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Bremer liebt Extrembelastungen Quer durch Peru: Savas Coban legte in 86 Tagen 5170 Kilometer zurück

Der Bremer Savas Coban hat sein normales Leben aufgegeben, um einen Traum zu verwirklichen: Er verschiebt die Grenzen seiner Leidensfähigkeit und lebt nicht nur für, sondern jetzt auch von seinen Projekten.
12.04.2023, 05:00 Uhr
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Quer durch Peru: Savas Coban legte in 86 Tagen 5170 Kilometer zurück
Von Jörg Niemeyer

Der Mann kennt keine Grenzen. "Wenn ich vorher schon weiß, dass ich es schaffe, reizt es mich nicht mehr", sagt Savas Coban, "ich muss einen riesigen Respekt vor meinem Projekt haben, sonst habe ich darauf keine Lust mehr." Der 30-Jährige hat es nicht nur auf seinen Touren mit extremen Widrigkeiten aufgenommen, sondern auch in seinem privaten Umfeld. "Ich komme aus einem türkischen Haushalt", sagt er, "was ich machen wollte, gab es in meiner Familie bis dahin nicht." Immer wieder habe er sich zu Hause diesen einen Satz anhören müssen: "Hör auf, Savas, mach etwas Vernünftiges."

Was seine Mutter und seine Geschwister als "vernünftig" ansahen, wusste Savas Coban natürlich. Nur: Genau das wollte er eben nicht machen. Er hatte dieses "vernünftige Leben" ausprobiert, doch es erfüllte ihn nicht. Er hatte sich als Sport- und Fitnesskaufmann selbstständig gemacht und als Personal Trainer gutes Geld verdient. "Das war auch schön, aber ich wollte immer lieber selbst der Sportler auf professioneller Ebene sein und nicht der Trainer." Weil beides nicht unter einen Hut zu bringen war, setzte er alles auf eine Karte – und machte als Trainer Schluss. "Ich wusste: Wenn ich mich in so eine schwierige Lage bringe, gebe ich 150 Prozent."

Keine Angst vorm Scheitern

Die Angst, auf seinem neu eingeschlagenen Weg zu scheitern, habe er nie verspürt. "Nee", sagt der in Blockdiek aufgewachsene gebürtige Bremer, "ich vertraue mir sehr. Ich kenne mich sooooo gut, ich würde niemals aufgeben." Wenn sich etwas richtig für ihn anfühle, könne ihn nichts und niemand mehr aufhalten – auch Schmerzen nicht. "Klingt unvernünftig", sagt er, "aber das ist mein Wettkampf." Und so war es zuletzt auch in Peru, wo Coban ab Mitte November in 86 Tagen laufend 5170 Kilometer zurückgelegt hat.

Er habe unter beiden Füßen Brandwunden gehabt, sagt Coban, vermutlich entstanden durch Reibung in seinen Schuhen. Steile Laufstrecken auf- und abwärts, Nässe und schlechte Socken hätten eine unheilvolle Kombination gebildet. Mit besseren Strümpfen und der Heilungscreme aus einer Apotheke sei er trotzdem weitergelaufen. "Ich wusste, dass ich es schaffen würde." Und er schaffte es. Gestartet in Lima, kam er dort im Februar nach einem knappen Vierteljahr und einer abwechslungsreichen Runde durchs Land wieder an.

Savas Coban ist ein außergewöhnlicher Mensch. Zum Gespräch in der Bremer Innenstadt kommt er standesgemäß laufend aus Blockdiek. Ein Auto hat er nicht, die Bahn nutzt er nicht. Weil gerade Ramadan ist, trinkt der gläubige Moslem tagsüber auch nichts. Kein Problem, obwohl er täglich trainiert. "Das macht mein Körper mit." Entspannt sitzt er auf seinem Stuhl. Er mag auch gerne Kaffee, doch Verzicht mache ihm nichts aus, den kenne er von seinen Touren.

