Heike Blanck
ist als Mitarbeiterin des Ortsamtes Mitte/Östliche Vorstadt auch für den Förderpreis für beispielhafte Kinder- und Jugendarbeit zuständig. Der Preis wird von der Helga-und-Reinhard-Werner-Stiftung, ehemals Weserterrassen-Stiftung, ausgelobt. Er steht immer unter einem Motto. 10 000 Euro werden diesmal an Projekte aus den Stadtteilen Mitte und Östliche Vorstadt verteilt, die solidarisch arbeiten.
Haben Sie im Stadtteil Situationen erlebt, in denen Solidarität dringend notwendig war und die dann auch gekommen ist?
Heike Blanck: Ich fand in der letzten Zeit sehr beeindruckend, wie solidarisch die Menschen auf Flüchtlinge zugegangen sind und Flüchtlinge unterstützt haben, ganz vielfältig von der Hausaufgabenhilfe bis hin zu Patenschaften und regelmäßigen Angeboten. Wie auf Augenhöhe Menschen Kontakt aufgenommen haben und neugierig waren, interessiert waren an den Geschichten, die Flüchtlinge mitgebracht haben, das fand ich total beeindruckend.
Fängt Solidarität schon bei Interesse an?
Zunächst müssen wir uns einfach kennenlernen. Wo Menschen sich begegnen, gibt es die Möglichkeit für Solidarität.
Haben Sie auch schon den umgekehrten Fall erlebt: Wo Solidarität ausblieb?
Gesamtgesellschaftlich sehe ich das an ganz vielen Stellen. Ich finde, dass die Verteilung von Armut und Reichtum ein Unding ist. Dass die Bildungschancen davon abhängen, wie viel Geld die Eltern haben, ob sie selber schon zur Uni gegangen sind. Und dass es Menschen gibt, die ihr Geld außer Landes bringen, sich ein superreiches Leben gönnen und hier der Staat keine Steuern einnimmt. Das ist ein Zeichen mangelnder Solidarität. Ob ich im Kleinen schon mal erlebt habe, dass Solidarität ausgeblieben wäre? Das ist schwierig. Da gibt es eher Unsicherheiten bei den Menschen: Kann ich mich da jetzt einmischen oder kann ich mich nicht einmischen? Dass sich Menschen das fragen, das habe ich schon erlebt. Dass beispielsweise eine Gruppe von jungen Leuten rechte Parolen brüllt, und du bist als einzelne Person da und überlegst, was mach ich jetzt. Wie gehe ich mit solchen Situationen um? So etwas habe ich schon erlebt.
Sich einzumischen, ist meist negativ besetzt, Solidarität dagegen ist eher was Gutes.
Ich glaube schon, dass praktische Solidarität etwas damit zu tun hat, sich einzumischen. Wir können vielleicht manches nicht ändern. Jedenfalls nicht sofort. Aber in unserem Stadtteil, in unserer Umgebung können wir etwas ändern. Das fängt schon damit an, dass ich weiß, da ist eine ältere Frau und die hat eine gesundheitliche Malesche, ich frag sie: „Soll ich Ihnen Milch mitbringen?“ Gleichzeitig sind das Begegnungen, in denen wir ganz viel erfahren übereinander und in denen Kontakt entsteht, der keine Einseitigkeit hat. Ich bin mir ganz sicher, dass die Nachbarin selber auch in einer Situation schon andere unterstützt hat. Und außerdem hat sie vielleicht interessante Geschichten zu erzählen.
Also: Wer sich solidarisch zeigt, bekommt immer auch etwas zurück?
Ja. Das ist die Message dahinter: Ich bekomme etwas zurück. Einmal, dass ich merke, welche Kraft ich habe und welche Stärke ich habe, dass ich anderen helfen kann. Und ich lerne Menschen kennen und erfahre neue Dinge.
Nun geht es beim Förderpreis für beispielhafte Kinder- und Jugendarbeit, der in diesem Jahr unter dem Motto „solidarisch!“ steht, um Kinder und Jugendliche. Wie kann denn dem Nachwuchs Solidarität vermittelt werden? Indem man es vorlebt?
