Natalia Shaybel ist froh, eine Arbeitsstelle zu haben. „Die Leute kommen her und sagen mir, welches Problem sie haben: Die meisten brauchen Hilfe bei Ämtern, Anmeldung oder Abmeldung bei Umzug oder Terminen beim Arzt oder im Krankenhaus“, erzählt die 43-Jährige und ergänzt: „Ich kann nur bei einfachen Fragen übersetzen, ich bin Sprachmittlerin und keine Dolmetscherin.“
Wobei Natalia Shaybel auf manchen Gebieten mit Fachvokabular in ihrer Muttersprache aufwarten könnte. Die studierte Tierärztin kam vor vier Jahren aus dem sibirischen Omsk nach Bremen. Als sogenannte Spätaussiedlerin, Russin deutscher Abstammung, erhielt sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach einer Phase der Arbeitslosigkeit ist sie seit knapp einem Jahr bei Bras angestellt. Der Verein ist einer der größten Träger für die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in Bremen. Ebenso wie ihre Schwester Tatiana und ihr Mann, der ukrainische Bauingenieur Alexander Golovchenko, ist Natalia Shaybel als Sprach- und Integrationsmittlerin, sogenannte Sprinter, am Standort Vegesack befristet tätig.
Wie berichtet, haben im Land Bremen 150.000 Menschen keinen deutschen Pass und 246.000 Menschen eine Einwanderungsgeschichte. Das entspricht rund 37 Prozent der Bevölkerung – der höchste Wert unter allen Bundesländern.
„Derzeit sind bei uns 125 Sprinter sozialversicherungspflichtig beschäftigt“, berichtet Jürgen Stanek, Betriebsleiter an zwei von sieben Standorten, die aus der Zentrale in Vegesack geleitet werden. Die Sprachmittler übersetzen in insgesamt 21 Sprachen. Am meisten nachgefragt seien Russisch, Ukrainisch, Arabisch und Kurdisch – etwa 60 bis 65 Prozent. „Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt. Wir hoffen, diese durch die Sprachmittler aufweichen zu können“, sagt Stanek. Der Verein will die Integration unterstützen, dazu gehört der erleichterte Zugang zu scheinbar selbstverständlichen Dingen wie Gesundheitsversorgung.
Seit sieben Jahren besteht das Sprinter-Projekt, dabei ist der Bedarf laut Stanek stetig gestiegen: 70.000 Übersetzungen seien im vergangenen Jahr geleistet worden, 50.000 bereits 2023 – und Jürgen Stanek geht davon aus, dass die 100.000er-Marke in diesem Jahr noch geknackt wird. „Wir könnten locker 200 Menschen mehr einstellen und dann wär‘s immer noch nicht genug“, sagt er. Am Standort Mitte in der Pelzerstraße arbeiten nur Sprachmittler für Ukrainisch und Russisch. In den vergangenen zwei Monaten hat der Verein 20 neue Übersetzer mit diesem Profil eingestellt, insgesamt sind es 30.
Am häufigsten werden die Sprinter von Übergangswohnheimen angefordert, die häufigsten Einsatzorte seien Arztpraxen und Krankenhäuser, gefolgt vom Jobcenter, Kitas und Schulen sowie Polizei und Beratungsstellen. Die Menschen, die die Übersetzungsleistungen nutzen, brauchten oftmals psychologische Betreuung aufgrund von auf der Flucht erlittenen Traumata, erzählt Stanek. Bras hat eine pädagogische Erstberatung, verweist aber meist an Spezialisten wie die Innere Mission oder Via, ein Angebot, das sich explizit an Frauen richtet.
Für alle Zugewanderten, die seit mindestens zwei Jahren Bürgergeld beziehen und Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2 haben, bietet Bras die Ausbildung zum Sprachmittler an.
Die Übersetzungsleistung ist für alle kostenfrei. Das Projekt wird über die Sozialsenatorin, den Europäischen Sozialfonds (ESF) und das Jobcenter Bremen kofinanziert. Laut Stanek gibt es weitere Träger in Bremen, wie etwa Performa und Refugio, die ähnliche Übersetzungsleistungen anbieten – allerdings auf Honorarbasis.
Stanek würde es begrüßen, wenn die Tätigkeit der Übersetzer als Beruf anerkannt wäre. Dies würde helfen, Mitarbeiter zu gewinnen. Um den Fortbestand des Angebots zu sichern, sei es wünschenswert, wenn sich das Gesundheitsressort künftig an den Kosten beteiligen würde.