Die Patientin meldet sich über die Notrufnummer 112 in der Leitstelle der Bremer Feuerwehr und des Rettungsdienstes: Sie klagt über Fieber und Beschwerden, wie sie typisch für einen Infekt sein können. Sie fühlt sich schwach, wie sie am Telefon berichtet, und gibt Schweißausbrüche an. Es ist Abend und sie ist in Sorge, dass sich ihr Zustand verschlechtern könnte. Deshalb hat sie den Notruf gewählt. Jeder Anrufer wird von den Disponenten in der Leitstelle nach akuten Beschwerden und Vorerkrankungen befragt – um die Dringlichkeit beurteilen zu können. Wird ein Rettungswagen mit Notfallsanitätern geschickt, ist ein Notarzt erforderlich, muss die Patientin aufgrund der geschilderten Beschwerden in eine Klinik transportiert werden? Kurz: Um welche Art des Einsatzes handelt es sich, und was ist das erforderliche Rettungsmittel?
Die Anruferin ist ein Fall für den „HanseSani“. Die Abkürzung steht frei übersetzt für Hanse-Sanitäter und damit für eine zusätzliche Funktion, die seit Ende März den stadtbremischen Rettungsdienst ergänzt. „Der „HanseSani“ kommt zum Einsatz, wenn sich aus dem telefonischen Meldebild eine unklare Notfallsituation ohne unmittelbare Lebensgefahr für den Patienten ergibt und es fraglich ist, ob ein Transport in ein Krankenhaus notwendig ist – der Bürger aber Hilfe braucht und alleine nicht zurecht kommt“, beschreibt Andreas Callies, einer der ärztlichen Leiter des Bremer Rettungsdienstes, das Konzept. Felix Schmidt ist einer der aktuell sieben „HanseSanis“ im Einsatz. „In diesem Fall bin ich zu der Patientin gefahren, habe ihre Beschwerden abgefragt, entsprechende Werte angesehen und den Zustand beurteilt.“
Schmidt ist seit vielen Jahren als erfahrener Notfallsanitäter im Rettungsdienst tätig, vor dem Projektstart hat er sich in einer speziellen Schulung für den Einsatz als „HanseSani“ weiterqualifiziert. Die Patientin mit den Infekt-Beschwerden musste nicht in eine Klinik gebracht werden, die Empfehlung für einen Arztbesuch am nächsten Tag reichte aus, wie Schmidt erklärt. Die speziell ausgebildeten „HanseSanis“ haben in ihrem Rettungsfahrzeug alle erforderlichen Ausstattungen dabei. „Und wir können jederzeit einen Arzt in Bereitschaft zur weiteren Absicherung und Entscheidung per Telefon oder Videokonferenz dazu schalten“, so Schmidt.
Kapazitäten zielgerichtet einsetzen
Das „HanseSani“-Konzept orientiert sich an den Gemeinde-Notfallsanitätern, die seit vergangenem Jahr in Niedersachsen als Modellprojekt im Einsatz sind, unter anderem im Oldenburger Raum. „Ziel ist es, sinnlose Krankenhaustransporte zu verhindern, im Sinne der Patienten und um die Kapazitäten des Rettungsdienstes zielgerichtet einsetzen zu können“, sagt Marlon Konertz von der Innenbehörde. Immer häufiger würden Rettungsdienste zu Einsätzen gerufen, die sich vor Ort als nicht lebensbedrohlich herausstellten. Diese Einsätze könnten wertvolle Zeit kosten, die dann laut Konertz womöglich an anderer Stelle fehlten. Diese Entwicklung gibt es bundesweit.
Konertz: „Von den insgesamt etwa 80.000 stadtbremischen Rettungsdienst-Einsätzen im Jahr entfallen aktuell rund 25.000 auf Hilfeersuchen, in denen der Faktor Zeit nicht als kritisch zu bewerten ist. Der Rettungsdienst steht, auch angesichts beschränkter Rettungsmittel, unter Zeitdruck.“ Mit dem „HanseSani“ sei nun ein Instrument geschaffen worden, dass genau in diese Lücke stoße. Konertz: „Und es zeigt sich schon jetzt, nach knapp vier Monaten, dass es funktioniert.“
Seit Ende März sind Schmidt und seine „HanseSani“-Kollegen bis zum Stichtag 29. Juni insgesamt 888 Einsätze gefahren. In fast 70 Prozent der Fälle konnten die Patienten laut einer Auswertung zu Hause belassen und ein rettungsdienstlicher Transport in ein Krankenhaus vermieden werden. „Zu Hause belassen bedeutet: Nach der Abklärung durch den HanseSani und/oder einen hinzugeschalteten Arzt war eine weitere Versorgung nicht erforderlich. Oder den Patienten wurde ein ambulanter Arztbesuch etwa am nächsten Tag empfohlen.“
Wie bei den Gemeinde-Notfallsanitätern in Niedersachsen handelt es sich bei den Bremer „HanseSanis“ um ein zunächst befristetes Projekt – und um eines, das viel früher scharf geschaltet wurde als geplant. „Ursprünglich wollten wir 2020/2021 in die Projektphase gehen, dann kam Corona“, sagt Callies. „Als wir gesehen haben, was in Italien und Frankreich los war, wie die Infektionszahlen stiegen, Kliniken und Notaufnahmen an die Grenzen gerieten, mussten wir handeln. Die erste Bilanz zeigt jetzt, dass es absolut sinnvoll und notwendig ist, das Projekt weiterzuführen – nicht nur in Corona-Zeiten. Das würden wir uns wünschen“, betont der Arzt. Das Projekt ist bis zum 30. September befristet.