Ich weiß nicht, ob es immer automatisch funktioniert mit Vorleben, aber ganz viele Kinder und Jugendliche sind interessiert daran, selbst etwas zu tun, beispielsweise für Flüchtlinge, die hierher kommen. Dann haben wir in der Vergangenheit so viele Projekte gehabt in den Stadtteilen, die selber praktizierte Mitmenschlichkeit waren, die Begegnung ermöglicht haben. Menschen, die gesagt haben, ich komme einmal die Woche und lese was vor. Das kennen wir sowohl, dass ältere Menschen in den Kindergarten kommen und dort vorlesen, als auch, dass zu Menschen, die nicht mehr so gut unterwegs sind, Kinder und Jugendliche nach Hause kommen und man zusammen Kuchen backt oder sich Geschichten erzählt und einfach einen Nachmittag Abwechslung hat. Ich glaube, wir haben ein unglaubliches Potenzial hier in diesen beiden Stadtteilen, bezogen auf Menschen, die etwas tun. Und das haben wir auch bei Kindern und Jugendlichen. Vielleicht muss man für manche Kinder, die es so noch nicht erlebt haben, organisieren, dass sie es erfahren können.
Es gibt auch Argumente, die dagegen sprechen, sich zu engagieren: Wenn die Menschen beispielsweise nicht wissen, wie und wo. Oder sie sagen, dass sie schlicht keine Zeit haben. Wie kann man so jemandem begegnen?
Da finde ich einmal die Initiative GiB (Anmerikung: Gemeinsam in Bremen) gut. Ich finde es klug, dass sie gesagt haben: Spende dein Geld, spende deine Zeit und spende deine Nähe. Man muss vielleicht gar nicht ganz viel extra Zeit reservieren. Auch ganz wichtig finde ich, Grenzen zu ziehen und zu gucken, was kann ich und was kann ich nicht. Es gibt viele Situationen, in denen Menschen überfordert waren. Total wichtig ist auch, dass es in den Flüchtlingsunterkünften eine Ankerperson gibt, die den Überblick hat. Die sagen kann, was gebraucht wird.
Flüchtlinge sind derzeit sehr präsent in der Öffentlichkeit. Es gibt aber auch Projekte, mit denen nicht explizit Flüchtlingen, sondern anderen geholfen wird. Können sich solche auch bewerben?
Ja, natürlich! Wir wollten ein Motto finden, das eine Schwerpunktsetzung auf Flüchtlinge ermöglicht, das aber auch andere Bereiche einschließt. Es ist nicht so, dass nur Flüchtlinge Unterstützung brauchen. Es gibt viele andere Bereiche, in denen wir auch Solidarität brauchen. Zum Beispiel gibt es versteckte Armut bei uns in den Stadtteilen. Das wird nicht so offen gesagt, aber das gibt es auch in Mitte und Östliche Vorstadt. Oder beispielsweise die Begegnung von Jung und Alt in Kindergruppen, oder inklusive Projekte. Sie bieten alle einen Austausch auf Augenhöhe, die Begegnung miteinander, sich kennenzulernen, sich miteinander zu beschäftigen. Das sind die Voraussetzungen.
Zum Motto gehört immer auch ein Zitat dazu. In diesem Jahr ist es von Albert Schweitzer: „Das wenige, das du tun kannst, ist viel!“
Ich finde die Aussage gut. Wir machen ja hier bezogen auf die Stadtteile Arbeit, und das sind oft kleine Maßnahmen. Aber es ist für die Menschen, die hier leben und die es betrifft, unter Umständen viel.
Das Interview führte Liane Janz.
Bewerbungen nimmt Heike Blanck im Ortsamt Mitte/Östliche Vorstadt, Am Dobben 91, 28203 Bremen bis zum 15. September entgegen. Näheres unter 361-4057 oder per E-Mail über die Adresse blanck@oamitte.bremen.de.