauern. Beim Avib warte man oft erst ein strafrechtliches Urteil ab, was das OEG aber gar nicht verlange, sagt Hellpap. Er setze sich dann dafür ein, den Opfern zumindest eine Vorab-Leistung zu zahlen, "aber damit dringe ich nicht immer durch".

Zwei bis drei Fälle betreut Hellpap pro Monat, etwa den eines mehr als 70 Jahre alten Opfers eines Überfalls in der eigenen Wohnung: "Da wurde erst einmal geprüft, ob die körperlichen Schäden tatsächlich von den Tritten der Täter stammten oder ob sie nicht altersbedingt seien." Seit zwei Jahren werde der Fall beim Sozialgericht verhandelt.

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