Im Prozess gegen Niels Stolberg ist nach wie vor kein Urteil in Sicht. Wohl auch deshalb, weil das Gericht den Prozess laufen lässt, ohne zwischendurch mal einen Strich unter einen der Anklagepunkte zu ziehen.
„Dieser Tag gehört der Staatsanwaltschaft“, so eröffnet die Vorsitzende Richterin Monika Schaefer am Mittwoch den 40. Verhandlungstag im Beluga-Prozess. Die Anklage hat einen weiteren Beweisantrag vorbereitet. Sie lässt nicht locker in dem Bemühen, dem ehemaligen Beluga-Chef Niels Stolberg schweren Betrug nachzuweisen. Dem Antrag folgt eine Hakelei mit dem Verteidiger von Stolberg – das übliche Prozedere in diesem Mammutverfahren, und wenn das so weitergeht, kann es noch Monate dauern, bis ein Urteil gesprochen wird. Der Prozess steckt in der Sackgasse, wohl auch deshalb, weil das Gericht ihn laufen lässt, ohne zwischendurch unter den einen oder anderen Anklagepunkt mal einen Strich zu ziehen.
Der neue Beweisantrag zielt auf das Geschäft zwischen Beluga und einem Reeder aus Hamburg. Stolberg soll ihn beim Verkauf von vier Schiffsbetreibergesellschaften über den Tisch gezogen haben, nicht mit gewiefter Taktik, sondern mit Betrug. Erfüllt ist dieser Straftatbestand freilich nur dann, wenn ein Vermögensschaden entstanden ist.
„Das muss das Gericht entscheiden“, sagt Staatsanwältin Silke Noltensmeier. Das hat das Gericht entschieden, jedenfalls in der Tendenz, sonst hätte es diesen Teil der Anklage nicht für das Hauptverfahren zugelassen. Doch seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen. „Weil etwas zugelassen ist, führt es nicht automatisch zu einer Verurteilung“, belehrt Stolberg-Anwalt Bernd Buchholz die Anklägerin. Und das Gericht? Schweigt. Noch nicht einmal einen Fingerzeig, wie es die Angelegenheit mittlerweile betrachtet.
Stolberg hat stets Anwesenheitspflicht
Die Reihen im Gerichtssaal haben sich von Monat zu Monat mehr gelichtet. Auf den Zuhörerbänken sitzen die Stammgäste, eine Frau und zwei Männer, die keinen Verhandlungstag auslassen. Pures Interesse, betroffen sind sie von den Beluga-Geschäften nicht. Hinzu gesellen sich wenige andere, manchmal auch niemand. Lücken gibt es auch auf der Anklagebank. Nur noch Stolberg muss jedes Mal zum Prozess kommen, die anderen drei Angeklagten aus dem früheren Management der Beluga-Reederei sind beurlaubt.
Immerhin: 35 der 37 möglichen Straftaten, die zur Anklage gebracht wurden, sind im Beweisverfahren bereits behandelt worden. Nicht sicher ist allerdings, ob das abschließend passiert ist. Solange das Beweisverfahren läuft, kann jederzeit einer der Komplexe neu eröffnet werden. Ärgerst du mich, ärgere ich dich – so einfach läuft das bisweilen zwischen Anklage und Verteidigung.
Im Fall des Reeders aus Hamburg soll es nach Darstellung der Staatsanwaltschaft so gewesen sein, dass Stolberg ihm mit den Betreibergesellschaften vier Schiffe verkauft hat, die in China noch in Bau waren. Mit der Werft habe der Beluga-Chef sogenannte Kick-back-Zahlungen vereinbart, jeweils 2,5 Millionen US-Dollar, die als Kommission auf Stolbergs Konto flossen. Dem Käufer habe er das verschwiegen. Der Preis der Schiffe wäre sonst entsprechend geringer gewesen.
"Die Schiffe waren ihren Preis wert"
Der Mann aus Hamburg fühlte sich betrogen, so hatte er es im Ermittlungsverfahren ausgesagt. Später spielte diese Darstellung zusätzlich in einem gerichtlichen Zivilverfahren eine Rolle. Der Unternehmer hielt sie jahrelang aufrecht – bis zu dem Tag, an dem er als Zeuge vor dem Bremer Landgericht auftrat. Betrug? Nein, sagte der Reeder: „Mir war der Kaufpreis egal, solange mir von Beluga eine entsprechend hohe Charterrate garantiert werden konnte.“
Für die Anklage war das ein Schlag ins Kontor. Sie ermittelt nun gegen den Zeugen wegen falscher uneidlicher Aussage. Der Beweisantrag vom Mittwoch zieht das Zivilverfahren heran. Für Stolbergs Verteidiger ist das ein Witz: „Dieser Antrag ist komplett überflüssig.“ In dem Verfahren seien lediglich Schriftsätze verlesen worden, anders als im laufenden Prozess habe der Hamburger Reeder dort nicht ausgesagt. Vor allem aber sei dem Unternehmer durch das Geschäft mit Beluga kein Schaden entstanden: „Die Schiffe waren ihren Preis wert.“
Für den Ex-Reeder geht es um viel
So dreht es sich auch an diesem Verhandlungstag wieder im Kreis. Stolberg stöhnt, wenn man ihn darauf anspricht: „Es zehrt.“ Gleichzeitig muss er hellwach bleiben, denn es geht um viel für ihn. Kommt er mit einer Bewährungsstrafe davon, wie es für seine Mitangeklagten zu erwarten ist? Oder muss er ins Gefängnis, wenn die Strafe zwei Jahre Haft übersteigt und nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann?
Unmöglich, dazu eine Prognose abzugeben. Sicher ist, dass der Ex-Reeder nicht freigesprochen wird. Er hat eingeräumt, Bilanzen gefälscht und trickreich Eigenkapital dargestellt zu haben, um an Kredite zu kommen. Dafür wird er bestraft, das ist auch Stolbergs Verteidigern klar. Aus ihrer Warte hätte der Prozess deshalb längst beendet sein können. Die Staatsanwaltschaft sieht das naturgemäß anders. Fünf Jahre lange wurde gegen Stolberg ermittelt. Die Anklageschrift umfasst 875 Seiten. Drei Richter haben vor dem Prozess anderthalb Jahre nichts anderes getan, als sich da durchzuackern. Das Urteil darf davon zwar nicht beeinflusst werden. Der Aufwand wiegt aber schwer.