Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle und dem Mord an zwei Menschen hat die Polizei ihre Präsenz an jüdischen Einrichtungen in Bremen und Niedersachsen verstärkt. Wie viele Polizisten am Donnerstag im Einsatz waren, wollten die Beamten aus taktischen Gründen nicht sagen. Vor der Bremer Synagoge, an der Blumen und Kerzen niedergelegt worden waren, sicherten mehrere Beamte das Gebäude, als der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) die Gemeinde am Nachmittag besuchte. Bovenschulte äußerte sich bestürzt. Das Attentat habe gezeigt, „welche Gefahr von Antisemitismus und gewaltbereitem Rechtsextremismus ausgeht“, sagte er. „Der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland ist eine Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) besuchte am Donnerstag den Anschlagsort in Halle und sprach von einem „Tag der Scham und der Schande“. Josef Schuster sagte, man habe es mit einer „neuen Qualität des Rechtsextremismus in Deutschland“ zu tun. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland hatte zuvor schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben: „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös.“
In Niedersachsen sei es üblich, dass Synagogen auch an Feiertagen nicht geschützt würden, sagte Katarina Seidler. Die Vorsitzende des liberalen Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen erklärte, das Innenministerium schätze die Gefahr nicht als konkret ein. „Das kann ich nicht nachvollziehen“, sagte Seidler. „Meine Geduld ist langsam am Ende.“ In Bremen stelle sich die Situation anders dar, betonte Grigori Pantijelew. Der stellvertretende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen sagte, es sei „eine Selbstverständlichkeit“, dass die Synagoge bei Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen unter Polizeischutz stehe. „Unter den heutigen Umständen geht das nicht anders“, sagte Pantijelew. „Das ist der traurige Alltag für uns.“ Immer wieder denke man auch darüber nach, einen zusätzlichen privaten Wachdienst zu engagieren. Für die Bremer Gemeinde sei das aber trotz der mehr als 1000 Mitglieder zu teuer.
In Bremen wurden 2018 laut Verfassungsschutzbericht 15 antisemitische Straftaten registriert. 2017 waren es 17 und im Jahr davor sechs. Bei den meisten Fällen handelte es sich um Gebäude- und Sachbeschädigungen sowie Schmierereien an Hauswänden mit antisemitischem Inhalt. Tätliche Übergriffe sind laut Innenbehörde aus den vergangenen Jahren in Bremen nicht bekannt. Sie habe auch daher das Gefühl, Bremen sei „eine Insel, wo man sich noch sicher fühlen kann“, sagte Elvira Noa, Vorsitzende der Bremer Gemeinde. Bremen sei aber auch nicht aus der Welt. „Was in der Nachbarschaft passiert, berührt uns genauso“, sagte Noa mit Blick auf den Anschlag in Halle. „Das Angstgefühl wird größer.“
Vorbereitung auf mögliche Übergriffe
Das bestätigte auch Arkady Gringaus, Sprecher von Makkabi Bremen, einem jüdischen Sportverein, der etwa 50 Mitglieder zählt. „Wir haben auf Wunsch von jüngeren Mitgliedern zuletzt versucht, Kampfsport in unserem Verein anzubieten“, sagte Gringaus. „Die Mitglieder wollten sich auf mögliche Übergriffe vorbereiten, um sich dann entsprechend verteidigen zu können.“ Die Umsetzung sei bislang allerdings gescheitert, weil man sich den dafür nötigen Trainer nicht leisten könne.
Es mache sie fassungslos, dass Juden in Deutschland „wieder Angst um ihr Leben haben müssen“, sagte Henrike Müller. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bremer Grünen betonte: „Es muss endlich realisiert werden, dass antisemitische Angriffe keine Einzeltaten von Einzeltätern sind.“ Auch Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff (CDU) sagte, er sei fassungslos darüber, „wie sehr sich rechtsextremistischer Terror in unserer Gesellschaft breitmacht”. Sofia Leonidakis, Vorsitzende der Bremer Linksfraktion, warf der AfD vor, dem Angriff mit hetzerischen Inhalten den Boden bereitet zu haben. Sie sagte: „Rechtsterrorismus gegen Jüdinnen und Juden schließt an den gesellschaftlichen Rechtsruck an und wird befeuert von Faschisten wie Björn Höcke und seiner Partei.“
Das betonte auch Pedro Benjamin Becerra. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Delmenhorst sagte, der Anschlag sei ein Produkt des politischen Klimas im Land. Becerra sprach von einer „ganz neuen Gefahrenlage“. Man habe es „wahrscheinlich mit Neonazi-Schläfern zu tun, die jetzt aufstehen und losgehen“. In Delmenhorst sei der Zugang zur Synagoge abgezäunt, die Tür stets verschlossen. „Bei uns kann auch niemand einfach so eindringen“, sagte Becerra. Dennoch erwarte er nun eine Antwort des Staates auf den Anschlag in Halle.
Er habe das Gefühl, „dass die Gesellschaft zerbröselt“, sagte Grigori Pantijelew. Die Mitte der Gesellschaft sei in „eine gefährliche Bequemlichkeit“ verfallen, auch gegenüber den Menschen jüdischen Glaubens. Viele Deutsche wüssten zwar, wo sie Stolpersteine finden, seien aber noch nie in einer Synagoge gewesen und hätten wenig Ahnung davon, wie Juden in ihrer Nachbarschaft leben. „Das Gegenmittel heißt Empathie“, sagte Pantijelew. „Denn was nützt uns das Erinnern an die Untaten der Nazizeit, wenn wir das Wissen heute nicht anwenden?“