Laut der Statistik des Bundeskriminalamts sind die Fallzahlen von Gewalttaten gegenüber Frauen und Kindern in den letzten Jahren stetig angestiegen. Alle zweieinhalb Tage stirbt eine Frau durch die Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners und in jeder Schulklasse sitzen ein bis zwei Kinder, die sexuelle Gewalt erfahren mussten. Maren Ozanna, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Wesermarsch, nahm diese Zahlen zum Anlass für eine Veranstaltung.
„Bei diesen Angaben handelt es sich lediglich um das Hellfeld – das Dunkelfeld wird noch um einiges höher geschätzt“, betont Maren Ozanna, die auch Mitglied des Arbeitskreises gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen ist. „Diese erschreckenden Angaben verdeutlichen einmal mehr, dass dringend weiterer Handlungsbedarf besteht“, betont die Gleichstellungsbeauftragte.
Zur Veranstaltung begrüßte sie sowohl Mitglieder des Arbeitskreises als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Kindertagesstätten der gesamten Wesermarsch. „Alle Teilnehmer fungieren als Multiplikatoren, die neues Wissen in die Einrichtungen hineintragen können, sodass möglichst viele Mitarbeiter der verschiedenen Einrichtungen für das Thema sensibilisiert werden“, begründete Maren Ozanna.
Ein Referat hielt Sarah Stockhausen. Sie ist Fachärztin für Rechtsmedizin und seit mehreren Jahren schwerpunktmäßig im Bereich der klinischen Rechtsmedizin (Untersuchung von Gewaltopfern) tätig. Insbesondere aufgrund ihrer Tätigkeit für das Netzwerk Pro Beweis gibt sie unter anderem regelmäßig Schulungen an diversen Kliniken und hält Fachvorträge für Unterstützungseinrichtungen. Zudem arbeitet sie als zertifizierte Kinderschutzmedizinerin auch im Kinderschutz, für den sie Kinder mit Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder körperliche Misshandlung untersucht und Befundberichte und Gutachten erstellt. Sarah Stockhausen referierte sowohl über die forensische Kinderschutzambulanz als auch über das Netzwerk Pro Beweis.

Kerstin Nordmann (von links), Maren Ozanna und Sonja Günther sind als Mitarbeiterinnen der Kreisverwaltung im Arbeitskreis gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen aktiv.
Das Angebot des Netzwerkes richtet sich an erwachsene und jugendliche Betroffene von häuslicher und sexueller Gewalt. Über 95 Prozent der Personen, die sich an das Netzwerk wenden, sind Frauen. In den Partnerkliniken von Pro Beweis haben Betroffene die Möglichkeit, Verletzungen dokumentieren zu lassen und Spuren zu sichern, die vor Gericht auch Bestand haben.
Oftmals entschieden sich Betroffene aus Schamgefühl, Angst oder Unsicherheit nicht direkt zu einer Anzeige, berichtete Sarah Stockhausen. Es sei jedoch wichtig, dass Spuren, bevor sie nicht mehr sichtbar sind, gesichert werden. Die Fachärztin betonte, dass es von Bedeutung sei, eine Befundaufnahme schnellstmöglich nach der Tat zu machen, um möglichst viele Spuren zu finden. In diesem Kontext wies sie darauf hin, dass nur die betroffene Person entscheidet, was untersucht wird. Ferner ist die Spurensicherung unabhängig von einer Anzeige bei der Polizei und unter Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht kostenlos. Außerdem entscheiden ausschließlich die Betroffenen, was mit dem Befund anschließend geschieht. Eventuell möchten sie zu einem späteren Zeitpunkt eine Anzeige erstatten. Sie können Pro Beweis aber auch mitteilen, dass die Befunde vernichtet werden sollen.
Beratung für Ärzte
Das zweite zentrale Thema des Vortrags bezog sich auf die forensische Kinderschutzambulanz. Diese bietet Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit, sich bei Verdachtsfällen beraten zu lassen, denn eine Früherkennung und der weitere Umgang ist immens wichtig. Beispielsweise ist es für manche therapeutischen Fachleute nicht ganz eindeutig, ob es sich bei sichtbaren Verletzungen um Missbrauch oder Misshandlung handelt. Manchmal besteht auch Unsicherheit, ob eine Verletzung zu den geschilderten Sachverhalten passt. Hier fungiert die Kinderschutzambulanz als Ansprechpartnerin für niedergelassene und klinisch tätige Ärztinnen und Ärzte. Ein schriftlicher Kurzbefund mit weiteren Handlungsansätzen könne aufgrund einer körperlichen Untersuchung oder auch anhand eines pseudonymisierten Fotos der Verletzungen erstellt werden. Diese diagnostische Unterstützung bei Verdachtsfällen von körperlicher und sexueller Gewalt ist gratis. Sarah Stockhausen untermauerte ihren Vortrag mit Bildern von Verletzungen, um zu verdeutlichen, welche Merkmale einer Verletzung einer Gewalttat zugeschrieben werden können.
Im Rahmen der Veranstaltung stellte zudem die neue Leiterin der Präventionsarbeit im Polizeikommissariat Brake, Swantje Eisenhauer, den Arbeitskreismitgliedern sich und ihre Arbeit in der Wesermarsch vor.