Von der Deutschen Bahn kennt man es nicht anders, aber auch die private Nordwestbahn (NWB) hat bei der Pünktlichkeit in den vergangenen Jahren deutlich nachgelassen. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Senatsantwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hervor. Sie enthält vor allem Daten zur Situation auf der Linie RS1, die zwischen Hauptbahnhof und Bremen-Nord sowie zwischen Hauptbahnhof und Verden verkehrt, sowie zur RS 2 nach Bremerhaven. Auf diesem Schienenstrang klaffen Fahrplan und tatsächliche Ankunftszeiten besonders oft auseinander.
Was wird unter Pünktlichkeit verstanden?
Jedenfalls nicht mehr das, was ältere Semester noch aus Kindheitstagen von der Bahn kennen: Abfahrt oder Ankunft auf die Minute genau. Die Deutsche Bahn AG (DB) hat sich für ihren Fernverkehr inzwischen angewöhnt, alle Verspätungen unter sechs Minuten gar nicht als solche zu bezeichnen. Für den Nahverkehr gelten allerdings andere Grenzwerte. In allen von Niedersachsen und Bremen abgeschlossenen Verkehrsverträgen (die Länder sind für den Nahverkehr zuständig) sind Stufen bis drei Minuten, bis fünf Minuten sowie fünf bis 15 Minuten, 15 bis 60 Minuten und über 60 Minuten definiert und von den Eisenbahnunternehmen monatlich an die Behörden zu liefern.
Wie sieht es bei der Nordwestbahn aus?
Für die Jahre seit 2019 liegen Zahlen für das komplette Netz vor, das auch die Linien Richtung Oldenburg, Nordenham und Twistringen umfasst. Die Werte beziehen sich auf die Verspätungsstufe "maximal fünf Minuten". Vor fünf Jahren erreichten noch 94,5 Prozent der NWB-Züge im Gesamtnetz diesen Wert. Er sank kontinuierlich und fiel im vergangenen Jahr (Januar bis September) erstmals unter die 90-Prozent-Marke, nämlich auf 89,9. Noch deutlicher war der Abfall auf der RS1. Lag der Pünktlichkeitsgrad vor fünf Jahren dort noch bei 96,4 Prozent, so wurde er 2023 auf 89,3 Prozent beziffert. Für die RS2 nach Bremerhaven lauten die Werte 92,0 % in 2019 und 83,4 Prozent in 2023.
Wo liegen die Gründe?
Die Bremer Verkehrsbehörde hat beispielhaft den Zeitraum von Januar bis September 2022 betrachtet. In diesem Ausschnitt waren rund 80 Prozent aller Verspätungen infrastrukturbedingt. Gemeint sind damit vor allem Weichen-, Stellwerks- und Bahnübergangsstörungen, aber auch Baumaßnahmen entlang des Schienenstrangs. Eine davon – am Zeppelintunnel im Bereich der Sebaldsbrücker Heerstraße – trug deutlich zu den Verspätungen der RS1 bei, da im Bereich der Brückenbaustelle über lange Phasen nur ein eingleisiger Betrieb möglich war. Auch ist die sehr hohe Auslastung der Gleise im Bereich des Verkehrsknotens Bremen ein Faktor bei der Unpünktlichkeit von Zügen. Da die Nordwestbahn auf den Strecken der DB verkehrt, liegt die Verantwortung für die Infrastruktur aber letztlich dort. Verspätungsgründe, die von der NWB zu vertreten sind, machten laut Senatspapier im genannten Zeitraum nur einen niedrigen einstelligen Prozentwert des Gesamtaufkommens aus.
Gibt es auch mehr Zugausfälle?
Komplettausfälle von Zugfahrten sind tatsächlich eine Seltenheit. Der Wert schwankte seit 2019 auf der RS1 um die 1,7 Prozent, auf der RS2 um ein Prozent. Die Zahl bezieht sich auf die nicht absolvierten Soll-Fahrkilometer. Auch in dieser Rubrik überwogen als Ursache Infrastrukturmängel und bauliche Einschränkungen auf bestimmten Streckenabschnitten. Etwa jeder vierte Ausfall war von der Nordwestbahn zu vertreten. An den von ihr eingesetzten Zügen lag das kaum, denn sie nicht noch vergleichsweise neu und gelten als zuverlässig. Wenn Fahrten gestrichen werden mussten, hatte das zumeist mit Personalmangel zu tun.
Lässt sich das Personalproblem beheben?
In naher Zukunft kaum. Zwar greift die NWB bei Engpässen auch mal auf Lokführer spezialisierter Leiharbeitsfirmen zurück. Doch dieses Potenzial ist begrenzt, denn Lokführer werden bundesweit händeringend gesucht – der Fachkräftemangel in diesem Bereich ist dramatisch. Viele Eisenbahnunternehmen bieten eine in der Regel zehnmonatige Ausbildung zum Triebfahrzeugführer an, und das Interesse an solchen Angeboten soll zuletzt auch wieder zugenommen haben, wie es in der Senatsantwort auf die Linken-Anfrage heißt. Zugleich ist aber die Durchfallquote bei den Prüfungen recht hoch. Und parallel nimmt der Personalbedarf zu, weil die Bahn-Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen der vergangenen Jahre Schichtmodelle für die Beschäftigten durchgesetzt haben, die zusätzliche Kräfte erfordern.
Wie reagieren NWB und Verkehrsbehörde?
Die Nordwestbahn sieht die Gründe für die sinkende Pünktlichkeit ihrer Züge ganz überwiegend außerhalb ihres Verantwortungsbereichs. "Um pünktlicher fahren zu können, ist eine verbesserte Infrastruktur notwendig", macht Sprecher Steffen Högemann geltend. Die Zugausfälle wegen Personalmangels versuche das Unternehmen durch kontinuierliche Ausbildung in den Griff zu bekommen. Für 2024 seien zwei neue Lehrgänge geplant. Verkehrssenatorin Özlem Ünsal (SPD) bezeichnet die Pünktlichkeitsquote sowohl der DB als auch der NWB gegenüber dem WESER-KURIER als "unbefriedigend". Vor allem für Pendler sei dies misslich. Ünsal begrüßt die von Bund und DB für die nächsten Jahre geplante Kernsanierung der von Bremen ausgehenden Hauptstrecken. Sie werde sich "positiv auf die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit des Eisenbahnverkehrs auswirken", ist die Senatorin überzeugt.