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Neuendorf soll DFB-Boss werden Der Anti-Präsident

Am 11. März soll mit Bernd Neuendorf ein ehemaliger Journalist zum DFB-Präsidenten gekürt werden. Der 60-Jährige überrascht mit klugen Ideen statt starken Sprüchen.
21.01.2022, 10:17 Uhr
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Der Anti-Präsident
Von Mathias Sonnenberg

Den Tag beginnt er gerne mit einer Tasse Tee. Das Ritual hat er sich aus seiner Studentenzeit in Oxford bewahrt. Im Laufe des Tages dürfe es dann aber auch mal ein Kaffee sein, sagt Bernd Neuendorf. Jetzt allerdings nippt er an seinem Tee und macht so gar nicht den Eindruck wie ein Mann, der schon in wenigen Wochen der mächtigste Mensch im deutschen Fußball werden könnte. Am 11. März kürt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seinen neuen Präsidenten. Und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn der 60-jährige Rheinländer nicht die meisten Stimmen auf sich vereinen würde. Aber weil es noch nicht so weit ist, beginnt er seine Sätze gerne mit der Einleitung "Wenn ich gewählt werden würde, dann...". 

Neuendorf befindet sich noch im Wahlkampf-Modus. Deshalb ist er auch in Bremen. Am Vorabend hat er sich mit der Werder-Geschäftsführung getroffen und im kleinen Kreise erzählt, wie er so tickt und was er vorhat. Am Tag danach sind es ausgewählte Funktionäre des Bremer Fußball-Verbandes, denen Neuendorf seine Pläne erklärt. Im Gespräch sucht er bedächtig seine Worte, ein Dampfplauderer ist er nicht, ganz bestimmt auch keine Rampensau. Eigentlich ist Neuendorf genau das, was dem DFB so lange gefehlt hat. Auch deshalb bezeichnet er sich gerne als "Mensch des Ausgleichs".

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Beim DFB scheinen viele Funktionäre genau nach solch einem Präsidenten fast schon zu lechzen. Denn der Verband hat schlimme Jahre hinter sich. DFB? Das ist der Verband, der sich selbst zerlegte und über den Uli Hoeneß sagte: "Der DFB ist unfähig, von dem erwarte ich gar nichts. Der Verband müsste eigentlich Deutsche Streit-Gesellschaft heißen." Wolfgang Niersbach stolperte als Präsident über die Finanzierung des WM-Sommermärchens 2006, Nachfolger Reinhard Grindel über eine geschenkte Uhr, Nach-Nachfolger Fritz Keller über einen Nazi-Vergleich und ein katastrophales Corona-Management.

Neuendorf wirkt nach diesen Vorgängern fast wie ein Anti-Präsident. Eine lupenreine Funktionärs-Karriere hat er jedenfalls nicht hinter sich. Er ist keiner, der sich an den Tresen der Vereinsgaststätten nach oben gewerkelt hat, die Karriere im Fußball stand nicht in seinem Lebensentwurf. Neuendorf kommt von der anderen Seite, hat Geschichte und Politikwissenschaft studiert und arbeitet für eine englische Agentur als Journalist,  auch als politischer Korrespondent in Bonn. 1999 zieht 9 es ihn mit der Familie nach Halle, 2001 wird er dort bei der Mitteldeutschen Zeitung der stellvertretende Chefredakteur. Zwei Jahre später geht es in die Politik, Neuendorf wird Sprecher des SPD-Parteivorstands in Berlin, arbeitet eng mit Olaf Scholz zusammen. Später kehrt er in seine nordrhein-westfälische Heimat zurück und Staatssekretär im Familienministeriums.

Und der Fußball? Neuendorf sagt, dass er Fußball schon immer geliebt hat. Erst als Gladbach-Fan, dann als Anhänger von Alemannia Aachen. 2004, bei der Niederlage im Pokalfinale gegen Werder, war er im Stadion. Und das Tor des Jahres von Jan Schlaudraff zwei Jahre später gegen Werder beschreibt er noch heute als "Explosion auf dem Tivoli". 2019 wurde er Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhein. Dass die Amateurvertreter des DFB diesen Neuendorf keine drei Jahre später in die Wahl zum Präsidenten schicken, ist noch immer eine Überraschung. Sein Gegner ist Peter Peters, seit Jahren Funktionär bei DFB und Deutscher Fußball Liga (DFL). Große Chancen werden Peters nicht eingeräumt, zu groß ist der Stimmenanteil im Amateurlager. Und auch Vertreter der 36 Profi-Klubs wollen, so heißt es, für Neuendorf stimmen. 

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In unzähligen Online- und Präsenzveranstaltungen hat der 60-Jährige erklärt, was er anders machen will. Dass der DFB in der Pandemie kein starker Verband gewesen sei, hat er mehrmals gesagt, "das hat dem Image sehr geschadet und muss sich ändern", kündigt er an. Denn eigentlich sei der DFB ein wunderbarer Verband, der viel für den Fußball bewirke und wichtige gesellschaftspolitische Akzente setze. "Deshalb würde ich es als Chance sehen, diesen Verband zu führen." Und das sei auch die Antwort auf die häufig gestellte Frage, warum er sich das eigentlich alles antue.

In fünf Punkten zählt er auf, was anders werden müsse. Dabei geht es um das Zusammenspiel zwischen Amateur- und Profi-Lager ("Es gibt viele gute Ansätze"), die Chance der Heim-EM 2024, um an der Basis wieder eine Fußball-Euphorie auszulösen, die Maßnahmen, um den Einfluss des Fußballs wieder zu stärken. Er will den Frauenanteil im Fußball erhöhen. Ob dieses Ziel über eine Quote oder andere Instrumente erreicht werden kann, darüber solle eine Strukturkommission beraten. Und es geht um den Masterplan Amateur-Fußball, der ganz oben in seiner Agenda stehe. "Die Vereine müssen sich fragen: Wo stehen wir in 20 Jahren? Hier muss der DFB Hilfestellung leisten und unterstützen. Das ist existenziell."

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Die Voraussetzungen für einen echten Neustart stehen gar nicht so schlecht. Viel tiefer, sagen Kritiker, könne der DFB in der Wahrnehmung ohnehin nicht mehr sinken. Neuendorf wird zugetraut, verlorene Glaubwürdigkeit wieder zurückzugewinnen. Da kann es helfen, dass der DFB sich gerade an vielen Fronten erneuert. Die Dauer-Personalie Joachim Löw ist beendet, Hansi Flick genießt als Nachfolger viele Sympathien. In diesem Jahr wird der DFB die Verbandszentrale in der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt verlassen und komplett in einen neuen Campus ziehen, eine neue Struktur wurde bereits beschlossen. Mit Donata Hopfen hat auch die DFL eine neue Chefin, und in Berlin regiert jetzt eine Koalition, an deren Spitze mit Olaf Scholz ein Kanzler steht, den Neuendorf gut kennt.  

Viele Dinge scheinen sich zu fügen. Neuendorf nickt bei dieser Aufzählung, er weiß, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Aber auch, dass das allein nicht reicht, zum DFB-Präsidenten gewählt zu werden. "Ich werde weiter einen Schritt nach dem anderen machen, auch wenn ich weiß, dass der Posten ein größeres öffentliches Interesse hervorruft als alles, was ich bisher gemacht habe." Gemessen daran wirkt er noch erstaunlich ruhig.

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