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Telegram-Gruppen in Bremen Rechtsextreme nutzen Corona-Proteste

Auch in Bremen und Niedersachsen nutzen die Kritiker der Corona-Politik vor allem den Messengerdienst Telegram, um über ihre Aktivitäten zu informieren. Behörden warnen vor der Radikalisierung.
30.01.2022, 22:01 Uhr
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Rechtsextreme nutzen Corona-Proteste
Von Timo Thalmann

Bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen trägt der Austausch über soziale Netzwerke zu einem Klima bei, in dem Gewalttaten als vermeintlich legitimer Widerstand möglich erscheinen. So schätzt das Bremer Innenressort die Situation derzeit ein. „In Bremen zeigt sich die zunehmende Radikalisierung der Szene bislang aber primär im virtuellen Raum“, sagt Ressortsprecherin Rose Gerdts-Schiffler.

Vor allem der Dienst Telegram rückt bundesweit in den Fokus der Sicherheitsbehörden, weil Kritiker und Gegner der Corona-Politik sich hier in zahlreichen Gruppen organisieren. Die aktuell größte regionale Gruppe mit knapp 2000 Mitgliedern nennt sich „Freie Bremer.“ Dort wird regelmäßig zu den sogenannten Spaziergängen am Montag aufgerufen. Auch Zeiten und Treffpunkte in den Bremer Stadtteilen werden genannt.

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Der Name lehnt sich an die Telegram-Gruppe „Freie Sachsen“ an, die Vorbild für zahlreiche weitere ähnliche, regional ausgerichtete Gruppen ist. So existiert mit ähnlichen Inhalten und Ausrichtung auch „Freie Niedersachsen“ mit rund 23.000 Mitgliedern. Doch während das sächsische Vorbild sich zugleich als Partei mit bekannten Neonazis als aktive Mitglieder gegründet hat und inzwischen vom Verfassungsschutz als „erwiesene rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft wird, gilt das für die Bremer sowie die übrigen Gruppen bislang nicht. „Wer den Protest der Corona-Kritiker und die Nutzer der hiesigen Telegram Gruppe pauschal als rechtsextrem oder faschistisch bezeichnet, macht es sich zu einfach“, sagt Dirk Schittkowski, Leiter des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz. Er spielt damit vor allem auf die regelmäßigen Gegenveranstaltungen aus dem linken Lager an, die hier ausschließlich rechtsextreme Kräfte m Werk sehen. Allerdings sagt auch Schittkowski, dass Rechtsextreme die Corona-Proteste für ihre Zwecke nutzen.

Impfzentrum wird als "Tötungszentrum" bezeichnet

Beim Blick in den Telegram-Kanal der „Freien Bremer“ dominieren zahlreiche Behauptungen rund um Corona und die Impfkampagne. Ein Beispiel: Demnach benötige ein gutes Immunsystem keine Impfung, im Gegenteil: Erst durch die Impfung würden die Menschen krank. Regelmäßig wird ein Zusammenhang zwischen hohen Infektionszahlen und Impfungen hergestellt. Die mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna werden unter anderem als „gentechnisches Experiment“ oder „Biowaffe“ bezeichnet. Rund 2000 Zugriffe verzeichnet ein Video, in dem das Kinder-Impfzentrum am Brill als „Tötungszentrum“ bezeichnet wird. Immer wieder finden sich Links auf Webseiten, Videos und Artikel, in denen die Corona-Pandemie als von langer Hand geplante Maßnahme bezeichnet wird, um die Welt-Bevölkerung zu dezimieren und zu unterdrücken.

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Für den Mainzer Sozial- und Rechtspsychologen Roland Imhoff, der sich seit vielen Jahren mit Verschwörungstheorien befasst, bereiten solche Geschichten aber rechtsextremen Weltbildern den Boden. „Hinter der Vorstellung des natürlich starken Immunsystem steckt zum Beispiel sozialdarwinistisches Gedankengut, das fester Bestandteil rechtsextreme Ideologie ist.“ Auch an anderen Stellen erkennt der Experte vielfältige Überlappungen. Die Geschichte vom angeblichen „Tötungszentrum“ am Brill knüpfe etwa an alten antisemitischen Motiven an, in denen Juden als Kindermörder angeprangert werden. „Zugleich dient der Vorwurf, man würde sich an unschuldigen Kindern vergreifen, als Instrument, um die höchstmögliche moralische Empörung zu erzeugen.“ Das Ziel sei eine möglichst breite Mobilisierung der Gegner der Corona-Maßnahmen.

Rekrutierung von Anhängern

So ähnlich bewertet es auch André Aden, Bildungsreferent im Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Bremen, ein von der Bundesregierung und dem Bremer Senat gefördertes Projekt. „Die extreme Rechte sieht in diesen Telegram-Gruppen ein Rekrutierungsinstrument für neue Anhänger.“ Das Ziel all der Verschwörungsgeschichten sei es, eine permanente Krisen- und Ausnahmesituation zu suggerieren, für die man zugleich Schuldige und eine Lösung anbiete.

Dabei sei es gar nicht entscheidend, dass diese zum Teil absurd anmutenden Verschwörungstheorien von der Mehrheit in den Telegram-Gruppen vollständig geglaubt werden. „Wir schätzen den harten Kern der rechtsextremen Szene in Bremen und Bremerhaven auf vielleicht 100 bis 120 Personen“, sagt Aden. Das sei nicht wirklich viel. „Jeder einzelne frisch radikalisierte neue Anhänger durch die Telegram-Gruppen sei daher bereits ein beträchtlicher Gewinn für die Szene.“

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