Dass das Laufen für ihn eine Sucht sein könnte, verneint er. "Aber ich muss ständig in Bewegung sein." Deshalb habe er schon unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Peru die Anstrengungen seiner Extremläufe vermisst. Und spontan entschieden, für ein paar Tage in die österreichischen Alpen zu reisen. "Bremen ist meine Heimat, aber ich bräuchte hier ein bisschen mehr Gebirge", sagt er mit einem Lachen.

Der erwachsene Savas beschreibt schon den kleinen Savas als außergewöhnlichen Menschen. In der G-Jugend des SC Vahr-Blockdiek fängt er mit Fußball an. Er hat vielfältige Interessen im Sport, beweist Talent und spielt später im Männerbereich für den TuS Schwachhausen und den Habenhauser FV sogar in der Bremen-Liga. "Es hat mir Spaß gemacht, war jedoch nicht reizvoll genug." Er habe die Annehmlichkeiten des Mannschaftssports geschätzt, sagt Coban, doch als Individuum habe er sich immer gebremst gefühlt und deshalb auch mit dem Kampfsport aufgehört. Da habe er ebenfalls mehr gewollt als sein Trainer.

So war es irgendwie logisch, dass Savas Coban schließlich beim Einzelsport landete. "Da kann mich keiner bremsen", sagt er. Es sollte allerdings lange dauern, bis sich die neue Leidenschaft entfaltete. Und es brauchte nach der Ausbildung und der Zeit als Personal Trainer in Hamburg den totalen Ausstieg aus dem bisherigen Leben.

Ersparnisse aufgebraucht

Ohne Einkünfte war das Ersparte bald aufgebraucht. Savas Coban musste seine Wohnung aufgeben und kehrte zurück zu Mutter und Schwester nach Blockdiek. Finanziell war er so klamm, dass die Schwester Rechnungen für ihn beglich. Und er nicht einmal Geld hatte, um sich außerhalb seines Zuhauses – wenn er unterwegs war – etwas zu essen oder zu trinken zu kaufen. "Das hat mir aber alles nichts ausgemacht", sagt er. Das Leben, wie er es führte, habe sich gut angefühlt. Und so habe er geduldig auf den Moment warten können, der sein Leben verändern sollte.

2020 bahnte sich dieser Moment an. "Jahrelang war ich auf der Suche", sagt Coban. Er trainierte intensiv, wusste aber nicht, wozu er das Training nutzen sollte. Mit fast 28 Jahren nahm er dann sein erstes Projekt in Angriff. Spontan sei ihm die Idee gekommen, mit dem Fahrrad, einem gebrauchten Crossbike, von Hamburg nach Südspanien zu fahren. Ohne gezielte Vorbereitung sei er sechs Tage später einfach losgefahren. Ohne spezielle Ausrüstung, aber mit dem großen Willen, in Spanien anzukommen. Bei 45 Grad im Hochsommer in Andalusien.

"Auf der Radtour hab' ich gesehen, dass mir das Abenteuer liegt", sagt Coban. Und etwas viel Wichtigeres für weitere Projekte habe er auch gelernt: dass er an seine Grenzen gehen kann. "Ich hatte immer die Energie und den Willen, etwas Großes zu machen, aber bis dahin nie den richtigen Weg gefunden. Nach der Radtour habe ich plötzlich ganz andere Ziele gehabt." Fortan ordnete Coban alles andere im Leben endgültig dem Ziel unter, als Einzelsportler Einzigartiges leisten zu wollen.

2021 folgte Cobans erstes Laufprojekt: Er lief von München nach Istanbul. Dabei profitierte er schon von den Erfahrungen seines Spanien-Projekts, denn inzwischen hatte er eine Ahnung davon, was er an Ausrüstung benötigt und was er besser zu Hause lässt. Und er stellte fest, dass er im Jahr 2021 nicht mehr derselbe war wie 2020. "Ich lerne auf meinen Touren in kurzer Zeit sehr viel", sagt er, "nächstes Jahr, nach der Peru-Erfahrung, werde ich wieder ein anderer sein als jetzt. Mich reizt diese Entwicklung."

