Wäre das Parkett in der Tanzschule Schipfer-Hausa ein Spielfeld, dann säße Julius jetzt auf der Ersatzbank. Während sich rund 30 junge Paare auf der Tanzfläche am Wiener Walzer versuchen, hockt Julius auf einem Stuhl und schaut vom Rand aus zu. „Ich kann nicht so gut tanzen“, sagt der 18-Jährige. Viel auszumachen scheint es ihm nicht. Er lacht bei diesen Worten. „Ich mache gleich bei der Polonaise wieder mit. Die anderen sind beim Wiener Walzer einfach besser.“
Ob Carsten Wulf das zu diesem Zeitpunkt unterschreiben würde? Der Tanzlehrer steht auf dem Parkett inmitten der Paare und feuert an. Dean Martin singt von „Amore“. „Und dreh’n, zwei, drei, dreh’n, zwei, drei“, immer wieder „dreh’n, zwei, drei“. „Ich merke, dass einigen von euch schwindelig wird“, sagt Wulf, „aber mit mehr Übung wird das besser.“ Dann bricht er diese Runde ab. Mehrere Tänzer sind aus dem Takt geraten und sich gegenseitig ins Gehege gekommen.
Sonntagnachmittag in der Parkallee 117. Seit 119 Jahren lernen Bremerinnen und Bremer bei Schipfer-Hausa Schrittfolgen und die richtige Etikette. Menschen wie Alt-Bürgermeister Henning Scherf, der ehemalige Bundespräsident Karl Carstens oder Showmaster Hans-Joachim Kulenkampff haben bei Schipfer-Hausa tanzen gelernt.

Darf ich bitten? Am Sonntag war die vorletzte Probe, am Donnerstag folgt die Generalprobe, ehe am Freitagabend jeder Schritt sitzen muss – oder wenigstens fast.
Fünf Tage sind es noch bis zur Schaffermahlzeit am Freitag. Vorletzte Probe heute. Was sind das für junge Leute, die bereit sind, vor 300 Gästen im Rathaus freiwillig vorzutanzen? Wer mitmachen will, muss über 17 und von Haus Seefahrt, den Schaffern und dem Senat eingeladen worden sein.
Vincent, Lena, Tabea und Magnus sind früh dran. Eine Viertelstunde vor Beginn des Trainings stehen sie im Thekenbereich. „Er ist schuld, dass wir hier sind“, sagt Tabea und weist in Richtung Vincent. „Stimmt“, sagt Vincent, „ich hab‘ die anderen gefragt, ob sie mitmachen wollen.“ Warum auch nicht? Die Vier, die in diesem und im nächsten Jahr Abitur machen, tanzen gerne, auch in ihrer Freizeit. „Wiener Walzer und Polonaise, das kriegen wir hin“, sagen sie.
Carsten Wulf bittet jetzt um Aufmerksamkeit. „Ich möchte, dass ihr an euer Limit geht“, sagt der 59-Jährige, der als junger Mann selbst bei der Schaffermahlzeit getanzt hat, „in dem Moment, in dem ihr in den Saal kommt, müsst ihr an sein: Hier bin ich! Ich habe das große Glück, hier zu sein! Das müssen die Gäste spüren können.“ Also noch einmal die Polonaise. Diesmal zur Musik von Sabrina Carpenters Hit „Espresso“. „Die langen Kerle bitte in die Mitte“, sagt Wulf, dann kann es losgehen. Die Herren links, die Damen rechts und Action.

Bereit machen zur Polonaise: Zur Eröffnung werden die jungen Tanzpaare am Freitag in den Rathaussaal einziehen.
Heute tragen die Jungs und Mädchen Pulli und Jeans, Weste und Chino, Rolli oder Bluse. „Ei, ei, ei, was seh‘ ich denn da“, ruft Tanzlehrer Wulf. Ein Mädchen ist in Turnschuhen gekommen. „Damit schaffst du doch die Drehungen nicht. Am Donnerstag bei der Generalprobe bitte anderes Schuhwerk.“ Am Freitag, wenn es ernst wird, werden die Herren im Smoking mit schwarzer Fliege erscheinen und die Damen im Abendkleid.
Einige der jungen Tänzerinnen und Tänzer kannten die Schaffermahlzeit schon, bevor sie eingeladen wurden, so wie Vincent. Sein Vater, Sparkassen-Chef Tim Nesemann, war vor ein paar Jahren Schaffer, Vincents Schwestern haben auch getanzt. Naheliegend, dass der junge Mann die Familientradition fortsetzen würde.
Andere mussten sich dagegen erst einmal schlaumachen. „Ich hab‘ etwas länger überlegt, ob ich mitmache“, sagt Julius Spalthoff, der bei der Polonaise wie angekündigt wieder auf dem Tanzparkett steht. Er hat im Internet nachgeschaut, was es mit der Veranstaltung auf sich hat. Jetzt sagt er: „Mit 18 an einem der ältesten Festmahle der Welt teilnehmen zu dürfen, ist eine große Ehre.“ Während er das sagt, drückt ihm einer der anderen Jungs einen Spruch. „Seitdem du raus bist, Julius, läuft es.“ Ein bisschen Spaß muss sein.
Der Tanz bei der Schaffermahlzeit im Rathaus und hinterher auf der Feier im Parkhotel ist das eine. Die Fragerunde mit dem Ehrengast das andere. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU zieht sich am Freitag nach dem Essen für eine halbe Stunde mit den Schülern zurück. Julius sagt, dass er von Wüst dann wissen möchte, ob Friedrich Merz im Falle einer Kanzlerschaft mit der AfD kooperieren würde.
Auch Magnus, der mit Vincent, Tabea und Lena zusammensteht, hat eine Frage eingereicht. „Wie kann unsere Generation in Zukunft ihre Stärken einbringen?“, will er wissen. Was sind denn die Stärken ihrer Generation? „Ich glaube, wir können uns schnell auf Veränderungen einstellen“, sagt Magnus. „Und wir haben sehr vielfältige Talente“, sagt Tabea. Alle vier wollen nach dem Abitur eine Ausbildung machen; Immobilienkaufmann, Schneider, Rettungssanitäter. Studieren wollen sie erst danach. Zukunftsmusik.
Jetzt hat Tanzlehrer Wulf noch einmal einen Wiener Walzer aufgelegt, Alicia Keys, „If I ain’t got you“. Dreh’n, zwei, drei, dreh’n, zwei, drei. Das klappt nach einer Stunde schon viel besser als am Anfang. Am Ende sagt Wulf: „Ich bedanke mich bei euch. Wir sehen uns am Donnerstag. Die Generalprobe werden wir noch brauchen.“ Und am Freitag? „Wird gut werden.“ War es bisher immer.