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Werder-Leistungszentrum Workshop: Wer haftet im Ernstfall?

Im vierten Workshop des Moderationsverfahrens zum Werder-Leistungszentrum informierten Experten über die Themen Hochwasserschutz, Deichsicherheit, Auswirkungen des Klimawandels sowie zu Haftungsfragen.
25.02.2023, 05:00 Uhr
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Workshop: Wer haftet im Ernstfall?
Von Sigrid Schuer

Ganz am Ende des mehrstündigen Sitzungsmarathons im Saal der Evangelischen Friedensgemeinde wurde eine der wohl spannendsten Fragen des Abends gestellt. Die nach der Haftung im Falle einer Überschwemmung des Hochwasserschutz-Gebietes Pauliner Marsch, sollte das Werder-Leistungszentrum nach Abschluss des laufenden Moderationsverfahrens inklusive der insgesamt sieben angesetzten Workshops doch gebaut werden.

Stefan Schafheitlin, der als Vertreter der Wählergemeinschaft "Leben im Viertel" im Beirat Östliche Vorstadt sitzt, sprach den Präsidenten des SV Werder Bremen, Hubertus Hess-Grunewald, direkt an: "Wenn das Werder Leistungs-Zentrum in der Pauliner Marsch gebaut werden sollte, wer ist dann der Bauherr und wer wird der Eigentümer sein?" Der Werder-Präsident gab sich wortkarg und räumte lediglich ein, dass das noch nicht geklärt sei. Dass diese Fragen aber von großer Bedeutung sind, sollte es zum Ernstfall, einer durch eine Sturmflut ausgelösten Überschwemmung im Retentionsgebiet, also Überschwemmungsgeboet, in der Pauliner Marsch kommen, darauf wies Wilhelm Koldehofe, Leiter des Referates Wasserwirtschaft beim Bau- und Umweltressort, in seinem Impulsvortrag hin.

Haftung im Falle einer Überflutung

Sollte es zu Schäden kommen, die der Eigentümer des Werder-Leistungszentrums zu verantworten hätte, dann müsste er auch finanziell dafür gerade stehen, so Koldehofe. Die kritische Anwohnerschaft äußerte auch im Zuge des vierten Workshops die Befürchtung, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf diesen Kosten sitzen bleiben könnten. Schafheitlin merkte ferner an, dass sich die kalkulierten Baukosten für das Leistungszentrum auf 59 Millionen Euro Stand jetzt versechsfacht hätten und die Baukosten weiterhin explodierten. Er monierte zudem, dass neun Monate lang die Protokolle des Moderationsverfahrens nicht ins Internet gestellt worden seien.

Themen dieses vierten Workshops waren Hochwasserschutz, Deichsicherheit, Auswirkungen des Klimawandels sowie Risikobewertung und Haftung. Ob es überhaupt zum Bau des Leistungszentrums kommen wird, ist nach wie vor ergebnisoffen. Das betonte Steffen Eilers, Sprecher des Beirates Östliche Vorstadt, erneut.

Bremen ist hochwassergefährdet

Wilhelm Koldehofe führte weitere, entscheidende Details aus: Demnach ist Bremen mit 85 Prozent seiner Landesfläche hochwassergefährdeter als etwa die Nachbarstadt Hamburg. Ein weiterer Risikofaktor: Der konsequente Ausbau der Unterweser zur Seeschifffahrtsstraße, der laut Deichhauptmann Michael Schirmer den Tidehub vergrößere. Im Ernstfall einer Sturmflut gelte es, Leib und Leben von 532.000 Einwohnerinnen und Einwohnern zu schützen, sagte Koldehofe. Dass das bis heute mit einer Deichschutzlinie von 160 Kilometern und allein 80 Kilometern Schutzwall gegen Sturmfluten gelungen ist, betonte der Deichhauptmann. Der Grund: In Bremen seien die Deiche nach den Sturmfluterfahrungen von 1947, anders als in Hamburg, sukzessive erhöht worden.

