Die Karikatur im WESER-KURIER vom 26. Juli zum Thema Flüchtlinge hat einige Leser auf den Plan gerufen. Sie halten sie für unangebracht. Unser Karikaturist Til Mette nimmt nun Stellung.
Wenn ein Karikaturist seinen Cartoon erklären muss, sollte er besser kein Karikaturist werden: Das ist, was ich jungen Zeichnern bisweilen sage, wenn ein Gag nicht funktioniert oder man die Verzerrung im Bild nicht erkennt.
Vor einigen Tagen erreichte mich eine Mail von Moritz Döbler, dem Chefredakteur des WESER-KURIER, der mich informierte, dass sich Leser über die am vorletzten Sonntag erschienene Flüchtlingskarikatur beschwert hätten. Er verteidige mich als Karikaturisten des WESER-KURIER selbstverständlich, aber im Inneren hege er schon auch Zweifel. Ein Leser schrieb, „dass sich Braunhemden bei dieser Karikatur vor Lachen auf die Schenkel klopfen“.
Als Karikaturist ist man gewohnt, dass Leser sich empören und mit Abo-Kündigungen drohen. Die Leute, die sich über eine Karikatur freuen, schreiben keine Leserbriefe. So ist unser Job, und wenn es keine Beschwerden gäbe, wäre man auch kein guter Karikaturist. Sehr selten habe ich mich in den letzten 30 Jahren zu meinen Zeichnungen geäußert. Dieses Mal habe ich Moritz Döbler angeboten, ein paar Zeilen zu dem Flüchtlingscartoon zu schreiben, um die Sichtweise des Karikaturisten zu erklären. Ich halte den angesprochenen Flüchtlingscartoon für gelungen und sehe nicht den geringsten Anlass, mich wie von einem Leser gefordert „zu entschuldigen“. Die Zeichnung ist als Provokation gemeint – und wenn man die Leserresonanz betrachtet, auch ein voller Erfolg.
Aber worum geht es in dieser Zeichnung? Man sieht eine ganz normale Kleinfamilie aus der viel zitierten Mitte der Gesellschaft mit Kind am Strand irgendwo am Mittelmeer im Sand sitzend. Vor ihnen im Wasser ein überfülltes Flüchtlingsboot und Menschen, die sich vom Boot schwimmend an Land retten. Der Vater der Familie sagt – ohne auf die Flüchtlinge zu schauen – zur Frau: „Letztes Jahr hatten wir hier eine Marienkäferplage.“ Die von ihrem Mann mit diesem lapidaren und scheinbar zusammenhanglosen Satz angesprochene Frau sieht stellvertretend für den Betrachter dieser Zeichnung völlig entsetzt auf die Menschen im Boot. Die Worte des Mannes sind deshalb so verstörend, weil die Assoziation von Insektenplage zu Flüchtlingsplage offenkundig ist. Auch wird man erinnert an den Nazi-Ideologen Veit Harlan, der im Film „Jud Süß“ die Juden erst als Untermenschen, dann als Ungeziefer darstellte.
Als Karikaturist kann man nicht verhindern, dass man Applaus von der falschen Seite bekommt. Meine Zeichnungen wurden meines Wissens nie in der Naziszene publiziert, sodass Braunhemden sich wohl nie über meine Zeichnungen amüsiert haben. Diese Vorstellung findet nur in den vorauseilend empörungswilligen Augen einiger Leser statt.

Til Mette.
Satire ist ätzend und nicht juckend, und Spott ist beißend und nicht knabbernd. Natürlich ist dieser Cartoon als Provokation gedacht, da die seit Jahren publizierten Bilder von sinkenden Flüchtlingsschiffen und fast täglich stattfindenden Aufmärsche rassistischer Demonstranten vor Flüchtlingsunterkünften in Deutschland zu einer Gewöhnung führen, die man offenbar achselzuckend zur Kenntnis nimmt.
Ich glaube nicht, dass man mit Cartoons die Welt verändern kann, aber sie funktionieren gut als Ventil und manchmal auch als Aufschrei gegen die schleichende Brutalisierung unserer Gesellschaft. Nicht dieser Cartoon ist das Problem, sondern der zunehmende Rassismus und die Ignoranz gegenüber dem Schicksal der Flüchtlinge in unserer Gesellschaft ist das Problem.
Zur Person: Til Mette (58) wurde als Karikaturist des „Stern“ bekannt. Er widmet sich meist aktuellen Themen aus Gesellschaft und Politik – auch jede Woche im KURIER am SONNTAG. Til Mette lebt in Hamburg.