Viele Gastronomen fragen im Anschluss an unsere Tischgespräche nach dem Datum der Veröffentlichung. Niemand formulierte die Anfrage dabei jedoch so wie Jens Kommerau: „Hi, wann ist die heftige Kritik zu lesen?“, schrieb der Chefkoch vom Chapeau La Vache mir wenige Tage nach unserem Termin.
So provoziert, konnte ich nicht anders, als neckisch zurück zu antworten: „Die heftige Kritik oder deine?“ Seine Erwiderung ließ wiederum keinen Zweifel an mangelndem Selbstbewusstsein aufkommen: „Beide.“ Ich grinste nur und schwieg. So leicht wollte ich es dem 56-Jährigen, dessen Brustbreite an die Spannweite vom A 380 erinnert, dann doch nicht machen.
Probiert und empfohlen: Drei Tage zuvor sitze ich in seinem Restaurant in der Hollerallee. Kommerau entschuldigt sich in die Küche – und ich erhalte endlich Momentum. Mit strengem Auge mustere ich das vor mir präsentierte Rinderbäckchen „La Vache“ (27,50 Euro), inspiziere detailliert Karotten, Wirsing und Püree, bevor es ans Fleisch geht.
„Na, du guckst aber kritisch“, meldet sich der Gastronom grinsend zurück. „Allerdings“, räume ich ein. Nicht aber, weil etwas kritisch zu beanstanden wäre. Vielmehr umgekehrt, weil ich gar keine Möglichkeit der Beanstandung finde. Und ich gezwungen bin, ihm auch zum Ende unserer Tafelrunde attestieren zu müssen, dass es einmal mehr hervorragend geschmeckt hat.
Dieses ging mit dem Sous Vide zubereiteten Wildlachs (16,50 Euro) los, der butterweich auf der Zunge zerging. Dem folgte die Bouillabaisse, zu der typischerweise Rouille und Knoblauchbrot-Chips gereicht wurden: „Zu kalt“, bemängelte der Chef, der den Fonds für die berühmte provenzalische Fischsuppe (ab 14,50 Euro) gewöhnlich über sechs Stunden koche.
Klar, sie hätte heißer sein können, aber der auf den Punkt gegarte Fisch und das klare, intensive Aroma der Suppe waren in der Qualität unbenommen. Bei der Blutwurst mit Spitzkohl und Püree (ab 12,50 Euro) stimmte ich seinem Urteil aber wieder ganz zu: „das geht kaum besser“. Ja, und nun eben diese Rinderbacke. Erwartungsgemäß gleitet die Gabel mühelos durchs zarte Fleisch. Ein Blick zum Gesicht meines Gastgebers verrät mir, dass er mit nichts anderem gerechnet hat. Kommerau wusste, dass mir das zum Finale servierte Signature Dish des Lokals vorzüglich munden würde.
Reflexhaft bin ich nun versucht, einen Fehler im Detail zu suchen. Etwa darin, dass dem Gericht ein frisches Element wie Aprikosen – zusammen mit dem Wirsing gewiss eine wunderbare Kombination – gut gestanden hätte. Die eher nebensächliche Rückfrage, wie das Duett von Steckrübe und Bacon zustande gekommen ist, führt der Koch indes auf eine lange Tradition zurück. „Steckrüben wurden zu Großmutters Zeiten ja immer mit Schweinefleisch zubereitet“.
Ich sehe schließlich ein, dass dieser Komposition kein Makel zu entlocken ist – und stelle meine obligatorische Schlussfrage, wie ihm der Hausklassiker insgesamt geschmeckt hat. „Gut“, antwortet der gebürtige Worpsweder knapp zurück. „Gut oder sehr gut?“, will ich wissen und erhalte eine Entgegnung, die man sich hätte denken können: „Sehr gut“. Da sitzt mir der Koch, der schon Stationen in London, Berlin und Süddeutschland hatte, wieder so unbescheiden gegenüber.
Und ein letztes Mal bäumt sich alles Bremische in mir auf, um irgendwie doch noch zu erden, was – das begreife ich jetzt – schlichtweg nicht zu erden ist. Wo der Mann Recht hat, hat er eben Recht. Und deshalb fällt es mir schließlich doch auch leicht, diese Galavorstellung zu loben. Chapeau! Der Gruß aus der Küche: In Bremen kehrt Jens Kommerau gern im Schnoor bei Schröter’s Leib und Seele ein und bestellt dort vom Menüangebot. Allen, die mal in seinem Heimatdorf Worpswede zu Besuch sind, empfiehlt er einen Besuch im Restaurant Paulas.
Temi Tesfay hat Hunger auf Bremen. Auf seinen wöchentlichen Streifzügen durch die heimische Gastroszene hat er schon viele Küchen, Köche und kulinarische Schätze der Stadt kennen gelernt. Unter dem Titel „Ein Bisschen Bremen“ schreibt er außerdem einen Foodblog.
Weitere Informationen
Chapeau La Vache, Hollerallee 77, 28209 Bremen, Telefon 04 21 / 33 11 17 77, Öffnungszeiten Montag bis Sonnabend von 18 Uhr bis Mitternacht, Sonntag geschlossen, barrierefrei.
www.chapeau-la-vache.de