Ergebnis: Während Hamburg mit voller Wucht von der verheerenden Sturmflut 1962 getroffen wurde, sei Bremen noch relativ glimpflich davon gekommen. Der Deichhauptmann prophezeite, dass es in den kommenden zehn Jahren zu einem Hochwasser kommen werde. Denn Experten, darunter zahlreiche Wissenschaftler und Vertreter der bundesdeutschen Küstenländer, das betonte an diesem Abend auch Stephan Levin, Geschäftsführer des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer, hielten es für realistisch, dass, dem Klimawandel geschuldet, der Meeresspiegel bis 2100 um mindestens einen Meter ansteigen werde. Und damit auch das Sturmflutrisiko. Er warnte ausdrücklich vor dem Anstieg eines Wiederkehrintervalls von Sturmfluten und dem daraus resultierenden Anstieg der Überflutungsgefahr, auch für andere Stadtteile.

Bebauung im Hochwasserschutzgebiet verboten

Der Osterdeich wäre dann laut Koldehofe mit seinen 9,40 Metern Höhe mit circa einem Meter Klimareserve immer noch geschützt. Laut Paragraf 78 der Hochwassergebietsverordnung ist die Bebauung eines Hochwasserschutzgebietes grundsätzlich verboten. Denn es gelte gemäß der Richtlinien des Risikomangementplans generell, Menschenleben, Umwelt und Wirtschaft sowie das Kulturerbe zu schützen. Sollte im Retentionsgebiet doch gebaut werden, müsste der Eigentümer die entstandenen Schäden tragen. Auf Initiative Bremens hin wurde in besagte Verordnung nämlich eine Ausnahme eingebaut: Demnach dürften bis zu 25.000 Kubikmeter in der Pauliner Marsch verbaut werden, wenn diese Fläche des Retentionsgebietes im Falle einer Überschwemmung noch zu kompensieren wäre. Eine Voraussetzung dafür: Hochwasserangepasstes Bauen. "Pläne liegen uns bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor", resümierte Koldehofe. Werder hat laut Hess-Grunewald in seiner Konzeptstudie mit unter 20.000 Kubikmetern für das Leistungszentrum kalkuliert. Der Deichhauptmann warnte diesbezüglich ausdrücklich vor den Gefahren eines Rückstaus auf der Abflussfläche. 

Von einem Vertreter der Sportdeputation wurde das Argument vorgebracht, ob es nicht möglich sei, das Leistungszentrum aufgeständert zu bauen. Die Idee dahinter: Dann könnte das Wasser diese Konstruktion umfließen und das Gebäude sei in einer Höhe von circa acht Metern nutzbar, rechnete Koldehofe vor. Er wies allerdings auch auf die möglichen Gebäude-Schäden und die daraus entstehenden Kosten bei einer Sturmflut hin. Sarkastischer Kommentar aus dem Auditorium: Das wäre ja für einen Stadionbau besonders ideal.

Abflussrohr mit einem Meter Durchmesser

Eines machte Koldehofes Kollege Jens Wunsch, im Umweltressort zuständig für die Themen Hochwasserrisikomanagement, Gewässerkunde und Klimawandel deutlich: Die Abflussmöglichkeiten für Hochwasser sind in der Pauliner Marsch mit lediglich einem Entwässerungsrohr mit einem Durchmesser von einem Meter mangelhaft. Laut einem weiteren, geladenen Experten, Jan Visscher vom Ludwig-Franzius-Institut für Wasserbau und Ästuar- und Küsteningenieurswesen Hannover, würde es bis zu 59 Stunden dauern, bis sich das Gebiet wieder geleert habe. Im Fall einer Sieben-Meter-Flut werde die Pauliner Marsch innerhalb einer halben Stunde volllaufen, so seine Berechnungen. Sein Institut war 2019/2020 vom Umweltressort mit einer Studie zum Hochwasserrisiko beauftragt worden. Die Machbarkeitsstudie für die Etablierung eines zweiten Siels läuft momentan. Sie soll Ende April vorgestellt werden. Die Umsetzung sei laut Schirmer wünschenswert, aber bislang aus finanziellen Gründen noch nicht erfolgt.

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