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Kommentar über den Zustand der SPD Von Riesen in Zwergengestalt

Die SPD steckt in großen Schwierigkeiten, in Bremen und auf Bundesebene. Die Personalien Carsten Sielung und Andrea Nahles spielen dabei eine untergeordnete Rolle, meint Silke Hellwig.
27.05.2019, 19:36 Uhr
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Von Riesen in Zwergengestalt
Von Silke Hellwig

Es war ein rabenschwarzer Sonntag für die SPD in Bremen und auf Bundesebene. Es war zwar nicht der erste Wahltag, an dem die Sozialdemokraten angesichts ihrer Ergebnisse Trauer tragen mussten, besonders bitter war er aber schon: In Bremen der Verlust der Stimmenmehrheit nach mehr als 70 Jahren, in Europa nur noch gut 15 Prozent und drittstärkste Kraft – das ist mehr als eine Ohrfeige, das sind schon Hiebe, und die tun richtig weh.

Der 26. Mai 2019 wird nicht der letzte Wahltag gewesen sein, an dem die SPD an sich selbst zweifelt und verzweifelt, wenn sie nicht bald einen Weg aus der tiefen Krise findet, die nicht nur, aber zum großen Teil hausgemacht ist. Offensichtlich ist es ihr weder auf Europa-Ebene noch in Bremen gelungen, zu vermitteln, wofür sie steht, was sie unverwechselbar und vor allem unverzichtbar macht. Aus Angst zu vergrünen, hätten die Genossen das Thema Klimaschutz unterschätzt, heißt es vielfach in Analysen. Das ist es aber nicht allein.

Denn die deutlich linke Sozialpolitik, die die SPD seit Anfang des Jahres verfolgt und die auch in der Selbstvermarktung von Carsten Sieling eine tragende Rolle spielte, trifft ebenfalls einen Nerv. Umfragen zeigen, dass die soziale Ungleichheit die Bevölkerung beschäftigt und beunruhigt. Viele Bundesbürger sehnen sich nach einer Politik, die das soziale Gefälle auffängt und, so gut es geht, aufhebt.

Nur: Offenbar hat die SPD hier inzwischen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Nicht alle nehmen ihr ab, dass genau das ihr großes Thema war und ist und bleiben wird, das aus Versehen ein wenig in Vergessenheit geraten war. Mit ihrem neuen Kurs macht sie sich verdächtig. Ihre Respekt-Rente, die Grundsicherung für arme Kinder und Hartz-IV-Korrekturen werden weniger als Aktionen aus Einsicht, denn als Reaktionen auf eine Reihe von Wahlniederlagen wahrgenommen.

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Es fehlt an praktischen Beweisen

Geargwöhnt wird, dahinter stecke vor allem eine Strategie, um sich vom ungeliebten Koalitionspartner in Berlin abzusetzen und um die eigene Haut, die eigene Macht, den eigenen Posten zu retten, nicht etwa die Welt. Nimmt sich die SPD nunmehr gezielt der Klimapolitik an, wiederholte sich eben dieses Muster. Wie sie es macht, macht sie es falsch.

Auch in Bremen hat die SPD solche Schwierigkeiten: Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass sie sich weiter links verortet als andere SPD-Generationen vor ihr. Carsten Sielings Herz schlägt links, schon immer, keine Frage. Aber selbst wenn er das mit Röntgenbildern dokumentieren könnte, fehlt es an genügend praktischen Beweisen.

Die SPD in Bremen hat in den vergangenen Jahren nicht konsequent verfolgt, dass Kita und Schule die Nachteile von Kindern aus benachteiligten Familien ausgleichen. Ein Sonderprogramm für Bildung aufzulegen und mit 200 Millionen Euro mehr ab 2019 auszustatten, ist ihr sehr spät eingefallen. Ausgerechnet die Umgestaltung der Innenstadt, den Umbau der Domsheide und die Umgestaltung des Domshofs hat Sieling zur „Chefsache“ gemacht.

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Selbst wenn man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen darf, selbst wenn es diverse Vorstöße gab (zumal in jüngster Zeit): Die SPD in Bremen hat letztlich doch mehr über ihr Linkssein geredet als es in praktischer Politik auszudrücken. Umso mehr erweist sich Sielings frühzeitige Absage an eine Große Koalition als taktischer Fehler. „Sozial statt privatisieren“ ließ er in der Wahlkampf-Endphase an seine Plakate kleben. Das ist nicht nur grammatikalisch Unfug.

Aus Entfernung wird Entfremdung

Eine SPD ohne Andrea Nahles und Carsten Sieling in führenden Positionen löste das Problem der SPD indes nicht, ebenso wenig wie das Ende der Großen Koalition im Bund. Das reden sich viele Genossen ein, aus Hilflosigkeit. Tatsächlich weiß die SPD nicht mehr (noch nicht?) wohin, also wissen Bürger nicht, warum sie wählen. Wer links tickt, hat sich offenkundig gefragt, warum er eine Vergangenheit unterstützen soll, wenn er eine Gegenwart bekommen kann. Und das ist eben nicht die SPD, sie ist es nicht mehr. Es sind die Linken.

Auf SPD-Parteitagen stehen schon lange keine Malocher mehr auf, treten ans Mikrofon und sagen den Funktionären, was sie von ihnen halten und erwarten. So ist den Sozialdemokraten das Gefühl für ihre Klientel abhandengekommen. Wer nicht weiß, was sie will, setzt durch, was Funktionäre wollen. Damit wird aus Entfernung am Ende Entfremdung. Die SPD erkannte diese Entwicklung spät und sah ihr lange tatenlos zu. Schließlich dauert es, bis ein Riese zum Zwerg wird, und das Bewusstsein schrumpft meist nicht mit. Zwerge glauben, sie seien noch Riesen. Das ist das Schicksal der SPD.

Wir haben für Sie die Diskussion zur Bürgerschaftswahl 2019 unterhalb des Liveblogs gebündelt. Dort können Sie gerne kommentieren. Wir freuen uns über Ihren Beitrag unter www.weser-kurier.de/bremenwahl-liveblog

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