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Kurioses Dieser Bremer hat den Champions-League-Pokal erfunden

Der 82 Jahre alte Bremer Horst Heeren will sich nicht mehr dafür rechtfertigen müssen, dass er 1966 den berühmten Pokal der Champions League entworfen hat. Hier erzählt er die ganze Geschichte...
07.06.2023, 06:08 Uhr
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Dieser Bremer hat den Champions-League-Pokal erfunden
Von Jean-Julien Beer

In einem Tresor in der Bremer Übersee Stadt liegt der Beweis, dass es seit vielen Jahren so manche falsche Geschichte gibt über den wichtigsten Pokal des europäischen Fußballs. Denn nicht nur die Spieler aus aller Welt träumen vom Champions-League-Pokal, der am Wochenende in Istanbul zwischen Manchester City und Inter Mailand ausgespielt wird – sondern offenbar auch die Juweliersfamilie Stadelmann aus der Schweiz. 

In zahlreichen Interviews kann man die Geschichte nachlesen, wie Jürg Stadelmann in den 1960er-Jahren in die Büros des europäischen Fußballverbandes UEFA in der Schweiz ging und Entwürfe für einen neuen Pokal auf dem Boden ausbreitete. Aus verschiedenen Skizzen sei dann die Trophäe für den Europapokal der Landesmeister entstanden, die heutige Champions League. 340 Stunden will Stadelmann damit verbracht haben, den Pokal fertigzustellen – unter Druck, wie er mal erzählte, weil er damals geheiratet habe und mit seiner Frau nach Los Angeles aufbrechen wollte.

Der Bremer Horst Heeren kennt all diese Geschichten. Und er weiß, dass sie so auf keinen Fall stimmen. Denn er war es, der 1966 die erste Skizze des berühmten Pokals zeichnete. Mitte 20 war Heeren damals und arbeitete als Designer bei der Bremer Silbermanufaktur Koch & Bergfeld. Gelernter Silberschmied ist er auch. Heeren kennt die Nummer seines Entwurfes noch auswendig. Sie lautet 7995B/60, wobei die 60 für die Höhe des Pokals in Zentimetern steht, die berühmten Henkel nicht mitgezählt. Der heute 82-jährige arbeitete sein ganzes Leben für Koch & Bergfeld. 25 Jahre lang, von 1977 bis 2003, leitete er die Silberschmiedewerkstatt und das Zeichenbüro der Firma. 

Im Firmensitz der berühmten Bremer Silberschmiede steht ein Panzerschrank aus dem vorigen Jahrhundert, mehr als zwei Meter hoch, mit zwei schweren Flügeltüren. Darin lagert so mancher Schatz der Firma, die seit bald 200 Jahren schon alle möglichen Wünsche erfüllt hat, vom Kronleuchter bis zum Salzstreuer und natürlich Pokale. Als Beweis für die wahre Geschichte des Champions-League-Pokals holt Firmenprokurist Roland Thölken vorsichtig ein blasses Stück Papier aus dem Tresor. Es ist die Originalzeichnung aus dem Jahr 1966. Das leicht eingerissene Papier zeigt den Pokal in echter Größe. Eine Kopie dieser Zeichnung ging 1966 in die Schweiz. Doch was genau danach passierte, ist ein Rätsel, dass auch mit der Familie Stadelmann zu tun hat. 

Der Schweizer Juwelier war ein langjähriger Kunde der Bremer Silbermanufaktur und hatte von der UEFA die Anfrage für einen neuen Pokal erhalten. Er leitete diese dann auch an Koch & Bergfeld weiter. Vier Entwerfer gab es in den 1960er-Jahren in der Firma. Sie arbeiteten die vielen Anfragen ab, Kopien ihrer Arbeiten mitsamt einem schriftlichen Angebot wurden per Post versandt. Manchmal machten sie einen Firmenstempel auf die Entwürfe, zumeist jedoch nicht. Per Post gelangte der Bremer Pokal-Entwurf in die Schweiz – ohne Firmenstempel.

Bei Koch & Bergfeld wird vermutet, dass der Kunde Stadelmann damals noch andere Entwürfe bei der UEFA vorlegte, vielleicht auch eigene. Die Wahl fiel aber auf die Zeichnung des Pokals mit den Griffen. In Bremen hatte man seinerzeit noch drei weitere Entwürfe für diesen Europapokal entwickelt. Zum Beispiel eine flache Trophäe, ähnlich der deutschen Meisterschale, die bei Koch & Bergfeld als Duplikat und als Repliken gefertigt werden. Doch am besten fand auch Heeren die Idee eines Pokals mit hohem Wiedererkennungswert. Für diesen Entwurf modifizierte er eine Skizze aus dem eigenen Haus, sie stammte aus dem Jahr 1955. 

Das musste alles so gestempelt werden. Unter anderem, damit der Pokal beim Import in die Schweiz den Zollbestimmungen entsprach und die Zollgrenze passieren konnte.
Horst Heeren

Nachdem sich die UEFA für seinen Entwurf entschieden hatte und der Auftrag von Juwelier Stadelmann an Koch & Bergfeld erteilt worden war, machten sich die Silberschmiede an die Arbeit. Der Pokal entstand in Bremen aus 925er Silber, innen mit einer 24-karätigen Feinvergoldung versehen. Wie üblich wurde der Pokal – im Fuß der Trophäe – gemäß dem Reichsstempelgesetz von 1884 mit Halbmond und Krone gestempelt. Der Halbmond stand für Silber, die Krone für ein Produkt deutscher Herkunft. Hinzukam der Bremer Schlüssel im Schild, als Zeichen der Manufaktur Koch & Bergfeld, sowie die Feingehaltsangabe 925. „Das musste alles so gestempelt werden“, berichtet der Zeitzeuge Heeren, „unter anderem, damit der Pokal beim Import in die Schweiz den Zollbestimmungen entsprach und die Zollgrenze passieren konnte.“

