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Kritik an Tiktok-Trends Den sozialen Medien fehlt eine wirkliche Altersschranke

Trends in den sozialen Medien müssen immer krasser ausfallen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Auch aktuell werden Grenzen mit einer neuen Challenge verschoben, meint Michael Brandt.
19.04.2023, 21:37 Uhr
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Den sozialen Medien fehlt eine wirkliche Altersschranke
Von Michael Brandt

Nicht lustig, eher abstoßend: Auf der Social-Media-Plattform Tiktok filmen sich seit Wochen und Monaten überwiegend junge Menschen dabei, wie sie zwei Finger zusammenlegen und sie anderen zwischen die bekleideten Pobacken schieben. Die Reaktion der Betroffenen wird dann ins Internet gestellt. Unter dem Hashtag "A...bohrer kriegt jeder".

Natürlich sollte man nicht jedes Mal den Zeigefinger heben, wenn im Internet ein neuer Trend aufkommt. Zumal diese Welle schon in wenigen Wochen abgeebbt sein wird. Genau da liegen aber die Gefahren. Zum einen handelt es sich beim jetzigen Trend um demütigende Übergriffe, die Lehrer und Eltern nicht einfach unbeachtet lassen können. Schulterzucken und wegschauen ist da keine Option. Zum anderen liegt es in der Natur der sozialen Medien, dass die nächste Aktion immer noch krasser ausfallen muss. Wer Aufmerksamkeit will, der muss die Grenzen verschieben.

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Die EU-Initiative Klicksafe.de hat schon früh vor der aktuellen Streich-Welle gewarnt und Lehrer und Eltern aufgerufen, aufmerksam zu sein. Bei diesen Streichen würden Grenzen verletzt, heißt es bei Klicksafe. Übergriffiges Verhalten werde als Humor oder Satire verharmlost. 

Wie wenig harmlos diese Internet-Phänomene sein können, hat sich im März erst bei den Premierenvorstellungen des Films "Creed 3" gezeigt. Bundesweit – in Bremen war das Kino in der Waterfront betroffen – mussten Vorstellungen abgebrochen werden, weil Jugendliche randalierten, Speisen warfen. Die Kinosäle boten hinterher ein Bild der Verwüstung, unbeteiligte Kinogäste äußerten sich verstört und zornig. Der Ulmer Psychologie-Professor Christian Montag sagte anschließend dem SWR: "Dass die Aktionen in den Kinos sehr extrem sind und sicherlich auch über manche vergangene Challenges hinausgehen, hat vielleicht einfach damit zu tun, dass man im Internetzeitalter gefühlt immer den nächsten Schritt machen muss."

Die jetzigen Challenges (also Herausforderungen oder Mutproben) unterscheiden sich deutlich von den Anfängen. Bei der Ice Bucket Challenge ging es 2014 noch darum, sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf zu schütten und drei weitere Personen zu nominieren, um so Spenden für die ALS-Forschung zu sammeln. Der hohe Verbreitungsgrad der sozialen Medien wurde für den guten Zweck genutzt. In den Folgejahren sorgten allerdings vor allem die Bird-Box-Herausforderung (mit verbundenen Augen durch die Gegend laufen) und die In-My-Feelings-Challenge (bei der Menschen aus ihrem fahrenden Auto ausstiegen und tanzten) für eine Wende: je höher das Risiko, desto größer die Aufmerksamkeit. Das beschert Klickzahlen und letztlich Geld.

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Weil die Mutproben millionenfache Nachahmer finden, gibt es immer wieder auch Meldungen über schwere Verletzungen und Todesfälle. Auch beim derzeitigen Trend mit dem Finger hat es nach Zeitungsberichten Verletzungen gegeben. Kinderschutzeinrichtungen gehen davon aus, dass Internet-Challenges zudem zu Selbstmorden geführt haben.

Die Ratschläge, die daraus folgen, wirken so altbacken wie hilflos. Der Vorschlag etwa, mit seinen Kindern doch über die gefährlichen Internet-Mutproben zu sprechen. Das ist in Ordnung, klammert aber aus, dass Eltern in den allermeisten Fällen nicht mitbekommen, was ihre jugendlichen Kinder sich im Internet ansehen, was sie liken oder selber posten. 

Wer Tiktok nutzt, muss mindestens 13 Jahre alt sein, braucht dazu dann aber immer noch die Einwilligung der Eltern. Ähnlich sieht es bei Instagram, Snapchat und Whatsapp aus. Doch mit Leichtigkeit können sich Kinder auch ohne Zutun der Erwachsenen ein Account anlegen, eine Überprüfung der Altersangaben findet nicht statt. 

Ein erster Schritt wäre also, eine verbindliche Altersüberprüfung einzuführen. Einige Mobilfunk-Anbieter machen es längst vor: Nur wer seinen Personalausweis vor die Kamera hält, kann einen Vertrag abschließen. Technisch wäre eine echte Altersschranke also kein Problem, man müsste die Anbieter nur dazu vergattern. Vielleicht liefert die nächste Challenge dafür den entscheidenden Anreiz.

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