Donnerstagabend in Schwachhausen. Es regnet in Strömen, es ist für die Jahreszeit untypisch kalt. Klassisches Bremer Schietwetter. Eigentlich hatten wir uns für die Terrasse verabredet, doch daraus wird nichts. Um kurz vor sechs Uhr betrete ich das restlos ausgebuchte Restaurant – und staune nicht schlecht: über die coolen Backsteinwände, die edlen Fliesen mit dem Retro-Charme oder die mitten im Raum platzierte Theke, die mit allerlei italienischen Antipasti gefüllt ist. Eines muss man der „Fattoria“ lassen: Sie hat Flair. Genauso wie mein Gastgeber, der mir aus einer hinteren Ecke zuwinkt. “Kommen Sie“, ruft er mich mit einem charismatischen Lächeln zu sich und schlägt vor, einen Aperitif zu nehmen. Vergessen ist das Grau von draußen, bei Maurizio Bernardonis herzlichem Empfang wird einem direkt warm.
20 Minuten später teilen wir uns eine Tagliere mit diversen Schinken- und Gemüsespezialitäten (16 Euro). Antipasti sind natürlich der Hausklassiker in dieser Symbiose aus Feinkostbistro und Café-Restaurant, die als Herberge für lässige Candle-Light-Dinner oder eindrucksvolle erste Dates prädestiniert zu sein scheint. Aber ist sie auch ein Ort, an dem ich nicht nur klassisches Handwerk, sondern auch sensationelle Gerichte erhoffen darf? Das ist meine Leitfrage für diesen Abend.
Für eine Sensation sind unsere Antipasti natürlich herzlich ungeeignet. „Wenn Gäste so etwas bestellen, geht es weniger ums Essen“, sagt der 51-jährige Italiener Bernardoni. Die Auflagen sind durchweg von hoher und das mit Feinsinn angemachte Gemüse sogar von höchster Qualität. Ein guter Starter!
Als Primi piatti probieren wir Pasta mit Fenchelsalami, Oliven, Lauch, Pilze und Tomatensauce (14,50 Euro). „Die Penne ist al dente“, sagt der Wirt fürs Erste zufrieden. Und wechselt in bestem Wissen darüber, dass alles Weitere kaum Gegenstand warmer Worte werden wird, in die Rolle des Advocatus Diaboli. Dabei gelingt es ihm geschickt, mit betont zurückhaltenden Äußerungen wie „keine Kunst“ oder „nichts Besonderes“, dass meiner Kritik der Raum sowie überhöhten Erwartungen die Grundlage genommen wird. So registriere ich hier deftige Fenchelsalami, pikante Oliven, frische Champignons und eine feine Tomatensauce als die vier verlässlichen Geschmackspfunde, mit denen gewuchert wird. Und ein Ergebnis, das nett und fein, aber nicht oho ist.
„Das Steak war meine Angst“
Da klingt unsere letzte Speise interessanter: Thunfischsteak auf Zitronen-Kartoffelstampf mit Zuckerschoten (26 Euro). „Glücklich?“, frage ich Bernardoni. „Ja“, sagt er erleichtert. „Das Steak war meine Angst“, gesteht der Mann, der beim Anblick des von blassrosa bis dunkelrot nach innen verlaufenden Thunfischs zu Recht zufrieden sein kann.
Wie auch beim cremigen Püree, das eine tolle Zitrusnote hat. Die Julienne geschnittenen, in Olivenöl geschwenkten Zuckerschoten sind im Gespann mit den sizilianischen Tomaten schmackhaft und verleihen dem Gericht eine Frische, die es zusätzlich eigentlich gar nicht benötigte. Damit sind wir bei meiner Hauptkritik: Einzeln mögen die Komponenten formvollendet sein, im Tête-à-Tête verblassen die zart-frischen, allesamt devoten Geschmäcker jedoch aneinander. Und schreien im Chorus nach einem dominanten Komplement, unter dessen Führerschaft allein höhere Gaumengipfel hätten erklommen werden können. Doch dieser Posten bleibt leider vakant.
Schließlich ist auch dieses Gericht das Exempel einer kulinarischen Safe-Play-Strategie, welche Sichtweise die Obergrenze des Küchenpotenzials offenbart – oder aufrichtig eine Philosophie bezeugt, die ganz und gar der Bodenständigkeit verpflichtet ist. So oder so, mein im Duktus mit der Vorkritik gehaltenes Fazit bleibt gleich: Nein, man sollte nicht in Erwartung kulinarischer Höhenflüge herkommen, sondern für die summierte Erfahrung aus gediegener Küche, tollem Service und schickem Ambiente.
„La Fattoria“ ist kein „must visit“ – aber durchaus ein „place to be“.
La Fattoria, Wachmannstr. 52, 28209 Bremen, Telefon: 0421/794 90 77. Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 9 bis 23 Uhr, la-fattoria.de.
Temi Tesfay hat Hunger auf Bremen. Auf seinen wöchentlichen Streifzügen durch die heimische Gastroszene hat er schon viele Küchen, Köche und kulinarische Schätze der Stadt kennengelernt. Unter dem Titel „Ein Bisschen Bremen“ schreibt er außerdem einen Foodblog.