Diesen Spaß erlaubte sich Andrej Teljukin einige Male, wenn ein neuer Spieler zu den Fischtown Pinguins kam. Die Eishockey-Profis müssen auf dem Weg von ihrer Umkleidekabine zur Eisfläche in der Arena an einem kleinen Raum vorbei, der wie ein Materiallager aussieht. Dort stapelt sich alles: Handtücher, Hockeyschläger, Wasserflaschen, Schlittschuhe und sehr viel mehr. Es ist das kleine Reich von Teljukin, dem Mannschaftsbetreuer. Neuen Spielern genügt ein flüchtiger Blick in diesen Raum, um alles Wissenswerte zu verstehen – so glauben sie das zumindest.
An manchem dieser Tage zog sich Teljukin selbst ein paar Schlittschuhe an und tapste hinter den neuen Profis in Richtung Eisfläche. „Kommst du mit aufs Eis?“, fragten die Spieler mit ungläubigen Blicken. Und Teljukin, ein cleverer Bursche mit einem feinen Sinn für Humor, stellte sich dumm. Er wolle es halt gerne ausprobieren, zum ersten Mal, antwortete er.
Und dann passierte es. Die erfahrenen Spieler der Pinguins freuten sich immer schon darauf: Teljukin sauste nämlich kreuz und quer übers Eis, fuhr im Slalom oder rückwärts um die neuen Spieler herum und versenkte mit guter Schusstechnik auch mal einen Puck im Tornetz. Großes Gelächter brach aus – und die neuen Spieler wussten, dass sie veräppelt wurden. Was sie bis dahin nicht wussten: Teljukin ist eben nicht „nur“ der Betreuer, der sich um ihre Wäsche, die Schlittschuhe und die Schläger kümmert. Sondern er ist ein langjähriger Profi, der allein in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) mehr als 400 Spiele machte.

Da hängt sein Bild an der Wand: Teljukin neben dem Meisterfoto, das ihn mit Zigarre zeigt.
Eigentlich hätte jeder der neuen Spieler das wissen können, und das schon am ersten Arbeitstag in Bremerhaven. Denn im Flur vor der Umkleidekabine hängen Fotos an der Wand, viele entstanden, als die Fischtown Pinguins 2014 die Meisterschaft in der zweiten Liga feierten. Ein Bild zeigt Teljukin als Spieler im Bremerhavener Trikot, in der Hand qualmt eine Zigarre. Stark verändert hat er sich seither nicht. „Aber die meisten Spieler“, so hat er festgestellt, „die schauen eh nicht auf diese Fotos in der Eisarena.“
In der neuen Saison wird es den kleinen Spaß auf dem Eis nicht mehr geben. Denn Teljukin hört Ende des Monats als Betreuer auf, er lernt nur noch seinen Nachfolger an. Drei Jahre lang war er am Rande der Bande für die Pinguins aktiv. Jetzt zieht es den 46-Jährigen wieder mehr aufs Eis. „Ich will mich immer weiterentwickeln“, erklärt er, „deshalb beende ich dieses Kapitel und werde ab August in Limburg als Eishockey-Trainer arbeiten.“
Limburg ist seine alte Heimat, hier machte er als junger Spieler die ersten Erfahrungen, als er 1994 aus Russland kam. Er wechselte oft, zwölf Vereine später kam er zu den Pinguins, für die er von 2011 bis 2016 als Verteidiger auf dem Eis stand. Nebenher hat er bis heute noch gespielt, in unteren Ligen, zuletzt in der Regionalliga Nord. „Und wer weiß?“, meint er, „wenn es in Limburg personell eng wird, spiele ich wieder mit.“ Eishockey ist schließlich seine Leidenschaft. Bei der EG Diez-Limburg soll nach seiner Spielerkarriere mit mehr als 1000 Einsätzen seine Trainerlaufbahn starten, in der Oberliga. Als Trainer wollte er schon immer arbeiten, gerne auch als Jugendtrainer, aber in Norddeutschland ließ sich das nicht realisieren. Hier fehle es am Geld, sagt er, um eine richtige Jugendförderung zu betreiben. In Städten wie Köln, Berlin, Mannheim oder München sei das ganz anders.
Erfahrung bringt er genug mit. Auch aus den letzten drei Jahren als Betreuer. Teljukin kann Geschichten aus dem Herzen des Eishockeysports erzählen, und nicht immer sind sie romantisch. Es habe sich viel verändert in diesem Sport, was auch an der neuen Spielergeneration liege. „Früher waren die jungen Spieler die ersten morgens im Kraftraum, weil sie sich durchsetzen wollten“, erzählt er, „heute müssen sie sich von den älteren Spielern die Disziplin und den Fleiß abschauen. Ich habe jungen Spielern oft gesagt, dass sie noch nichts erreicht haben, wenn sie zum Beispiel bei den Pinguins in der DEL einen Vertrag unterschrieben haben. Dann fängt die Herausforderung erst an, dann muss man sich beweisen.“
Er selbst spielt immer noch in seinen 20 Jahre alten Schlittschuhen aus Leder, beste Qualität, sagt er. Was er zuletzt von den Profis zur Pflege und Instandsetzung in die Finger bekam, hatte damit nicht mehr viel zu tun. Moderner Kunststoff, ganz leicht, teures Hightech-Material – es hat sich viel verändert, nicht nur bei den Schuhen oder Stöcken. Als Knüller, so empfand er das, musste er einigen Spielern zuletzt die Namen in die Kufen ihrer Schlittschuhe fräsen, sie bestanden darauf. Auf den Laschen ihrer Schuhe trugen manche ohnehin schon ihren Namen oder die Initialen. „So musste ich wenigstens keine Nummer mehr draufschreiben, um sie in der Kabine zuordnen zu können“, sagt Teljukin und ringt sich ein Lächeln ab. Besser laufen würde ein Spieler mit dem Namen in den Kufen jedenfalls nicht.
Er ist noch aus einem anderen Holz geschnitzt, das merkt man schnell. Für ihn ist Eishockey sehr viel mehr als ein schicker Schuh oder ein teurer Schläger. Für ihn spielt sich professionelles Eishockey vor allem im Kraftraum und im Kopf ab. Es gehe um die richtige Mentalität. Er erzählt dann gerne die Geschichte eines jungen Spielers, dessen Trainer einen Puck und einen Schläger vor das leere Tor legte und fragte: „Und was passiert jetzt? Schießt dieser tolle Schläger ein Tor? Nein. Du musst das Tor selbst schießen, du als Spieler!“
So etwas gefällt ihm, auch wenn er immer alles für die Spieler erledigt hat, damit sie gut spielen konnten. Spezielle Handschuhe nach Verletzungen, kürzere oder längere Schläger – er hat das alles hinbekommen und auch die Waschmaschinen mit den Unmengen an Sportkleidung gefüttert. Die beiden großen Maschinen hatte ein reicherer DEL-Klub aussortiert, jetzt laufen sie in Bremerhaven.
Er selbst beginnt nun in Limburg ein neues Abenteuer. Den Kontakt zu den Pinguins will er pflegen und vor allem auswärts viele Spiele anschauen. Es ist sein großes Ziel, eines Tages als Trainer für die Pinguins zu arbeiten, in welcher Konstellation auch immer. Dann würde er auf dem Weg zum Eis wieder an diesem kleinen Betreuerraum vorbeikommen und mit einem Lächeln an die Späße zurückdenken, die er sich hier oft erlaubt hat.