Die richtigen Lehren aus dem Wümme-Hochwasser ziehen: Darum geht es an diesem Donnerstag, wenn sich die Mitglieder der Umwelt- und der Innendeputation zu einer gemeinsamen Sondersitzung treffen. Der Senat hat bereits einen Maßnahmenkatalog vorbereitet. Doch eine Gruppe von Landwirten, die durch die wochenlange Überflutung ihrer Felder wirtschaftliche Schäden erlitten haben, sieht ihre Belange in den Planungen der Behörden nicht ausreichend berücksichtigt. Sie machen im Vorfeld Druck – genau wie die Umweltorganisation BUND, der Bremische Landwirtschaftsverband und die Nordwestdeutsche Stiftung für Tier- und Naturschutz. Das Bündnis hat ein eigenes Positionspapier vorgelegt.
In einer Vorlage für die Sitzung zeichnet die Umweltbehörde die Ereignisse zwischen den Weihnachtstagen und dem Ende der ersten Januarwoche nach. Borgfeld und das angrenzende niedersächsische Lilienthal schrammten damals nur knapp an einem katastrophalen Hochwasser vorbei. Am Abend des 2. Weihnachtsfeiertages drang das Wasser der Wümme in das Wohngebiet rund um den Erbrichterweg ein, das vor der Hochwasserschutzlinie liegt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wiesen in der Wümmeniederung bereits
überschwemmt. Feuerwehr, THW und Deichverband blieben wochenlang im Dauereinsatz, um den Deich zu stabilisieren, Wasser abzupumpen und mobile Hochwasserschutzanlagen zu installieren.
Letztlich kam es zu keinen Durchbrüchen. Alles bestens also an den bremischen Deichen? Nein, punktuell besteht Handlungsbedarf. So sehen es jedenfalls die Experten in der Umweltbehörde. In Anlehnung an den "Generalplan Küstenschutz", auf dessen Grundlage die Deichlinie an der Unterweser erhöht wird, soll nun ein "Generalplan Hochwasserschutz Binnenland" die Ausbaubedarfe an der Wümme, der Ochtum und der Mittelweser klären. Hier geht es um insgesamt 67 Kilometer Deichlinie.
Bäume sollen weichen
Einige Maßnahmen müssen aus Behördensicht schon bald in Angriff genommen werden. Dazu zählt etwa der Bau beziehungsweise die Ertüchtigung von Deichverteidigungswegen im Bereich Timmersloh und der Warft Butendiek. Was nicht mehr toleriert werden soll, sind Bäume und sonstiger Bewuchs auf oder unmittelbar an Deichen. Hintergrund: Wenn Bäume mitsamt ihrem Wurzelwerk aus aufgeweichten Deichen herausgerissen werden, kann dies zu Durchbrüchen und in der Folge zu katastrophalem Deichversagen führen. Weitere Stichworte aus dem Maßnahmenkatalog: aktualisierte Berechnung möglicher künftiger Hochwasserstände und entsprechende Neufestsetzung von Überschwemmungsgebieten; Reparatur schadhafter Stellen am Deich entlang der sogenannten Stadtstrecke zwischen Eisenbahnbrücke und Piepe; Anpassung der Überlaufschwelle in Habenhausen, die bei einem Binnenhochwasser der Mittelweser eigentlich über den Werdersee eine Entlastung bewirken soll – genau das hat zuletzt nicht geklappt.
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Derweil haben BUND, Landwirtschaftsverband und die Nordwestdeutsche Stiftung für Tier- und Naturschutz eigene Eckpunkte für ein Hochwasserschutzkonzept vorgelegt. Ihr Positionspapier fordert unter anderem eine aktuelle Peilung der Wümme. So soll geklärt werden, wo sich Sandbänke befinden. "Diese grundlegenden Informationen sind nötig, um den Nutzen eines punktuellen Ausbaggerns der Unteren Wümme einschätzen und die Maßnahme gegebenenfalls planen zu können", heißt es in einem sieben Punkte umfassenden Forderungskatalog. Darin findet sich auch der Vorschlag, die Staupläne des Lesumssperrwerks an die veränderten Gegebenheiten anzupassen. Notwendig ist es aus Sicht des Bündnisses auch, eine Koordinierungsstelle mit Akteuren aus den Bereichen Inneres, Wasserwirtschaft, Naturschutz und Landwirtschaft einzurichten und einen Entschädigungsfonds für Bauern aufzulegen, die durch Überschwemmungen materielle Einbußen hinnehmen mussten.
Apropos Bauern: Sechs Bremer Landwirtsfamilien und ein Berufskollege aus Oyten lassen sich inzwischen gegenüber der Stadt Bremen und der Gemeinde Lilienthal anwaltlich vertreten, weil sie den Kommunen Versäumnisse beim Hochwasserschutz ankreiden. Ihre Felder nahe der Wümme standen nach dem eigentlichen Flutereignis noch viele Wochen unter Wasser, teils bis in den Mai. In der Vorlage für die heutige Sondersitzung der Deputationen vermissen die Landwirte jegliches Eingehen auf ihre Probleme. Das haben sie in einem Brief an Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne) und Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) deutlich gemacht, der dem WESER-KURIER vorliegt. Beim Wümme-Hochwasser hätten sich nicht etwa "unvorhersehbare Naturgefahren realisiert". Die Ursachen seien vielmehr bei der mangenden Unterhaltung der Wümme und dem Krisenmanagement zu suchen. Als kritikwürdig listen die Bauern unter anderem auf: zu geringen Abfluss im Flussbett durch Sandbänke und Bewuchs; fehlerhafte Steuerung von Lesumsperrwerk, Deichschlot am Hodenberger Deich und Pumpenanlagen in Osterholz; fehlende Stauanlagen, die Wasser zurückhalten können. Zumindest die lange Dauer der Überflutung ihrer Felder sei vermeidbar gewesen, beklagen die Landwirte. Bei den Behörden sei man jedoch "noch nicht einmal gewillt, wesentliche Ursachen für die Hochwassersituation zügig abzustellen".