Wir erheben keinen Anspruch auf Sterneküche“, will Dietmar Ertelt in den ernsten Teil des Gesprächs überleiten, doch da kommt ihm ein Anflug von Selbstironie in die Quere: „Außer auf den Roten Stern.“ Erst verfällt er in tosendes Gekicher, dann ich und schließlich registrieren wir beide vergnügt, dass die ersten Kurzen ihre Wirkung entfalten.
„Also“, besinnt sich der Inhaber und Koch des russischen Bistros Kalinka schließlich aber doch, „wir wollen eine ehrliche Küche machen. Dass Leute sagen, es war lecker und die Portion für den Preis gut.“ Bei unserem vegetarischen Borschtsch (3,90), den es auch als Rindfleischvariante (4,90) gibt, stimmt dies allemal. Die Suppe aus Rote Beete, Möhren, Zwiebeln, Sellerie, Tomaten, Bohnen, Weißkohl und Kartoffeln, pflichtgemäß mit Schmand serviert, ist schön heiß, gut gewürzt und sehr gehaltvoll.
Zum Glück. Denn als der 63-Jährige mir wieder die kleine Schale mit sauren Gurken reicht, wird mir mulmig. „Meine Freunde haben immer gesagt, dass man nur auf das doppelte Standbein trinkt“, suche ich dem Unausweichlichen noch zu entkommen, doch gegen den argumentativen Beistand aus dem Himmel komme selbst ich nicht an. „Gott liebt die Drei“, kontert Ertelt mit breitem Grinsen und reibt sich traditionsgetreu das nächste Gurkenstück unter die Nase, bevor es zum nächsten Kurzen geht. Na dann, Nastrovje.
Probiert und empfohlen: Es geht mit einem Klassiker der russischen Küche weiter, der es sogar auf die Speisekarten der Haute cuisine geschafft hat: Bœuf Stroganoff (14,90). Rindergeschnetzeltes mit Zwiebeln, Gewürzgurken und Champignons in säuerlich-rahmiger Soße. „Ich mache sie mit Tomate und Senf. Nennt sich Moskauer Art“, erklärt der Diplom-Ökonom. Das Ganze gibt es mit Kartoffelpüree – zumindest dem Namen nach. Geschmacklich erinnert die cremige Beilage nämlich uncremig an nichts. Ein Eindruck, der sich beim Stroganoff leider wiederholt. Hier wie dort fehlt so viel Salz, dass ich gerne einen kräftigen Brocken aus einem Kaliwerk raushauen würde, um dem an sich zarten Fleisch und der geschmeidigen Soße eine echte Definition zu geben. „Ich finde es okay“, entgegnet wiederum mein Gastgeber.
Ein kurzer Dissens, denn beim abschließenden Dienstags-Special (kleine Portion für 7,50) gelangen wir wieder zur Geschmacksunion: Plov. Eine Reispfanne, die von Russland bis Indien in diversen Varianten bekannt ist und am besten auf gusseisernen Feuerkesseln gekocht wird. Auch Ertelt bereitet seinen Lamm-Plov in einem solchen Topf vor, allerdings - im Lokal auch nicht anders darstellbar - am Herd.
Das Rezept aus zweierlei vom Lamm, zunächst einzeln angebraten, später mit Zwiebeln, Knoblauch sowie Kurkuma, Koriander, Kreuzkümmel vermengt und schichtweise mit Möhren, Berberitzen und Rosinen geschmort und mit Basmati- statt Rundkornreis zu Ende gekocht, klingt besonders und ist mir so eher von Biryanis bekannt. „Das hat mir mein Schwager gezeigt“, erklärt der Deutsche, der seit über 25 Jahren mit einer Russin verheiratet ist. Eine umwerfende Melange süßlich-säuerlicher Noten mit dem bis ins Reismark übergegangenen Fleischaroma bildet ein Geschmackszeugnis, das Herz und Seele erwärmt. So hebe ich zum vierten Mal das Glas: „Auf den grandiosen Plov.“
Temi Tesfay hat Hunger auf Bremen. Auf seinen wöchentlichen Streifzügen durch die heimische Gastroszene hat er schon viele Küchen, Köche und kulinarische Schätze der Stadt kennengelernt. Unter dem Titel „Ein Bisschen Bremen“ schreibt er außerdem einen Foodblog.
Weitere Informationen
Kalinka Russisches Bistro, Vor dem Steintor 208, 28203 Bremen, Telefon: 01578/7558581, Montag bis Samstag von 12.30 bis 19 Uhr, Sonntag geschlossen. Barrierefrei. www.kalinka-russischesbistro-bremen.de. Auch auf Lieferando.