Die Frau aus Mexiko

Schon heute sieht sich der 30-Jährige in seinem Gefühl bestätigt. "Man kann Erfolg haben, wenn man alles für eine Sache gibt. Man muss Geduld haben, auf den richtigen Zeitpunkt warten und trotzdem hart an sich weiterarbeiten." Er hätte auch noch jahrelang weiter gewartet, sagt Coban – wenn er im vergangenen Jahr nicht zufällig eine Frau aus Mexiko kennengelernt hätte, die seinem Leben den letztlich entscheidenden Kick geben sollte.

Die Mexikanerin schwärmte Savas Coban von Peru vor – so sehr, dass sich der Bremer über das für ihn bis dahin unbekannte südamerikanische Land schlau machte. Bei seinen Recherchen habe er sehr schnell entdeckt, dass Peru mit seinen verschiedenen Klimazonen sich perfekt für seine nächste Herausforderung eignen würde. Tropische Verhältnisse, Wüste und kalte, dünne Höhenluft auf verschneiten Pfaden weckten in Coban die Abenteuerlust.

Ohne zu wissen, in wie vielen Etappen und auf welchem Weg genau er die Runde durchs Land von Lima nach Lima drehen wollte, stürzte sich Coban mit seinem 25-Liter-Rucksack in sein nächstes Abenteuer. "Ich wollte nur das Land umrunden", sagt er, "die Distanzen pro Tag und insgesamt waren mir gar nicht wichtig. Es hätten am Ende auch 10.000 Kilometer werden können." Der Weg sei sein Ziel gewesen – begleitet von der Lust, die Klimazonen zu durchqueren und Gebiete, "in denen es tagelang nichts gibt, auch keine Menschenseele".

Die Kraft der mentalen Stärke

Coban suchte die Einsamkeit und wollte in dem Anden-Staat erleben, wie es sich anfühlt, auf mehr als 5000 Metern über dem Meeresspiegel zu laufen. Dafür quälte er sich zig Kilometer bergauf, nur um anschließend den gleichen Weg wieder hinabzulaufen. "Diese Höhe wollte ich unbedingt knacken", sagt der Mann, der sich eher als Abenteurer denn als Extremsportler bezeichnen würde. Weil er auf keinen Tag X hintrainieren und in keinem Wettkampf permanent Topleistung bringen, sondern nur durchkommen müsse. Das sei neben der körperlichen Fitness vor allem eine Sache des Kopfes. "Meine größte Stärke ist meine mentale Kraft", sagt Coban über sich selbst.

Dank seines Peru-Abenteuers ist Savas Coban inzwischen auch finanziell einigermaßen abgesichert. Dafür sorgen in erster Linie Einnahmen aus einem Buchprojekt. Am 5. Juni soll das Werk erscheinen, für das er nach jeder Tagesetappe eine Sprachnachricht über seine Erlebnisse vom Tag nach Deutschland schickte. Im Herbst soll ein 79-minütiger Film in die Kinos kommen, den ein Team aus Dresden mit Coban drehte.

Längst hat es der Bremer zu einer gewissen Popularität gebracht. Jüngst zeigte das ZDF eine beeindruckende Reportage über Cabans Aufenthalt in Peru – mit Bildern nicht nur von unglaublichen Strapazen, sondern auch von sehr schönen  Begegnungen mit Einheimischen. Er habe schon viele Ideen für neue Projekte. Afrika reize ihn sehr, sagt Coban. Doch spruchreif sei noch nichts.

Relativ sicher scheint dagegen, dass der Abenteurer demnächst auf Vorträgen von seinen Leistungen berichten und Menschen Mut machen möchte, an sich zu glauben. Dabei wird er vielleicht auch von den Tränen erzählen, die er in leidvollen Phasen vor und während seiner Touren geweint und die niemand gesehen hat – die in Cobans selbst gesuchter Einsamkeit aber auch niemand sehen konnte.

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