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Stabhochspringer Philipp Kass Flugziel unbekannt

Werders Stabhochspringer Philip Kass hat die längste Vorbereitung seiner Karriere hinter sich – jetzt könnte die Saison zur Zäsur für den ambitionierten Leichtathleten werden.
24.05.2019, 17:00 Uhr
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Flugziel unbekannt
Von Olaf Dorow

Bremen. Da saß Philip Kass nun in einem Arztzimmer des Bremer Sankt-Joseph-Stifts. Auf dem Tisch lagen die MRT-Bilder, und was ihm die Radiologin dazu zu sagen hatte, war gar nicht gut. Es war Anfang November, und der Leichtathlet Philip Kass – so schildert er es – dachte: Das wird nix. Im Winter sowieso nicht, und nicht mal im nächsten Sommer werde das wieder was werden mit Stabhochsprung-Wettkämpfen. Die Kniescheibe war rausgesprungen; ein Band, an dem das Knie aufgehängt war, war kaputtgerissen. Dieser trübe Novembertag gab allen Anlass zu denken: Schöner Mist!

Der innere Frust wurde zusätzlich durch das Wissen verstärkt, dass es ja kein Sportunfall war. Der junge Mann, Student im ersten Semester, war – um es vorsichtig zu umschreiben – in einer privaten Situation gestürzt. Ohne ins Detail zu gehen: Er war selbst schuld. Bremens leistungsstärkster Leichtathlet der vergangenen Jahre hatte selbstverschuldet seine erste ernsthafte Verletzung zu verdauen. Er wurde im Diako am Knie operiert, er verbrachte den Winter nicht an der Sprunganlage, sondern häufig in einem Schwimmbecken. Aquajogging als Reha-Maßnahme. Stabhochsprung war weit weg, sehr weit. Und ist nun schneller wieder zurückgekommen als gedacht.

Es ist noch nicht mal der Sommer da, da hat er schon den ersten Wettkampf der Sommer-Saison absolviert. Am vergangenen Wochenende hat Philipp Kass, im Rahmen der Bezirksmeisterschaften von Hannover, ernsthaft angetestet, wie es ausschaut. Es schaute gut aus. Er sprang 5,25 Meter hoch und stellte damit fast seine Bestleistung ein, die seit 2017 bei 5,31 Metern liegt. Beinahe hätte er sie übertroffen, die Versuche über 5,35 Meter hätten gar nicht so schlecht ausgesehen, sagt er. Wenn die äußeren Bedingungen passen, könnte es schon an diesem Sonnabend, bei Werders traditionellem Jump-off-Meeting auf Platz 11 in der Pauliner Marsch, etwas werden mit den 5,40 Metern.

Das wäre die Norm für die Europameisterschaften der U 23 im Juli im schwedischen Gävle. Der Werder-Springer, der im November 21 Jahre alt wird, zählt in seiner Disziplin neben dem Mannheimer Julian Otchere und dem Schweriner Tom Linus Humann zu den aussichtsreichsten deutschen Kandidaten für ein EM-Ticket. Ein Start bei dieser Jugend-Europameisterschaft könnte – neben einem Auftritt bei den großen Deutschen Meisterschaften Anfang August im Berliner Olympiastadion – für Philip Kass zum Höhepunkt einer Saison werden, die noch im November sehr auf der Kippe stand. Jetzt könnte sie zur Zäsur werden.

Wo der Karriereweg des ambitionierten Athleten hinführt, weiß natürlich niemand. Es steht noch nicht einmal fest, an welchem Ort der Weg demnächst bestritten wird. Springt Kass, der seit Jahren in Bremen von seinem Vater Leszek trainiert wird, in diesem Sommer noch etwas höher als in den Sommern zuvor, wird er Begehrlichkeiten wecken. Bei anderen Klubs. Beziehungsweise: bei sich selbst. Es gibt, wie jeder in der Szene weiß, in Deutschland gewichtigere Leichtathletik-Standorte als Bremen. Standorte, die mit besserer Infrastruktur, größerer finanzieller Unterstützung oder stärkerer Trainingskonkurrenz locken können.