Auch wegen solcher Details muss er schmunzeln, wenn er wieder irgendwo liest oder hört, der Pokal sei in der Schweiz erfunden worden. Heeren möchte gerne noch eine Reise nach München machen und dem Museum des FC Bayern einen Besuch abstatten, wo einer der Originalpokale ausgestellt ist. Weil die Bayern den Wettbewerb zwischen 1974 und 1976 dreimal in Folge gewannen, durften sie den Pokal behalten. Der Bremer Silberschmiedemeister würde sich seine alte Trophäe gerne genauer ansehen. „Vermutlich ist dort nachträglich eine andere Platte mit einer anderen Stempelung in den Boden eingebaut worden“, glaubt er, nämlich ohne Bremer Schlüssel und ohne die damaligen Stempel.

Inzwischen gibt es die sechste Version des Pokals, weil neben Bayern auch Real Madrid, Ajax Amsterdam, der AC Mailand und der FC Liverpool ein Original behalten durften. Seit 2009 hingegen bleibt der Originalpokal, der für die Siegerehrung im Stadion verwendet wird, dauerhaft im Besitz der UEFA. Die Siegermannschaft erhält eine Nachbildung als Trophäe.

Drei dieser sechs Pokale wurden in Bremen gefertigt, sagt Heeren. Dass die Entstehungsgeschichte von den Stadelmanns anders erzählt wird, nahmen sie bei Koch & Bergfeld lange mit hanseatischer Gelassenheit hin. Schließlich wollte man keinen Streit mit dem Kunden. Heeren: „Aber dadurch, dass man die Geschichte immer wieder falsch erzählt, wird sie auch nicht wahrer.“ Immer wieder wurden die Bremer darauf angesprochen, warum sie den Entwurf für sich reklamieren würden. Heeren nennt das „eine sehr unerquickliche Geschichte“, denn so sei man ständig in einen Rechtfertigungsmodus geraten.

Vor ein paar Jahren wandte sich Koch & Bergfeld daher an einen Fachanwalt, um der Sache nachzugehen. Doch gegen die mächtige und vor allem finanzstarke UEFA wäre das ein sinnloser Kampf geworden, befand der Anwalt. Zumal es trotz intensiver Recherchen nebulös blieb, wer eigentlich die Rechte am Pokal hält. Es ist möglich, dass der Juwelier Stadelmann die Rechte als Auftraggeber des Bremer Entwurfes beanspruchte und an die UEFA veräußert hat. Bei Koch & Bergfeld entschied man sich gegen einen Rechtsstreit; gegen Stadelmann selbst wäre das ohnehin nicht mehr möglich gewesen, da diese Ansprüche längst verjährt waren. 

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Übrigens: Nach rund 40 Jahren, im Jahr 2005, nahm die UEFA erstmals selbst mit den Bremern Kontakt auf, weil sie den Auftrag für den Champions-League-Pokal neu vergeben wollte. Das Bremer Angebot war aber offenbar zu teuer. Seither wird der Pokal in Mailand gebaut, mit etwas anderen Henkeln, die allgemein auch Ohren genannt werden. Vielleicht wurden diese Henkel verändert, weil die neue Version handwerklich einfacher und günstiger herzustellen ist. Vielleicht aber auch, um durch die leichte Abänderung der Form nun definitiv eigene Rechte an Pokal aufzuzeigen.

Wir haben uns nie irgendwelche Rechte an Sportpreisen schützen lassen, die wir entworfen und hergestellt haben.
Horst Heeren

„Das ist alles ziemlich kompliziert“, weiß Heeren. Und das liegt auch daran, dass sich die Bremer Firma stets als Dienstleister verstand und nicht über das komplexe Urheberrecht nachdachte. Heeren betont: „Wir haben uns nie irgendwelche Rechte an Sportpreisen schützen lassen, die wir entworfen und hergestellt haben. Wir haben einfach darauf vertraut, dass der Auftraggeber ja weiß, dass es unsere Arbeit ist – und es danach nicht anders darstellt.“ 

Nach all den Jahren möchte er sich aber nicht länger dafür rechtfertigen müssen, „dass wir nun mal wirklich die Erfinder dieses Pokals waren“. So stolz die Schweizer auf ihre Kräuterbonbons sind mit dem berühmten Werbeslogan „Wer hat’s erfunden?“, so stolz dürfen die Bremer auf ihren Pokal-Designer sein. Denn mit Blick auf das glänzende Aussehen des berühmten Fußballpokals darf man sagen: Er hat’s erfunden.

Info

Finale mit zwei Deutschen

Am Sonnabend wird zum 30. Mal ein Finale der Champions League ausgetragen, im Endspiel stehen Manchester City und Inter Mailand. Der erste Gewinner war 1993 Olympique Marseille mit dem deutschen Star und früheren Werder-Stürmer Rudi Völler. Bis dahin hieß der Wettbewerb noch Europapokal der Landesmeister. In diesem Jahr wird das Endspiel im Atatürk-Olympiastadion angepfiffen, Spielbeginn ist um 21 Uhr. In beiden Teams ist je ein deutscher Nationalspieler dabei: Ilkay Gündogan bei Manchester City und Robin Gosens bei Inter Mailand. Beide werden deshalb beim Länderspiel zwei Tage später im Bremer Weserstadion gegen die Ukraine (Montag, 12. Juni, 18 Uhr) fehlen.

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