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Fußball Das Wunder von Bern hat Bremer Wurzeln

Nicht Adidas-Gründer Adolf Dassler ist der Erfinder der Schraubstollen. Der Bremer Werner Salot hat mit dem WESER-KURIER gesprochen, um die Geschichte zu korrigieren.
05.08.2023, 05:00 Uhr
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Das Wunder von Bern hat Bremer Wurzeln
Von Moritz Kalvelage

"Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt, Tor, Tor, Tor, Tor." Viele kennen den Ausruf, obwohl sie nicht selbst vor dem Empfangsgerät saßen. Der Radiokommentar von Herbert Zimmermann zum deutschen WM-Sieg 1954 wurde schon bald Teil des kulturellen Gedächtnisses. Auch weil Sönke Wortmann 2003 "Das Wunder von Bern" auf die Kinoleinwand gebracht hat. Dabei erzählt der Film nicht nur die Geschichte vom Fußballtriumph der Nationalmannschaft, der Film zeigt auch, dass Herbergers Elf nur auf dem nassen Grund gegen die Ungarn standfest waren, weil sie die Schraubstollenschuhe von Adidas-Gründer Adolf Dassler an den Füßen trugen.

An dieser Darstellung hat Werner Salot etwas auszusetzen: "Der Erfinder der Schraubstollen ist Adolf Dassler definitiv nicht", sagt er, "mein Vater hat bereits 1949 das Patent dazu angemeldet" – drei Jahre, bevor der Adidas-Gründer ein Gebrauchsmuster angemeldet hat. Bei einer Gebrauchsmuster-Anmeldung wird die Erfindungshöhe oder die Neuheit nicht überprüft. "Das war gewitzt", sei aber keinerlei Beweis für den Erfindergeist Dasslers, so der Blumenthaler.

Idee musste pausieren

Die Idee zum Stollenschuh war aber schon deutlich früher geboren: Salot hat seine Schuhmacherlehre in Oberschlesien abgeschlossen, für die Arbeit in den Bremer Woll-Kämmerei siedelte er um in die Hansestadt. Bald wurde er Gründungsmitglied der Fußballmannschaft im Arbeitersport. Weil dort die Stollen auf dem Grant- oder Kiesboden oft aus der Sohle brachen, kam Alexander Salot die Idee, wechselbare Stollen zu entwickeln – und das bereits 1928, berichtet Sohn Werner. Durch die Nationalsozialisten wurde die Gruppe im Arbeitersport zerschlagen, die Idee für die Schuhe musste während der Nazi-Diktatur ruhen.

Ganz neu erfunden hat aber auch Alexander Salot den Schuh nicht, bereits 1925 gab es erste Bemühungen, Schuhe mit wechselbaren Stollen zu entwickeln: "Von den Vorgängern hat er gelernt", sagt sein Sohn. Zum Beispiel, indem er das Gewinde in der Sohle untergebracht hat. Bei einem Vorgänger ragten die Schrauben aus der Sohle, das Gewinde hingegen war in den Stollen verbaut. Es dauerte aber seine Zeit, bis die Schuhe entwickelt waren: "Die ersten Versuche waren nicht praxistauglich." In einer Werkstatt neben dem Wohnhaus arbeitete Alexander Salot an den Schuhen. Jedes Stück wurde individuell angepasst. Dafür wurde der Fuß auf Papier gelegt, die Umrisse nachgezeichnet und der Spann gemessen.

1947 ging es zum Blumenthaler SV. Dort spielte Alexander Salot nicht nur Fußball, er nahm später auch eine betreuende Funktion ein. Eine nützliche Verbindung für die Mannschaft und den Schuhmachers: "Die BSV-Jungs waren die Versuchskaninchen", von der Expertise Salots profitierte aber auch schon bald das Team: 1949, 1950 und 1951 hieß der Meister der Verbandsliga Blumenthaler SV. "Der BSV war die erste Mannschaft in Deutschland, die komplett mit Schraubstollenschuhen ausgestattet wurde", sagt Werner Salot, noch vor den Profiteams Werder Bremen oder dem Hamburger SV, die später auch anfragten.

Ganz allein hat Alexander Salot nicht gearbeitet. Zusammen mit Bruder Anton, der als Schlosser gearbeitet hatte, entwickelte er den Schuh Schritt für Schritt. Während die Idee vom aktiven Fußballspieler Alexander kam, brachte Anton handwerkliche Fähigkeiten mit: "Das war eine Konstellation, die zum Erfolg führen musste." Die beiden schafften es, die Mutter in der Sohle unterzubringen, das Schraubgewinde befand sich an den Stollen. Damit konnten sich die Spieler einerseits auf die unterschiedlichen Bodenverhältnisse einstellen, Schuhe waren aber auch langlebiger. Denn sonst wurden Stollen in die Sohlen genagelt, die mit der Zeit dann brach.

Ordner mit Beweisen

Werner Salot holt einen dicken Ordner heraus und legt ihn auf den Tisch im Wohnzimmer. Darin gesammelt: alles rund um die Erfindung der Schraubstollenschuhe. Meisterbrief, eine Patentkopie, Fotos. Ansprüche finanzieller Art kann Salot nicht mehr stellen, das will er aber auch nicht, sein Motiv ist ideeller Natur: "Ich wünsche mir, dass die Lebensleistung meines Vaters gewürdigt wird." Alexander Salot verstarb 1992 in Blumenthal.

Eines der vielen Fotos in der Mappe zeigt eine Aufnahme vom 22. November 1950. Das erste Länderspiel einer deutschen Mannschaft nach dem zweiten Weltkrieg. Es kamen circa 100.000 Menschen ins Stuttgarter Neckarstadion, um das Spiel gegen die Schweiz zu sehen. "Da hat Sepp Herberger den Schuh meines Vaters kennengelernt", sagt Salot – denn den einzigen Treffer des Spiels erzielte Herbert Burdenski, seinerzeit aktiv für den SV Werder Bremen. An den Füßen Burdenskis die Schuhe aus den Händen Salots. Wieso sich Werner Salot so gut an lange zurückliegende Zeit erinnern kann? "Nun ja, ich war ein fußballbegeisterter Junge, wenn dann ein Nationalspieler bei uns zuhause war, war das natürlich was Großes."

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Film mit Fehlern

Im "Wunder von Bern" wird gezeigt, wie Herberger zum ersten Mal Stollenschuhe sieht, präsentiert vom Schuhmacher aus Herzogenaurach. Das Endspiel in der Schweiz sei nur zum Wunder geworden, weil die Spieler dank Dasslers Erfindung nicht auf dem matschigen Boden ausrutschten. In die Unterlagen blickend sagt Werner Salot: "Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Adolf Dassler den Schraubstollenschuh nicht erfunden hat." Das sagt nicht nur der Nachfahre, sondern auch der Nachweis des Patentamtes, den er aus dem Ordner holt: Das Patent mit der Nr. 815 761 für "Fußballstiefel o. dgl. mit auswechselbaren Gleitschutzstollen".

Natürlich habe sich der Vater geärgert, dass ihm die Idee nicht zugesprochen wurde, rechtliche Schritte wollte Alexander Salot aber nicht einlegen. Wieso, weiß selbst Sohn Werner nicht. Obwohl ihn die falsche Geschichtsschreibung ärgert, hegt Salot keinen nachgelagerten Groll gegen den Riesen mit den drei Streifen – im Gegensatz zu seinem elfjährigen Enkel. Adidas-Kleidung? Die möchte der Junge nicht tragen, verrät Werner Salot.

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