Aber nun erst mal bitteschön den Fokus auf diesen Sommer, den er ja definitiv als Werder-Athlet bestreitet. Im Januar hatte er wieder mit dem eigentlichen Training für seine technisch anspruchsvolle und hochkomplexe Disziplin begonnen. Das Knie heilte gut, es wurde nicht, um es bildhaft zu sagen: zur Achillesferse. Die Schnelligkeitswerte erreichten wieder das Vorjahresniveau, die Kraftwerte erreichten ein neues Niveau. Philip Kass arbeitete zusätzlich mit Athletik-Trainer Axel Kolb zusammen und feilte gemeinsam mit seinem Vater ausgiebig an der Technik. Die sehr doofe Verletzung lieferte quasi frei Haus einen sehr undoofen Effekt mit: ausführlich Zeit, sich zu präparieren. Inklusive zweier Trainingslager, erst auf Teneriffa, dann in Kienbaum bei Berlin.„Ich hatte mir das alles viel schlimmer vorgestellt“, sagt er.

Er ist zwar erst 20, aber Athlet ist er schon lange. Und an eine solch lange Vorbereitung kann er sich nicht erinnern. Er stammt aus einer Sportfamilie, aus einer Stabhochsprung-Familie, um genauer zu sein. Der Vater hatte einst dieser Zeitung erzählt, wie er damals in polnischen Wäldern mit seinen Kumpels das nachzuahmen versuchte, was sie im Fernsehen gesehen hatten. Stabhochsprung, mit langen Ästen, die sie im Wald gefunden hatten. Und alle drei Söhne des Leszek Kass versuchten sich später, als die Familie in Bremen-Vegesack gelandet war, in dieser Disziplin, die zu den spektakulärsten der Leichtathletik zählt. Von den Jungs wurde der jüngste derjenige, der die höchsten Höhen überflog: Philip.

Nun könnte also eine Flug-Saison kommen, an deren Ende durchaus ein, nun ja, Abflug aus Bremen stehen könnte. Fest stehe da noch gar nix, das ist Philip Kass wichtig zu betonen. Er wolle sich damit nicht zu sehr belasten und ganz locker an die Sache herangehen, sonst führt das zu unerwünschten Verkrampfungen. Aber wie sein Trainer-Vater das finden würde, falls er weggehen sollte aus Bremen, das muss er natürlich trotzdem gefragt werden. Philip Kass schafft es, salomonisch zu antworten. Er sagt: „Vielleicht denkt mein Vater da als Vater. Nicht als Trainer.“

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Zur Sache

Meister-Springer beim Jump off

Der Stabhochsprung-Wettbewerb der Männer dürfte an diesem Sonnabend zum Höhepunkt des Jump-off-Meetings werden, das der SV Werder zum inzwischen 25. Mal austrägt und auf Platz 11 stattfindet. Für die Konkurrenz, die um 16.30 Uhr beginnt, haben neben dem Werderaner Philip Kass diverse Springer gemeldet, die Höhen jenseits der fünf Meter draufhaben. Darunter auch der amtierende deutsche Meister Bo Kanda Lita Baehre von Bayer Leverkusen, mit dem Philip Kass befreundet ist und im steten Austausch steht. Obwohl erst 20 und damit noch im Juniorenalter, sprang Lita Baehre in der abgelaufenen Hallensaison bestaunte 5,70 Meter hoch. Im vergangenen Jahr hatte der Leverkusener beim Bremer Jump off 5,50 Meter überflogen und war nur knapp an 5,60 Metern gescheitert. Die weibliche Konkurrenz am Sonnabend in Bremen (ab 12 Uhr) gilt als offizieller Qualifikationswettkampf für die U 20-EM Ende Juli im schwedischen Boras. Um ein Boras-Ticket will auch der Werderaner Lars Keffel mitspringen, der um 14.30 in der männlichen U 20-Konkurrenz antritt. Zudem gibt es auf Platz 11 Wettbewerbe im Dreisprung (13.15 Uhr) und Weitsprung (15.15 Uhr). Der Eintritt ist frei.

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