Nach und nach füllte sich die Halle. Und dann war sie endlich vorbei, die mit Abstand längste Pause, die die Bremer Sixdays in ihrer fast 60-jährigen Geschichte nehmen mussten. Vier Jahre nach der letzten Runde um die Bahn in der ÖVB-Arena schickten Popstar Vanessa Mai und Bürgermeister Andreas Bovenschulte am Freitag kurz vor 21 Uhr die Fahrer auf die nun vier und nicht mehr sechs Tage lange Reise. Nun sollte es endlich wieder rund gehen auf der Bremer Bahn.
Die Stimmung war gelöst, der Innenraum der Arena proppenvoll – und der Bürgermeister sprach mit ein wenig Pathos ins Mikrofon: „Die Sixdays gehören zu Bremen!“ Gleich am ersten Abend sollte das geboten werden, wofür das Format stehen will: attraktiver Sport, attraktive Show. Für Ersteres sollte gleich die erste sogenannte Große Jagd sorgen, ein Madison-Rennen der Zweier-Teams über 45 Minuten. Für Letzteres war am Eröffnungsabend des Events Vanessa Mai verpflichtet worden. Gegen 22.30 Uhr sollte sie den Saal rocken, mit einer 45-minütigen Show. Noch vor ihrem Auftritt verriet sie schon mal, mit welchen Songs unter anderem sie das Publikum animieren will. Ihren Hit „Ich sterb‘ für Dich“ wolle sie präsentieren, und auch den Hit eines großen Idols von ihr wolle sie covern. „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ von Nena.
Auf ihre Erwartungshaltung angesprochen, sagte Mai mit dem Selbstbewusstsein einer Influencerin, die auf TikTok 1,6 Millionen Follower hat: „Ich gehe ohne Erwartungen durchs Leben. Wichtig ist doch, dass wir hier alle vereint sind und gemeinsam Spaß haben wollen. Und ich bin ein kleines Licht dabei, das zu ermöglichen.“
„Waldweg statt Autobahn“
Für die 24 Fahrer waren die ersten Runden über die steile Bremer Bahn eine Art Kaltstart. Was sowohl für jemanden wie den Straßenspezialisten Nils Politt galt als auch für die Bahnspezialisten, die am Donnerstag noch bei der Europameisterschaft im niederländischen Apeldoorn unterwegs waren. „It’s a tricky and special track“, warnte Sixdays-Sportchef Erik Weispfennig in der Besprechung der Fahrer vor dem Start. („Es ist eine schwierige und spezielle Bahn.“)
Von der Bahn in Apeldoorn, 250 Meter lang, auf das 166 Meter kurze Holzoval in Bremen zu wechseln, sei so etwas wie ein Quantensprung, sagte Theo Reinhardt, der am Donnerstag mit seinem Partner Roger Kluge den EM-Titel im Madison, dem Zweier-Mannschaftsfahren, geholt hatte. Kluge, mit 37 Jahren der Senior im Starterfeld, sagte: „Der Unterschied ist vergleichbar mit dem von einer Autobahn zu einem Waldweg.“ So routiniert, wie er ist, so lange ist es her, dass sich Roger Kluge hier in Bremen mal ausprobiert hat. Vor knapp zwei Jahrzehnten bestritt er in Bremen das Sixdays-Nachwuchsrennen.

Sie starten als frisch gebackene Madison-Europameister bei den Bremer Sixdays: Theo Reinhardt (links) und Roger Kluge gewannen am Donnerstag im niederländischen Apeldoorn die Goldmedaille und am Freitag die erste Große Jagd in Bremen.
„Ich bin gespannt, wie Roger als großgewachsener Fahrer hier auf der engen Bahn zurechtkommen wird“, sagte Erik Weispfennig. Was auch für Nils Politt, den Titelverteidiger, gelten dürfte. Politt gab zu, dass er seit seinem Sieg vor vier Jahren kein einziges Bahnrennen mehr gefahren ist. Nur zum Training sei er ab und zu in eine Halle gegangen. „Aber ich denke, bis Samstagabend bin ich richtig drin im Rhythmus, und dann geht’s los“, sagte Politt, der zum Jahreswechsel zum ambitionierten Rennstall UAE gewechselt ist. Sein Fokus dort: die großen Frühjahrsklassiker und dann im Sommer Teamarbeit bei der Tour de France für den UAE-Kapitän Tadej Pogacar. Der Slowene will versuchen, ein drittes Mal die legendäre Frankreich-Rundfahrt zu gewinnen.
Nils Politt gab auch zu, dass er „ein bisschen Angst“ gehabt hätte, seinen neuen Arbeitgeber um eine Freigabe zu bitten für den Ausflug zu einem Bahnwettkampf. „Aber die haben super reagiert“, sagte er, „sie haben gesagt: Hab‘ Spaß und fall nicht hin.“ Für das Rennen in Bremen erhofft sich Politt neben einer schnellen Eingewöhnung auch die starke Mithilfe seines Partners Lindsay De Vylder aus Belgien. De Vylder ist immerhin als EM-Fünfter im Madison nach Bremen gekommen. „Er wird ein gutes Bein dranhaben“, sagte Politt im besten Radprofi-Jargon.
Gute Beine – der Begriff steht spätestens seit dem Toursieg von Jan Ullrich als Synonym dafür, worum es in den Radsport-Wettbewerben geht, auf der Straße wie auf der Bahn. Roger Kluge, der durch den EM-Triumph gemeinsam mit Theo Reinhardt automatisch in die Favoritenrolle für die Bremer Sixdays gerückt ist, sagte: „Natürlich hätten wir uns gern etwas länger ausgeruht nach der EM.“ Aber die Anreise aus Apeldoorn habe am Freitagvormittag nur drei Stunden gedauert, das sei nicht weiter schlimm gewesen. Und vor allem: „Die Beine sind okay“, sagte Roger Kluge. Gleich das erste Madison der 57. Bremer Sixdays gewann sein Team.